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Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, spricht im Tagesspiegel-Interview über die Folgen des rechten Terrors.

© dpa

Verfassungsschutzpräsident: "Wir haben derartige Verbrechen nicht für möglich gehalten"

Heinz Fromm zeigt sich beunruhigt über Sympathiebekundungen von Neonazis für die Jenaer Terrorzelle. Im Interview spricht er über ein NPD-Verbot und die zunehmende Militanz von Rechts.

Von Frank Jansen

Sind Sie es leid, Verfassungsschützer zu sein?

Überhaupt nicht. Ich war immer darauf eingestellt, dass auch schlimme Dinge passieren können. Das gehört bei meinem Beruf dazu. Allerdings, eine Terrorzelle wie den „Nationalsozialistischer Untergrund“ habe ich mir in dieser Dimension nicht vorstellen können.

Sie sind jetzt mit elf Jahren Amtszeit einer der dienstältesten Chefs im Verfassungsschutz. Können Sie sich daran erinnern, dass Ihre Arbeit jemals so hart kritisiert wurde wie heute?

Ich habe eine solche Erfahrung bislang nicht machen müssen, auch wenn es immer wieder auch Diskussionen und Kritik gab, wie nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als bekannt wurde, dass einige der Selbstmordpiloten zuvor in Hamburg gelebt hatten.

Fast 14 Jahren konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aus dem Untergrund heraus agieren – bis hin zu Morden, Sprengstoffanschlägen und Banküberfällen. Wie war das möglich?

Nachdem diese dem Verfassungsschutz schon als Neonazis bekannten Personen untergetaucht waren, haben mehrere Landesbehörden für Verfassungsschutz, auch mit Hilfe des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zahlreiche Maßnahmen ergriffen, sie zu finden. Rund vier Jahre ist intensiv gesucht worden, dann endeten diese Bemühungen. Ein eindeutiger Grund hierfür ist nicht erkennbar.

Wieso nicht?

Es ist im Moment nicht nachvollziehbar, warum die Bemühungen der Behörden Ende 2001 weitgehend eingestellt wurden. Man kann darüber lediglich Vermutungen anstellen: Vielleicht war es von Bedeutung, dass sich nach den Anschlägen vom 11. September der Blick sehr stark auf den islamistischen Terrorismus richtete. Und es könnte eine Rolle gespielt haben, dass ab 2002, wegen des damals anhängigen NPD-Verbotsverfahrens, V-Leute in der rechtsextremistischen Szene abgeschaltet worden waren. Damit verschlechterte sich für den Verfassungsschutz die Zugangslage, auch in der Neonazi-Szene. Außerdem waren ab 2003 die meisten Taten des Trios verjährt. Das hatte Folgen für die polizeiliche Fahndung, sie wurde eingestellt. Für den Verfassungsschutz hätte dieser Umstand allein kein Grund sein müssen, sich nicht weiter um die Verschwundenen zu kümmern. Aber es gab ausweislich der mir bekannten Akten keine Hinweise mehr.

Haben Sie oder ein anderer Experte beim Verfassungsschutz nie den Verdacht gehabt, hinter der Serie von Morden an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft könnten militante Rechtsextremisten stecken?

Ich persönlich nicht. Es wurde zwar viel über die Mordserie gesprochen, aber soweit ich weiß, nie gezielt ein rechtsextremistischer Hintergrund weiterverfolgt. Der Grund dafür war offenbar, dass eine solche Hypothese nicht mit Fakten zu unterlegen war. Im Übrigen hat auch außerhalb der Sicherheitsbehörden niemand von denjenigen, die ebenfalls die rechtsextremistische Szene beobachten, je geäußert, die Morde seien womöglich einer rechtsextremistischen Terrorgruppe zuzuordnen. Weder Journalisten noch Initiativen gegen Rechts haben jemals so etwas vermutet.

"V-Leute sind kein perfektes Instrument"

Brauner Terrorismus ist aber in Deutschland keine unbekannte Größe. Nach der Wiedervereinigung haben zwei Terrorgruppe in Brandenburg versucht, mit Brandanschlägen Migranten zu vertreiben. Und in München wollte die Gruppe um Martin Wiese mit einer Rohrbombe die Baustelle des Jüdischen Kulturzentrums angreifen.

Solche Taten entsprachen ja auch dem Bild von rechtsextremistischem Terror – Anschläge mit Brandsätzen oder Sprengstoff. Aber dass einzelne Personen durch Kopfschüsse gezielt hingerichtet werden, war außerhalb auch unserer Vorstellungswelt. Anders war es nach dem Anschlag mit der Nagelbombe im Jahr 2004 vor einem türkischen Friseursalon in Köln: das BfV hatte danach geprüft, ob sich die Täter an einem Papier der rechtsextremistischen englischen Terrorgruppe Combat 18 orientiert haben könnten. In einer Publikation mit der Bezeichnung „Stormer“ war in diesem Zusammenhang 2001 eine Anleitung zum Bau einer Nagelbombe veröffentlicht worden. Darauf haben wir hingewiesen. Doch die Ermittlungen ergaben nichts in dieser Richtung. Auch einige Neonazis aus der Region waren intensiv überprüft worden, aber auch das verlief ergebnislos.

Aber ein rassistisches Tatmotiv war doch nicht nur in Köln naheliegend.

Ich bin nicht sicher, dass das angesichts der damals über die Mordserie bekannten Umstände wirklich naheliegend war, zumal es an Tatbekennungen fehlte. Die Terrorzelle hatte zwar Videos produziert, diese aber – nach dem heutigen Stand der Ermittlungen – bis zuletzt für sich behalten.

Was taugen die vielen V-Leute in der rechtsextremen Szene, wenn keiner von ihnen willens oder in der Lage war, die Umtriebe der Terrorgruppe zu melden?

Die Annahme, dass V-Leute nur etwas taugen, wenn sie überall sind, alles erfahren und alles mitteilen ist lebensfremd. V-Leute sind kein perfektes Instrument, im Gegenteil, die Arbeit mit menschlichen Quellen ist stets besonders anspruchsvoll. V-Leute sind aber bei professioneller Nutzung ein wertvolles, ja unverzichtbares Mittel zur Extremismusaufklärung. Auch bei der Suche nach dem abgetauchten Trio gab es zahlreiche Hinweise von V-Leuten. Diesen sind die Verfassungsschutzbehörden nachgegangen, leider ohne Erfolg.

Haben Sie den Eindruck, die Verfassungsschutzbehörden in Thüringen und Sachsen könnten Erkenntnisse über die Terrorzelle unterdrückt haben?

Das BfV hat, der damaligen Praxis entsprechend, nicht alle Informationen bekommen. Ich sehe bislang nicht, dass wichtige Erkenntnisse zurückgehalten wurden. Die Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse durch die beteiligten Verfassungsschutzbehörden ist noch nicht abgeschlossen.

Wie eng war die Terrorgruppe mit der NPD liiert? Kann man von einer organischen Verbindung sprechen, wie sie einst die baskische Partei Herri Batasuna zur ETA unterhielt?

Einige Rechtsextremisten, die jetzt von der Bundesanwaltschaft als Beschuldigte oder Verdächtige geführt werden, hatten Kontakte zur NPD oder waren sogar Parteifunktionäre. Aber es gibt bislang keinen Beleg für die Annahme, der NSU sei ein Instrument oder gar Bestandteil der NPD gewesen.

"Ein NPD-Verbot würde das Gewaltproblem nicht lösen"

Viele Politiker sprechen sich jetzt für ein Verbot der NPD aus. Wie reagiert die Partei darauf?

Die NPD ist einerseits besorgt, dass der Aufschwung nun blockiert sein könnte, den sie sich von dem Führungswechsel im November und dem „neuen Kurs“ erhofft. Den ich im Übrigen für ein ziemlich unverfrorenes Täuschungsmanöver halte. Andererseits herrscht in der Partei eine gewisse Zuversicht, auch ein zweites Verbotsverfahren überstehen zu können und mit dem Rückenwind daraus dann auf die Erfolgsspur zu kommen.

Um ein Verbot zu erreichen, müsste der Verfassungsschutz viele, wenn nicht alle V-Leute in der Partei abschalten. Sind die Spitzel verzichtbar?

Inwieweit der Abzug von V-Leuten aus den Führungsebenen der NPD für den Erfolg eines Verbotsantrags erforderlich ist, wird sorgfältig geprüft werden. Dass damit gegebenenfalls Informationsverluste verbunden sein würden, liegt auf der Hand.

Könnte ein Verbot der NPD die Gewalt der rechtsextremen Szene bremsen?

Ein Verbot hätte den sehr wünschenswerten Effekt, dass der Schutzschirm des Parteienprivilegs für die mit der NPD eng verbundenen Neonazis entfiele. Diese könnten die Partei nicht mehr für Veranstaltungen nutzen. Ich denke beispielsweise an Konzerte mit rechtsextremistischer Musik, die häufig als „Einstiegsdroge“ für junge Leute in die rechtsextremistische Szene wirkt. Aber das Gewaltproblem wäre mitnichten gelöst. Es ist schon jetzt so, dass militante neonazistische Akteure, zum Beispiel bei den besonders aggressiven Autonomen Nationalisten, mit der NPD nichts zu tun haben wollen. Diese Neonazis halten die Partei für „verbürgerlicht“ und nicht radikal genug. Für Gewalt und Terror im Rechtsextremismus ist die Existenz der NPD keine Voraussetzung.

Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten ist in diesem Jahr um weitere 300 auf 9800 gestiegen. Was braut sich da zusammen?

Es ist seit Jahren erkennbar, dass das Personenpotenzial im Rechtsextremismus insgesamt schrumpft. Ein Grund ist die Erosion der ehemals zweiten großen rechtsextremistischen Partei „Deutsche Volksunion“. Andererseits gibt es in der Tat einen stetigen Zuwachs bei den Neonazis. Da sie grundsätzlich gewaltbereit sind, bedeutet das: der Rechtsextremismus in Deutschland wird tendenziell aktionistischer und militanter. Sorge bereiten auch aktuelle Informationen, dass einzelne intern ihre Sympathie für die Gewalttaten des NSU geäußert haben. Die Erfahrung zeigt im Übrigen, dass solch spektakuläre Ereignisse immer auch Anreiz für Nachahmungstaten sein können. Auf diese Dinge müssen wir uns jetzt konzentrieren. Dabei ist es von Vorteil, dass die Landesbehörden für Verfassungsschutz gemäß Beschluss der Innenministerkonferenz seit dem 15. Dezember sämtliche Informationen über den militanten Rechtsextremismus dem BfV als Zentralstelle zuleiten. Das ist ein entscheidender Schritt in unserem föderalen Sicherheitssystem.

Können Sie ausschließen, dass derzeit eine weitere rechtsextreme Terrorgruppe ihr Unwesen treibt?

Darauf gibt es keinen Hinweis. Wir werden aber im gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, das der Bundesinnenminister am Freitag eröffnet hat, zusammen mit der Polizei prüfen, ob sich andere derartige Zellen gebildet haben und wie sich diejenigen verhalten, die schon in der Vergangenheit durch Gewalttaten aufgefallen sind. Der Verfolgungsdruck muss und wird sich deutlich erhöhen.

"Mich haben die Erkenntnisse über die NSU-Terrorzelle erschreckt"

Der Verfassungsschutz soll nun effektiver werden und enger mit der Polizei kooperieren. Wäre damit garantiert, dass die Sicherheitsbehörden so schnell nicht wieder die rechtsextreme Terrorgefahr unterschätzen?

Es darf künftig nicht mehr passieren, dass Rechtsextremisten, die von den  Sicherheitsbehörden für gefährlich gehalten werden, nach einiger Zeit aus dem Blick geraten. Insofern werden wir künftig einen sehr viel stärker personenzentrierten Ansatz verfolgen – so wie das seit längerem und mit Erfolg im Bereich des islamistischen Terrorismus geschieht.

In Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 wurden beim BfV die Abteilungen zur Beobachtung von Rechtsextremismus und Linksextremismus ausgedünnt und zusammengelegt. War das ein Fehler?

Das BfV hat nach dem 11. September neue Prioritäten setzen müssen. Durch die Zusammenlegung der beiden Abteilungen wurden Ressourcen frei, die zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus eingesetzt worden sind. Ob wir ohne diese organisatorische Veränderung bei der Aufklärung des Rechtsextremismus erfolgreicher gewesen wären, ist durchaus denkbar. Belegen lässt sich das aber nicht.

Haben Sie selbst Fehler gemacht?

Mich haben die Erkenntnisse über die NSU-Terrorzelle erschreckt. Ich bedauere, dass wir derartige Verbrechen, insbesondere die Hinrichtung völlig ahnungsloser Menschen aus unserer Mitte, nicht für möglich gehalten haben. Ich weiß, dass nicht nur für mich das Nachdenken darüber, ob es Möglichkeiten gegeben hätte, dies zu verhindern, so schnell nicht beendet sein wird.

In anderthalb Jahren erreichen Sie die Pensionsgrenze. Was nehmen Sie sich für die restliche Zeit im Amt noch vor?

Ich möchte dazu beitragen, die Maßnahmen zur intensivierten Bekämpfung des Rechtsextremismus zügig umzusetzen. Allerdings habe ich nicht die Illusion, dass der Rechtsextremismus in Deutschland hierdurch beseitigt werden könnte. Es muss aber gelingen, die davon ausgehenden Gefahren so weit einzudämmen, dass solche Terrorakte nie wieder möglich werden.

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