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Ein von Bürgern errichtetes Mahnmal gegen Rechtsextremismus in Jena.

© dpa

Rechtsextremer Terror: Besuch in Jena: "Hier doch nicht!"

Jena erlangt derzeit traurige Berühmtheit, weil das Neonazi-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe von dort stammt. Die Stadt kämpft seit langem gegen braune Umtriebe.

Zieht Jena sich die braune Jacke an, oder wäscht es sich rein? Das ist die Frage, mit der wir Deutschlands derzeit berühmteste Stadt betreten, am Morgen des 18. November 2011. Der Tag wird viele Antworten bringen, und am Abend hat Jena ein Mahnmal für die Opfer rechter Gewalt. Als dann noch Ulrike Meinhof auftaucht...

Langsam. Zunächst erwartet uns ein verblüffend ausgeschlafener Mann. Tief in der Nacht ist Oberbürgermeister Albrecht Schröter aus Berlin zurückgekehrt. Dort erhielt er den Preis für Zivilcourage, gegen Rechtradikalismus, Antisemitismus und Rassismus – stellvertretend für alle gleichgesinnten Jenaer, wie er sofort betont.

Herr Schröter, üblicherweise hört man nach rechten Übergriffen kommunale Abwehrreaktionen. Entweder heißt es: Die Täter kamen von außerhalb. Oder: Das ist nicht typisch für unsere Stadt.

Diesen Reflex kenne er, sagt Schröter. Ja, in Jena habe es ein starkes, gewalttätiges Neonazi-Milieu gegeben – nach der Wende, im großen Umbruch der Verhältnisse und Biografien, aber auch schon zuvor, in der DDR-kritischen Szene der siebziger, achtziger Jahre. Rechte Einstellungen verfestigten sich vom jugendlichen Trotz gegen das SED-Regime zur Nazi-Popkultur, dann zur politischen Ideologie. Trotzdem sei Jena kein braunes Nest, im Gegenteil.

Schröters Bürgerschafts-Ideal heißt kritische Zivilgesellschaft. In Jena reifte sie behäbig. Obwohl hier die akademischste Einwohnerschaft Deutschlands wohnt, wurde dem braunen "Deutschland, erwache!" erst spät ein "Deutschland, wach auf!" entgegengesetzt. Auslöser war der Rudolf-Heß-Gedenkmarsch 2007. Die Heß-Horden paradierten nicht an der Plattenbau-Peripherie, sondern durch Jenas Zentrum und das honorige Damenviertel. Allgemeines Entsetzen! Es reichte. Jena, die prosperierende Leuchtturm-Stadt des Ostens, wurde sittlich anspruchsvoll.

Wenig später planten die Rechten im Paradies-Park an der Saale ihr sogenanntes Fest der Völker. 3000 alarmierte Bürger blockierten das Nazi-Konzert. Davon schwärmt Schröter noch heute. Jena stand Phalanx gegen rechts, der Professor mit dem Zeiss-Arbeiter, der linke Sponti mit der Bürgersfrau. Sie spürten ihre Wirksamkeit, sie erfuhren sich selbst als moralische Mehrheit ihrer Stadt. Daraus entstand das Jenaer Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus. Im Jahr darauf wichen die Nazis nach Altenburg aus. In 14 Bussen reisten die Jenaer an und halfen bei der dortigen Bürgerblockade. Sie fuhren auch nach Dresden und verstärkten den sächsischen Widerstand gegen die Marschkolonnen, die das Bombennacht-Gedenken zur Nazi-Propaganda pervertierten. Das hatte Folgen.

Der Freistaat Sachsen fiel in Thüringen ein. Sächsische Polizei belohnte Jenas Demokratie-Export mit einer Razzia in der Jungen Gemeinde Stadtmitte. Tillichs Truppen beschlagnahmten den Lautsprecherwagen, mit dem die Antirassisten um den linksanarchischen Jugendpfarrer Lothar König Dresdens christdemokratische Ruhe gestört hatten. Diese Arroganz der herrschenden Partei, sagt der SPD-Mann Schröter. Diese Das-Land-gehört-uns-Haltung, auch in Fragen des Extremismus. Man ist blind auf dem rechten Auge. Die Politik könnte so viele Zeichen der Ermutigung in der Zivilgesellschaft setzen – auch Herr Tillich in Sachsen. Aber die CDU fürchtet, dass die Unterstützung linker Träger linke Wähler erzeugt.

Seite 2: Bei der Thüringer Landtagswahl 2009 erzielte die NPD in Jena ihr schlechtestes Ergebnis.

Oberbürgermeister Schröter lud Ministerpräsident Tillich nach Jena ein, zum Gespräch über Strategien gegen rechts. Den Brief erwiderte ein Staatsanwalt. Anmaßend und belehrend, sagt Schröter und erwähnt gewisse Unterschiede in den DDR-Biografien. Schröter war Nicht-FDJler und Pfarrer, Tillich Abteilungsleiter im Rat des Kreises Kamenz.

Warum sind Sie für ein NPD-Verbot?

Weil es ein Skandal ist, dass diese Partei Steuergelder bekommt, vom V-Mann-Sponsoring ganz zu schweigen. Zum Teil hat der Verfassungsschutz die rechten Strukturen ja erst aufgebaut.

Aber Nazis bleiben Nazis, mit oder ohne Partei. Dieser grauenhafte Mangel mitmenschlicher Empathie, diese verinselten Seelen...

Deshalb suchen ja viele die rechte Kameradschaft, erklärt der OB, nun als Christ und Theologe. Ich unterscheide zwischen der Ideologie und dem einzelnen Menschen, mit dem ich jederzeit sprechen würde. Der Irrtum ist abzulehnen, der Irrende nicht.

Die Nazis haben um diese Uni-Stadt gekämpft und verloren, sagt ein Lehrer

Vor Schröters neuem Rathaus erhebt sich seit 2010 das Denkmal des Widerstands gegen die kommunistische Diktatur: zu Säulen gestapelte Stasi-Karteikästen aus Beton. Sie nennen Daten und Namen. Wolf Biermann hat seinen Kasten, der Jenenser Roland Jahn, der 17. Juni, der erschossene Alfred Diener, Robert Havemanns Dialektik ohne Dogma... Aber wie geschönt, wie demokratisch retuschiert ist unser retrospektives Bild von DDR-Opposition. Auch alte und neue Nazis trotzten dem SED-Staat. Und tendiert nicht das CDU-Mantra der »Äquidistanz« zu Rechts- und Linksextremismus selbst nach rechts? Es verharmlost die braune Ideologie. Rassische Elite, homogene Volksgemeinschaft, minderwertiges Menschenmaterial propagiert die Linke nicht.

Auf einem der Denkmalskästen steht: Junge Gemeinde. Die zu Jena ist weithin berühmt, dank Lothar König. Der wallebärtige Monarch und sein uriges Reich in der Johannisstraße 14 wurden oft beschrieben, ebenso der JG-Widerstand gegen rechts, für den die Tapferen, im Wortsinn, bluten mussten. Es gab viele Nazi-Überfälle. In diesen Tagen rennen die Medien König die Bude ein. Pfarrer König predigt Wachsamkeit, wie seit 20 Jahren. Ein riesiger schwarzer Hund packt uns sein warmes Haupt aufs Knie. Unablässig Selbstgedrehte quarzend, sinniert der Hausherr, welche Musik zur abendlichen Kundgebung passe. Hart soll sie sein, aber schön. Wagner? Carmina Burana? Im Hintergrund singt Jim Morrison. Jaaa!, ruft König. Die Kraft der alten Zeiten! Wir sind keine Opfer, damit ist seit Jesus Schluss.

Persönlich gekannt hat König das Mörder-Trio nicht. Uwe Mundlos, der Professorensohn? Ein Köpfchen-Typ, sagt König, der passte zu Jena. Was, wenn er beizeiten zu uns in die JG gekommen wäre? Hätten wir ihn erreicht? Vater Mundlos sei ein weicher, liebenswürdiger Mensch, doch Uwe habe Reibung, Widerstand gesucht und Grenzen getestet, schon als Schüler, als er die ratlosen Lehrer mit NS-Thesen provozierte. Nach der Wende verloren dann die DDR-Instanzen jede Autorität. Authentisch blieb die rechte Szene, die dem SED-Staat widerstanden hatte. Dann spricht König über die Folgen der Illegalität. Isolation, sagt er, keinerlei normales Leben. Die Gefühle sterben, die Lebensfreude geht kaputt. Nach drei, vier Jahren ist man fertig, tot. Seit 1997 waren die drei im Untergrund. Die Morde geben dieser Art zu existieren Sinn: Jetzt kann man glauben, dass man’s für die rechte Sache auf sich nimmt. Diese Rechtfertigung ihrer Situation haben sich die Mörder geholt.

Wir machen in Jena die Runde. Wir besuchen Matthias Stein, den Fanbeauftragten des FC Carl Zeiss Jena. Er rühmt Schröter und König und die antirassistische Klarheit des Clubs. Kürzlich feierte das Fanprojekt sein 20-jähriges Bestehen, eingerahmt in die Ausstellung Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Jena-Ultras seien links, die Nazis hätten sich verzogen oder träten nicht hervor. Aber in der Gewaltverfolgung läuft was falsch, sagt Stein. Fußballfans, die ein paar Bengalen abgebrannt oder im Stadion einen Papierkorb umgeschmissen haben, werden vor Gericht gezerrt. Anderseits können polizeibekannte Leute mordend durch die Lande ziehen, und nach über zehn Jahren stellt man fest: Huch, das war ja immer dieselbe Pistole!

Was dem Osten fehle, sei ein 1968. So urteilt der Gewerkschaftssekretär Christoph Ellinghaus. Der 68er-Aufbruch habe den Westen verändert, in hart ausgetragenen Konflikten. Im Osten gebe es ein ungebrochenes Autoritätsverständnis, wobei das in Jena anders geworden sei. Früher überließ man hier den Kampf gegen rechts ein paar Zuständigen, sagt Ellinghaus. Jetzt, mit dem gesettelten Selbstbewusstsein einer prosperierenden Stadt, will sich die Bürgerschaft auch politisch betätigen. Bei der Thüringer Landtagswahl 2009 erzielte die NPD in Jena ihr schlechtestes Ergebnis, unter zwei Prozent.

Seite 3: "Wir haben dieses Pack aus der Stadt vertrieben"

Die Nazis haben um diese Universitätsstadt gekämpft und verloren, sagt der Lehrer Jörg Dern. Die wollten weg vom Dumpfbacken-Image. Wir haben dieses Pack aus der Stadt vertrieben, da sind wir stolz drauf.

Ich würde gern behaupten, dass es in Jena eine bestimmte Wachheit gibt, sagt die Mediatorin Luise Zimmermann. 2007 gehörte sie zu den Blockade-Aktivisten und Gründern des Jenaer Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus. In Jena renne man bei der Stadtverwaltung offene Türen ein, wolle man was gegen rechts unternehmen. Doch gebe es auch dunkle Seiten, Pöbeleien gegen ausländische Studenten, prekäre Ecken in Lobeda und Winzerla...

In einem der Häuser lebte eine spätere Terroristin als Kind – Ulrike Meinhof

Da gehe er eben nicht hin, erklärt Louis Siewe aus Kamerun. Vor zehn Jahren kam er nach Jena und organisiert hier das interkulturelle Festival De Colores. In der Stadt fühle er sich sicher, Tag und Nacht.

Hat es Sie überrascht, dass die Mörder aus Jena kamen?

Siewe lächelt ironisch: Ich habe schon vorher gewusst, dass Nazis Menschen umbringen.

Mindestens 148 starben seit 1990. Wie viele wurden verletzt, zum Krüppel geschlagen, lebenslang traumatisiert? Allen Opfern gilt der Gedenkzug, der am Abend von der Breitscheidstraße zum Holzmarkt wandert. Aus dem JG-Lautsprecherwagen donnern Ton Steine Scherben und die Stones: Sympathy For The Devil. 400 Menschen sammeln sich am Holzmarkt. Sie legen weiße Rosen nieder, sie entzünden Kerzen, sie sprechen Erfahrungen aus und Worte der Widmung. Dann verläuft sich die Menge. Die Nacht kommt. Luise Zimmermann überlegt, ob man das Gedenk-Rondell bewachen solle. Was, wenn die Rechten es verwüsten?

Das wäre dann auch eine Jenaer Kundgebung.

Am Morgen liegen die Rosen unversehrt. Etliche Kerzen flackern noch. Ein Bürger geht vorbei. Hastdunichtgesehen, rupft er drei kleine Plakate ab, die das Mahnmal erläutern, zerknüllt sie, wirft sie fort. Wir befragen Passanten. Tenor: NPD verbieten, rechtskorrupter Verfassungsschutz. Der Bürger Markus Twellenkamp erzählt, in seinem Hause habe als Kind Ulrike Meinhof gewohnt. Ihr Vater war in der Nazi-Zeit Direktor des Jenaer Stadtmuseums Göhre.

Jetzt kommen Glatzen. Ein Kamerad brüllt: Terrorzelle Zwickau, schalalalali!

Was sagt ihr denn dazu, dass die Terrorzelle aus Jena kam?

Braune Armee Fraktion, Blödsinn. Komm uns nicht mit dem Scheiß. Deutschland hat ganz andere Sorgen.

Welche denn?

Ähm. Dass Deutsche kein Geld für den Weihnachtsmarkt haben.

Zuerst erschienen auf Zeit Online.

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