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Der Angolaner Amadeu Antonio Kiowa wird in der Nacht zum 25. November 1990 von circa 60 Rechtsextremisten zu Tode geprügelt.

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Rechtsextremismus: Die bittere Lektion rechter Gewalt

Seit 1990 sind mindestens 137 Menschen bei Angriffen von rechten Gewalttätern ums Leben gekommen. In die Freude über zwei Jahrzehnte Einheit mischt sich Entsetzen. Ein Kommentar in unserem Themenschwerpunkt.

Von Frank Jansen

Es sind nur noch zweieinhalb Wochen, dann kann die Bundesrepublik den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung feiern. Ein schöneres Datum gibt es in der deutschen Geschichte seit dem Kriegsende 1945 nicht, trotz wirtschaftlicher Krisen und der vielen Probleme im Zusammenwachsen von Ost und West. Doch die werden nachlassen, auch wenn es dauert. Eine Plage allerdings lastet, fast wie ein Fluch, auf den zwei Dekaden der Einheit. Und es ist nicht zu erwarten, dass sie verschwindet oder wenigstens deutlich schwächer wird. Der Rechtsextremismus, mit seinem Hass, seiner Hetze, seiner Gewalt, trifft Deutschland seit der Wiedervereinigung in einem Maße, das sich niemand vor dem 3. Oktober 1990 hätte vorstellen können. Rechter Straßenterror hat in den 20 Jahren Einheit mindestens 137 Menschen das Leben gekostet. In die Freude über zwei Jahrzehnte Einheit mischen sich Entsetzen und Scham.

Staat und Gesellschaft sind nicht in der Lage, die rechte Gewalt zu stoppen. Das ist nicht nur in Ostdeutschland so, wo jungbraune Fanatiker häufiger zuschlagen als im Westen. Auch dort sind viele Tote zu beklagen. Die Brandanschläge in Mölln und Solingen, die von einem Neonazi kaltblütig inszenierte Hinrichtung einer Familie in Overath, der tödliche Messerangriff eines Skinheads auf drei junge Aussiedler in Heidenheim – das sind Taten, die in Westdeutschland geschahen. Einige verursachten ähnliche Schockwellen wie die pogromartigen Krawalle vor Flüchtlingsheimen in Hoyerswerda und Rostock. Es gibt keinen Flecken in der Bundesrepublik, in dem ein rechtsextremer Mord unvorstellbar ist. Diese bittere Lektion hat das Land in den vergangenen 20 Jahren lernen müssen.

Ein wirksames Gegenmittel konnte die Demokratie bisher nicht finden. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Dimension der rechten Gewalt nur zum Teil wahrgenommen wird. Die Polizei meldet für die Jahre von Oktober 1990 bis heute lediglich 47 Todesopfer. Das sind 90 weniger, als Tagesspiegel und „Zeit“ recherchiert haben. Obwohl die Innenminister von Bund und Ländern sich vor zehn Jahren auf ein neues, deutlich erweitertes System zur Erfassung politisch motivierter Kriminalität verständigt hatten. Doch immer noch gibt es reichlich Fälle, in denen die Strafverfolger ein rechtes Tatmotiv kaum oder gar nicht ergründen. Wie aber soll und kann dann eine Gesellschaft, die sich selbst ständig zu Zivilcourage aufruft, die Gefahr des Rechtsextremismus im vollen Ausmaß begreifen?

Da stoßen auch die vielen Initiativen gegen Rechtsextremismus und Rassismus an ihre Grenzen. Außerdem ist ihre mühsame Arbeit zur Aufklärung über rechtsextreme Strukturen und bei der Betreuung von Opfern brauner Gewalt permanent gefährdet, weil die Dauer staatlicher Finanzhilfen oft unklar erscheint. Den Initiativen vorzuhalten, sie hätten versagt, weil auch ihr Engagement die rechte Gewalt nicht aufhalten kann, ist allerdings billig und unfair. Eher scheint die Annahme berechtigt, ein solides und professionell organisiertes Gerüst, beispielsweise eine Bundesstiftung, könnte die Wirkung von Aufklärung und Opferhilfe deutschlandweit verstärken. Der politische Wille dazu ist jedoch bei der Bundesregierung nicht zu erkennen. Das war auch bei ihren Vorgängern kaum anders.

Es ist zu befürchten, dass der rechte Straßenterror anhält, dass auch in 20 Jahren zahlreiche weitere Opfer zu beklagen sind. Viele Demokraten, zu viele in diesem Land, nehmen es hin. Auch darüber wäre am 3. Oktober zu reden.

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