zum Hauptinhalt
Koblenz ist nach wie vor Schwerpunkt rechter Gewalt.

© dpa

Gedenktafel in Koblenz: Erinnerung an eine rechtsradikale Tat

Im Sommer 1992 schoss der Rechtsradikale Andy H. auf dem Koblenzer Zentralplatz um sich und tötete einen Obdachlosen. Offiziell ein Amoklauf ohne politischen Hintergrund - die Stadt will nun mit einer Gedenktafel an die grausame Tat erinnern.

Eine ungewöhnliche Gedenkplatte wird in wenigen Wochen vor dem imposanten Neubau des Koblenzer Kulturforums daran erinnern, dass sich auf dem für 250 Millionen Euro neu gestalteten Zentralplatz anstelle von Kulturgängern und Touristen bis vor wenigen Jahren noch Hippies, Obdachlose und Punks trafen.

"Hier ermordete am 24.8.1992 ein rechtsradikaler Täter den Obdachlosen Frank Bönisch und verletzte mehrere Menschen. Zur Erinnerung und Mahnung" lautet der Text der schlichten Tafel, die derzeit in den Werkstätten der Stadtverwaltung Koblenz hergestellt wird. Damit wird in Koblenz erstmals der Opfer eines neonazistischen Amoklaufs mitten im Stadtzentrum gedacht.

Ein Flächenbrand der Gewalt 

Andy H. – Spitzname „der deutsche Andy“ – war in Koblenz geblieben am Abend des 24. August 1992. Während an diesem Abend einige seiner Freunde von der „Skinhead Front Coblenz“ dabei waren, als hunderte Naziskins aus ganz Deutschland in Rostock-Lichtenhagen ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter unter tosendem Beifall in Brand setzten, führt der damals 23-jährige Andy H. seinen eigenen Feldzug gegen alle, die nicht ins rechte Weltbild passen.

Andy H. klaut die 9 Millimeter Smith&Wesson aus dem Waffenschrank seines Vaters und geht auf den Zentralplatz unweit des weltberühmten „Deutschen Ecks“. Hier sitzen wie an den meisten Sommerabenden Punks, Junkies, Wohnungslose und sozial Randständige, einige trinken Bier oder billigen Wein, ein paar spielen Gitarre. Andy H. – Hakenkreuz-Tätowierung auf dem Oberarm – stellt sich in Kampfschützenhaltung auf den Platz, brüllt „jetzt seid ihr dran“ und feuert mit zehn Schüssen das gesamte Magazin der Smith&Wesson auf die völlig überraschten und wehrlosen Menschen ab. Acht Menschen verletzt der Naziskin – einige von ihnen schwer. Der 35-jährige Obdachlose Frank Bönisch erliegt noch am selben Tag seinen Schussverletzungen.

„Dem Vaterland dienen“

Im Prozess vor dem Landgericht Koblenz im Juni 1993 gibt sich der Deckergehilfe, der davon träumte Soldat oder Stuntman zu werden, reuig und unpolitisch. Als Auslöser für die Tat gibt er an, die Bank habe ihm am Vorabend einen Überziehungskredit von 100 Euro verweigert.  Da habe er mit allem Schluss machen wollen. Er habe sich als Auserwählter gefühlt, der dazu bestimmt sei, Menschen zu töten. Ein psychiatrischer Gutachter bescheinigt Andy H. eine „schwere Persönlichkeitsstörung, Minderwertigkeitsgefühle, Angst und Hass“ und hielt ihn für vermindert schuldfähig. Das Landgericht Koblenz verurteilt Andy H. wegen Mordes und siebenfachen Mordversuchs zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren und ordnet seine Einweisung in eine psychiatrische Landesanstalt an. Ein politisches Motiv für die Schüsse auf Frank Bönisch und dessen Freunde erkennen die Richter genauso wenig wie die Staatsanwaltschaft. Aus der Haft schreibt Andy H. an „Kameraden“, er sitze im Knast, weil er „dem Vaterland gedient habe.“  Der Journalist Michael Grabenströer, der für die Frankfurter Rundschau über den Prozess gegen Andy H. berichtete, schrieb damals: „In der Garnisons- und Beamtenstadt Koblenz wurde die Tat nur zu gerne als Amoklauf ohne politischen Hintergrund gesehen.“ 

Dass auch die Bundesregierung den Obdachlosen Frank Bönisch nicht als Opfer rechter Gewalt anerkennt, hat Detlef Knopp, der seit 1999 Kulturdezernent der Stadt Koblenz ist, eher am Rand zur Kenntnis genommen. Der ehemalige Sozialkunde- und Politiklehrer Knopp hat das Urteil des Landgerichts Koblenz gelesen, er kennt die Medienberichte über den Prozess. Knopp sagt, „die objektive Faktenlage“ sei eindeutig. Der Mord an Frank Bönisch sei aus „Gesinnungsgründen“ geschehen, die Opferauswahl füge sich nahtlos ins klassische rechtsradikale Weltbild ein. Für ihn sei eine Gedenktafel für den Obdachlosen Frank Bönisch daher „selbstverständlich gewesen“.

Der Mord an Frank Bönisch weckte schmerzhafte Erinnerungen

Recherchen von "Zeit" und "Tagesspiegel" aufgegriffen

Die Idee zur Gedenktafel hatte im vergangenen Jahr die „Initiative für das Erinnern“ – ein ungewöhnliches Bündnis aus der lokalen Obdachloseninitiative Schachtel, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, Katholischer Hochschulgemeinde und jungen Antifas – an die Stadt Koblenz herangetragen. „Inspiriert wurden wir dabei von der Todesopferliste von Zeit und Tagesspiegel“, sagt Sebastian Hebeisen, Gewerkschaftssekretär beim DGB in Koblenz und einer der Sprecher der Initiative. Schon in der ersten Recherche von Tagesspiegel und Frankfurter Rundschau im September 2000 unter dem Motto „ Den Opfern einen Namen geben“ war der Mord an Frank Bönisch als politisch rechts motiviertes Tötungsdelikt gewertet worden. Kurz nachdem Zeit online und Tagesspiegel  im September 2010 eine aktualisierte Recherche anlässlich des 20-Jahrestags der Wiedervereinigung veröffentlicht hatten, nahmen einige Mitglieder der späteren Initiative an einer Gedenkfeier im 50 Kilometer entfernten Hachenburg im Wersterwald für den im Dezember 1990 von Neonazis getöteten 17-jährigen Kurden Nihad Yusufoglu teil. „Dabei wurde die Liste von ZEIT online und Tagesspiegel an eine Hauswand projiziert,“ erinnert sich Sebastian Hebeisen. Dort sei ihnen der Mord an Frank Bönisch aufgefallen.“Während einige dort von dem Fall zum ersten Mal hörten, weckte er bei anderen schmerzhafte Erinnerungen.  Intensive Recherchen, Gespräche mit Zeitzeugen, Freunden des Ermordeten, Archivbesuche und öffentliche Veranstaltungen – darunter ein Open  Air Konzert und eine Demonstration - folgten. Auch die örtliche Rhein-Zeitung widmete der Frage des Gedenkens an Frank Bönisch anlässlich des 20. Todestags im August 2012 eine ganze Seite. „Wir wollen mit dem Gedenken auch daran erinnern, dass rechte und rassistische Gewalt weiterhin ein großes Problem sind,“ sagt Hebeisen. „Und eine ansonsten oftmals unsichtbare Opfergruppe – Obdachlose und sozial Randständige – sichtbar machen.“ 

 Gedenken ist notwendiger denn je

Andernorts tut man sich mit dem Gedenken an die Opfer neonazistischer Angriffe erheblich schwerer – selbst wenn sie zu der Minderheit der von der Bundesregierung sogar offiziell anerkannt en Todesopfer gehören. Zum Beispiel in Magdeburg. Hier starb am 9.Mai 1992 der damals 23-jährige Punk Torsten Lamprecht, als eine Gruppe von 50 Naziskins  eine Party von jungen Linken und Punks überfiel. Der Ort des Angriffs, das zu DDR-Zeiten beliebte Ausflugslokal „Elbterrassen“ ist schon lange abgerissen. Inzwischen können Spaziergänger hier auf einer filigranen Hängebrücke mit einem roten, himmelwärts ragenden Stahlpfeil die Alte Elbe überqueren. Die so genannte „Brücke am Wasserfall“ ist für viele Magdeburger fester Bestandteil des Naherholungsgebiets am Flussufer. Die Brücke sei „genau der richtige Ort,“ um an den jungen Punk und die erste Welle neonazistischer Gewalt zu erinnern,“ findet der Landtagsabgeordnete Sören Herbst (Bündnis 90/Die Grünen). Seine Fraktion unterstützte  daher eine entsprechende Initiative von Freunden des Getöteten an dessen zwanzigsten Todestag und brachte im Herbst vergangenen Jahres einen entsprechenden Umbenennungsantrag im Stadtrat der Landeshauptstadt ein. Dort überwiegen Ablehnung und Bedenken. Die Brücke könne zum Treffpunkt von Neonazis werden, sagen die einen und verweisen darauf, dass ein Gedenkstein für einen 1997 von einem Naziskin getöteten 17-jährigen Punk immer wieder beschädigt wurde. Der CDU-Ortsverband befragte Bürger im Stadtteil und begründet ihre Ablehnung der Brückenumbenennung mit  74 Nein-Stimmen und lediglich zwei Befürwortern. Am 4. April soll nun im Stadtrat eine endgültige Entscheidung getroffen werden. Sören Herbst sagt, „ganz offensichtlich tut man sich schwer mit dem Gedenken an einen linken Jugendlichen“. Dabei sei das Gedenken in einer Stadt,  die nach wie vor Schwerpunkt rechter Gewalt sei, „notwendiger denn je.“

Kontinuitätslinien

Auch im brandenburgischen Eberswalde sieht es so aus, als würden sich diejenigen durchsetzen, die ein Gedenken an Amadeu Antonio - dem ersten Todesopfer rechter Gewalt im wiedervereinigten Deutschland – per Straßenumbenennung verhindern wollen. Nach vier Jahren zäher Auseinandersetzung zwischen der Initiative „Light me Amadeu“ und der Jugendinitiative FETE auf der einen und der städtischen Mehrheit auf der anderen Seite zeichnet sich nun ein Kompromiss ab: Die Stadt will in 2014 erstmals einen mit 1.000 Euro dotierten Amadeu-Antonio-Preis für antirassistische Initiativen ausloben und ein Bürgerbildungszentrum nach dem ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter benennen.  Für die Initiativen  ist dies jedoch lediglich ein „erster Schritt“.

´

Judith Porath vom Verein Opferperspektive,  der seit mehr als einem Jahrzehnt  Betroffene rechter Gewalt und deren Angehörige in Brandenburg berät,  kennt die kommunalen Kontroversen. Denn die Bürgerbündnisse und Initiativen, die sich derzeit für eine aktive Gedenkkultur an die erste Generation der Opfer rechter Gewalt in den frühen 1990er Jahren einsetzen, rühren zum einen oftmals an allzu gern verdrängte Stadtgeschichten,  mangelnde Zivilcourage und Missachtung von gesellschaftlichen Randgruppen. Und sie stellten die Frage, wie das Zusammenleben in einer Kommune heute gestaltet werden kann. „Und damit würden eben auch aktuelle Ausgrenzungsprozesse zum Thema gemacht ,“ so Porath.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false