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Für zehn Morde sollen die Neonazis des NSU verantwortlich sein. Neun der Opfer waren türkischstämmig, so wie Mehmet Kubasik, der in Dortmund starb.

© dpa

NSU-Prozess in München: 370 Zeugen, 70 Nebenkläger, 60 Anwälte

Am 17. April beginnt der NSU-Prozess in München. Er wird eine Mammutaufgabe. Der Zeitplan des Gerichts erscheint unrealistisch.

Von Frank Jansen

Sie wird von Beginn an im Mittelpunkt stehen. Mit Beate Zschäpe will sich das Oberlandesgerichts München erwartungsgemäß gleich im April intensiv befassen. Als erste Zeugen für den NSU-Prozess hat der 6. Strafsenat Polizeibeamte geladen, die über Zschäpes Verhalten nach der Festnahme berichten sollen. Die heute 38 Jahre alte Angeklagte hatte sich am 8. November 2011 in Jena gestellt. Viel sagte sie damals allerdings nicht und verstummte bald ganz. Das hält sie bis heute durch. Die Richter werden dennoch versuchen, Zschäpe zu befragen. Zeugen sind erst für den 24. April geladen, der Prozess beginnt eine Woche zuvor. Die Verhandlungstage 17., 18. und 23. April sind für eine mögliche Aussage Zschäpes nach Verlesung des Anklagesatzes reserviert. Sollte sich die Hauptangeklagte, wenn überhaupt, erst später äußern wollen, könnte sie das vom Strafsenat vorbereitete Programm kräftig durcheinanderbringen.

Die Richter haben fast 370 Zeugen geladen und einen minutiösen Zeitplan für die Vernehmungen aufgestellt. Die Liste liegt dem Tagesspiegel vor. Die Befragungen sollen im April beginnen und am 27. November enden. Der Strafsenat will offenkundig flott verhandeln, für mehrere Zeugentermine ist weniger als eine Stunde vorgesehen. Das erscheint allerdings jetzt schon illusorisch. Angesichts von fünf Angeklagten mit zwölf Verteidigern, mehr als 70 Nebenklägern mit etwa 60 Anwälten und vermutlich mindestens drei Vertretern der Bundesanwaltschaft sind selbst bei vermeintlich weniger wichtigen Zeugen unzählige Fragen zu erwarten. Außerdem werden die Prozessparteien wahrscheinlich beantragen, zusätzliche Zeugen zu laden.

Dem Zeitplan ist zu entnehmen, dass Zschäpe noch im April unter stärkeren Druck geraten dürfte. Für den 25. April sind Polizisten geladen, die den Mitangeklagten Holger G. vernommen haben. Er hat ein Geständnis abgelegt und Zschäpe belastet. Sie habe von ihm in Zwickau im Jahr 2001 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Waffe entgegengenommen, sagte Holger G. Das ist für die Bundesanwaltschaft ein wichtiger Beleg für den Vorwurf, Zschäpe sei bei allen Morden des NSU die Mittäterin gewesen. Selbst wenn Holger G. im Prozess schweigen sollte, würden die Aussagen der Polizisten, die sein Geständnis entgegennahmen, Zschäpe beträchtlich belasten.

Zu den weiteren Zeugen zählen Zschäpes Mutter und ein Cousin der Angeklagten, der Vater von Uwe Mundlos sowie Uwe Böhnhardts Mutter. Auf der Liste steht auch ein Abgeordneter der NPD aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, David Petereit. Er steckte hinter dem Szeneblatt „Der Weisse Wolf“, dem der NSU im Jahr 2002 per Brief eine Geldspende zukommen ließ. Geladen hat das Gericht auch den früheren Verfassungsschützer Andreas T., der sich beim Mord des NSU an dem Deutschtürken Halit Yozgat im April 2006 in Kassel am Tatort befand.

Auffällig ist allerdings auch, wer nicht auf der Zeugenliste steht. Von den neun weiteren Beschuldigten im NSU-Verfahren sind mit Mandy S. und André K. nur zwei geladen. Das erscheint vordergründig nachvollziehbar, da Beschuldigte meist vor Gericht die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Dennoch laden Gerichte in der Regel auch weitere Beschuldigte als Zeugen, da nie auszuschließen ist, dass es zu einem Sinneswandel und einer Aussage kommt. Außerdem bleibt unklar, warum Mandy S. und André K. geladen sind. Beide sollen dem Trio nach dem Gang in den Untergrund geholfen haben. Womöglich erwartet der Strafsenat, dass Mandy S. und André K. aussagen, weil ihre mutmaßlichen Taten verjährt sein könnten.

Aus der Liste geht auch hervor, welche Sachverständigen auftreten sollen. Der Psychiatrieprofessor Henning Saß, ehemaliger Chef des Universitätsklinikums Aachen, soll ein psychiatrisches Gutachten über Zschäpe erstellen und sie dazu an allen Prozesstagen beobachten. Für ein psychiatrisches Gutachten zu dem Angeklagten Holger G. ist Norbert Leygraf zuständig, Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie der Uni Duisburg-Essen.

Beim Blick auf die Zeugenliste ist ebenfalls zu erkennen, wie der Strafsenat den Prozess strukturieren will. Von Mai bis Juli geht es um die Morde des NSU an neun Migranten. Nach der Sommerpause wird die Tötung der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter zum Thema, dann folgen die beiden Sprengstoffanschläge in Köln. Von Oktober an will sich das Gericht mit den 15 Raubüberfällen des NSU auf Geldinstitute und einen Supermarkt auseinandersetzen.

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