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Politik: Rechtsextremismus: Zwei Jahre Springerstiefel-Verbot

Eine Straßenbahn in Radebeul, etwa vor einem halben Jahr. Auf einem Platz sitzt ein Afghane.

Von Frank Jansen

Eine Straßenbahn in Radebeul, etwa vor einem halben Jahr. Auf einem Platz sitzt ein Afghane. Ein 14-Jähriger steht auf und wartet, bis sich die Türen öffnen. Dann dreht sich der Jugendliche kurz um und tritt dem Afghanen mit seinem Springerstiefel ins Gesicht. Der 14-Jährige steigt aus und verschwindet unbehelligt. Kein Fahrgast hält ihn fest, keiner läuft ihm nach. Erst nach mehreren Wochen gelingt es der Polizei, den Jugendlichen zu fassen. Und es stellt sich heraus, dass er schon 33 Gewalttaten begangen hat.

"Dem Afghanen standen alle Schneidezähne nach innen", sagt Peter Raisch und blickt eindringlich ins Publikum. Wenn der wuchtige Mann aus Baden-Württemberg solche Fälle skizziert, muss er sich zusammenreißen. Auch nach fast zehn Jahren als Chef des Landeskriminalamts Sachsen wirkt der 54-Jährige nicht wie ein müder Bürokrat, der Kriminalität nur verwaltet. Raischs Auftritt beeindruckt die 80-köpfige Funktionselite aus Politikern und Akademikern, die sich beim "Ost-West-Forum" auf Gut Gödelitz bei Dresden trifft. Die Gesprächsreihe zu diversen deutsch-deutschen Themen findet seit 1998 auf dem sächsischen Anwesen der Familie Schmidt-Gödelitz statt.

Raisch zählt auf, was das LKA gegen rechtsextreme Kriminalität unternommen hat: Aufbau der Spezialeinheit Soko Rex, die schon 1991 gegründet wurde und Vorbild war für ähnliche Polizeitrupps zum Beispiel in Berlin und Brandenburg. Die 35 Beamten der Soko Rex haben laut Raisch bisher 873 "Fallkomplexe" bearbeitet und 3555 Tatverdächtige ermittelt. Trotzdem war 1997 eine Ergänzung nötig. Die MEFG (Mobile Einsatz- und Fahndungsgruppen) zählen 30 Beamte und sind jede Nacht unterwegs. Beide Spezialeinheiten und die Landespolizei insgesamt profitieren vom "Polizeilichen Anschrifts-System Sachsen (Pass)", in dem Daten einschlägig bekannter Straftäter gespeichert sind - bis hin zur DNA-Analyse.

Was hat das LKA nun erreicht? Im letzten Jahr habe die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten in Sachsen deutlich abgenommen, sagt Raisch. Damit steht der Freistaat besser da als der Rest der Bundesrepublik. Doch die Zahl der Propagandadelikte nahm auch in Sachsen zu, womit die Statistik aller rechten Straftaten ähnlich trübe aussieht wie die von 1999, als knapp 1300 Gesetzesverstöße registriert wurden. Raisch sagt auch, warum. Seit 1997 sei "eine Verfestigung in der kriminellen Entwicklung" der rechten Szene zu beobachten. Die Zahl der Mehrfachtäter steige. Außerdem gebe es eine "permanente Zunahme von antisemitischen Straftaten", so Raisch.

Bei seinem Vortrag ist herauszuhören, dass die Mittel der Polizei erschöpft sind. Obwohl sie in Sachsen sogar Aufgaben von Sozialarbeitern und Lehrern übernommen hat, vom intensiven Gespräch mit Eltern bis zur Konzeption von Broschüren für Schüler. Und die Repression ausgereizt wurde - wer mit Schnürstiefeln zutritt, darf zwei Jahre keine tragen. "Sonst geht der auf Socken nach Hause", sagt Raisch. Solche "statusgefährdende Erfahrung" sei wirksam. Dennoch klingt der LKA-Chef wenig optimistisch. Mehrmals appelliert er an die "gesamte Gesellschaft", dem Rechtsextremismus entgegenzutreten. Raischs Hilferufe werden offenbar selten gehört. Bis in die Straßenbahn von Radebeul drangen sie nicht.

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