zum Hauptinhalt

Rechtspopulist freigesprochen: Geert Wilders, der Islam und die Demokratie

Wo hört Meinungsfreiheit auf? Wann fängt Beleidigung an? Eineinhalb Jahre dauerte der Prozess um Äußerungen des Rechtspopulisten Geert Wilders. Worum ging es dabei genau?

Bei den letzten Worten des Vorsitzenden Richters ertönt lauter Jubel. Von den Zuschauertribünen schwemmt er in den Gerichtssaal wie eine Welle, die sich bricht. Erleichtert lachend steht Geert Wilders auf und dreht sich um. In Siegerpose, mit ausgestreckten Armen, blickt der Fraktionschef der islamfeindlichen niederländischen Partei für die Freiheit PVV nach oben, um sich von seinen Abgeordneten feiern zu lassen.

Die haben wie bei jedem Sitzungstag während der letzten eineinhalb Jahre hinter der Glasscheibe im oberen Rang Platz genommen, um Wilders moralisch zu unterstützen. Bis Donnerstagmorgen kurz vor halb zehn das bizarre juristische Schauspiel um einen der schillerndsten Politiker Europas mit den Worten zu Ende geht: "Freispruch in allen Punkten."

Bizarr ist das Ringen in dem nüchternen Gerichtsaal von Anbeginn gewesen in einem Prozess, der gegen den Willen der Staatsanwaltschaft geführt wurde. Die hatte im Januar 2009 erst von einem Berufungsgericht gezwungen werden müssen, Anklage gegen Wilders zu erheben, nun plädierte sie selbst für einen Freispruch.

Vor dem Amsterdamer Bezirksgericht musste sich der umstrittene Polderpopulist wegen Beleidigung einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Religion sowie Anstachelung zu Hass und Diskriminierung verantworten müssen, wobei es in allen Fällen um Muslime geht. Basis waren Wilders provozierende, islamfeindliche Bemerkungen der letzten Jahre in niederländischen Medien und in seinem Anti-Islamfilm „Fitna“. Mit diesem Film erregte er 2008 weltweit Aufsehen. Darin reihte Wilders Bilder von Terroranschlägen aneinander und kombinierte sie mit Aufnahmen von Steinigungen und Enthauptungen, Koransuren und Hasspredigern, die zum Töten aller Nichtmuslime aufrufen.

„Fitna“ war eine Kriegserklärung. Vier Jahre zuvor hatte sich der stets elegant gekleidete und schneidig auftretende Blondschopf im Streit um den EU-Beitritt der Türkei von der rechtsliberalen VVD getrennt und schien in seiner Heimat zunächst politisch erledigt. Doch noch im selben Jahr 2004 wurde der islamkritische Amsterdamer Regisseur Theo van Gogh ermordet. Das verschaffte Wilders einen enormen Popularitätsschub. Er wurde bedroht, musste untertauchen, sein Kampf gegen den Islam wurde zunehmend zu einem persönlichen Kreuzzug. „Es geht hier um einen Kampf, wir müssen uns verteidigen“, fordert er. „Bald gibt es bei uns mehr Moscheen als Kirchen.“ Die Regierung in Den Haag habe diesem „Tsunami einer uns wesensfremden Kultur, die hier immer dominanter wird“, einen Riegel vorzuschieben.

Der Islam ist für Wilders keine Religion, sondern eine gefährliche Ideologie. Und der Koran ein faschistisches Buch wie Hitlers „Mein Kampf“, das verboten werden müsse. „Je mehr Islam, desto weniger Freiheit“, pflegt Wilders zu sagen.

Mit solchen Sätzen brüskiert er die muslimische Minderheit und polarisiert auch die öffentliche Debatte. Und viele Niederländer meinten, er gehe zu weit.

„Die Meinungsfreiheit hat Grenzen“, sagte Gerard Spong, der sich als einer der bekanntesten Anwälte der Niederlande für einen Prozess gegen Wilders einsetzte. Bereits im Dezember 2007 beschloss eine Reihe von niederländischen Bürgern und Anwälten, Immigrantenorganisationen und Stiftungen wie „Nederland bekent Kleur“ (Die Niederlande bekennen Farbe), Anzeige zu erstatten, um Wilders vor Gericht zu bringen, jenen Mann, den der niederländische Schriftsteller Geert Mak einmal „Händler in Sachen Angst“ genannt hatte.

Aber wo hört die Meinungsfreiheit auf, und wann fängt Beleidigung an? Darf sich ein Abgeordneter mehr herausnehmen als andere Bürger? Oder muss er besonders sorgfältig und verantwortungsvoll mit dem Recht der freien Rede umgehen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Verfahrens gegen Wilders, zu dessen Auftakt im Januar 2010 noch hunderte Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude zusammengekommen waren und Spruchbänder hochhielten. Es schien die niederländische Demokratie selbst auf dem Prüfstand zu stehen.

Wie Geert Wilders die politische Landschaft der auf ihre Liberalität so viel gebenden Niederlande verändert hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Zur Urteilsverkündung bleibt es auf dem Vorplatz des Amsterdamer Justizbaus leer. Nirgends mehr ein Spalier aus Demonstranten und Gegendemonstranten. Nicht nur die über Monate sich erstreckenden Expertisen der Rechtsgutachter haben das öffentliche Interesse abkühlen lassen. Auch Wilders Wahlerfolg vom Sommer 2010 ist über den Prozess hinweggerollt. 1,5 Millionen Wähler haben Wilders bei den letzten Parlamentswahlen ihre Stimme gegeben, trotz oder wegen seiner markigen Sprüche. Mit den etablierten Parteien, von denen sie sich im Stich gelassen fühlen, haben die Niederländer abgerechnet. Wilders’ PVV verdreifachte die Zahl ihrer Sitze und zog als drittstärkste Kraft ins niederländische Abgeordnetenhaus ein. Das Kabinett aus Rechtsliberalen und Christdemokraten gibt es in Den Haag nur, weil es von Wilders geduldet wird.

Geert Wilders hat die politische Landschaft der auf ihre Liberalität so viel gebenden Niederlande verändert, während der Prozess gegen ihn und das, was seinen Erfolg begründete, chaotische Züge annahm. Mehrmals wurde er unterbrochen. Einmal mussten wegen Befangenheit sogar die Richter ausgetauscht werden. Eine Sonderkommission bescheinigte dem Amsterdamer Bezirksgericht, seine Richter schlecht auf dieses Verfahren vorbereitet zu haben. Der Aufruhr und der Wirbel, den es in den Medien verursacht habe, sei vollkommen unterschätzt worden.

Für Unklarheit sorgte auch die Haltung der Anklagebehörde, die gar nicht Anklage erheben wollte. In den Niederlanden gilt das Opportunitätsprinzip. Im Gegensatz zum Legalitätsprinzip wie in Deutschland gibt es der Staatsanwaltschaft freie Hand, in erster Instanz selbst zu entscheiden, ob sie einen Prozess eröffnen soll oder nicht. Es ist ein pragmatischer Ansatz.

„Es geht hier um eine politische Debatte, für die man nicht das Strafrecht zu bemühen hat“, findet der Utrechter Strafrechtsexperte Theo de Roos. Der 62-jährige Professor ist kein Sympathisant Wilders’, dennoch wäre er bereit gewesen, als Zeuge seiner Verteidigung aufzutreten: „Die Meinungfreiheit ist ein zu verletzbares Gut, um gleich das Strafrecht auf sie anzusetzen“, sagt Roos. „Das sollte reserviert bleiben für Fälle, in denen durch bestimmte Aussagen oder Aufrufe akute Gefahr entsteht. Wenn Leben auf dem Spiel stehen.“

Die Richter sehen das genauso, das wird an diesem Donnerstagmorgen deutlich, zur großen Enttäuschung der Kläger. Auch wenn Wilders Worte zuweilen äußerst grob und abschätzig, schockierend und anstößig seien, wie Richter Marcel van Oosten einräumt, überschreite der Verdächtige die Grenze zum Strafrecht nicht. Und noch einen weiteren Dämpfer verpasst das Urteil den Anklägern. Denn es stellt Wilders’ Worte in den Kontext einer politischen Debatte. In einer Periode, in der in den Niederlanden viel und intensiv über die multikulturelle Gesellschaft und Immigration gesprochen wurde, „versuchte der Verdächtige, die gesellschaftlichen Missstände anzuprangern, die es seines Erachtens gab“.

Die Richter konnten bei ihrer Urteilsfindung auf einen Präzedenzfall zurückgreifen. Vergangenes Jahr wurde ein Mann von der höchsten juristischen Instanz der Niederlande, dem Hohen Rat, freigesprochen, nachdem er ein Plakat in seinem Fenster aufgehängt hatte mit den Worten: „Stoppt das Krebsgeschwür Islam!“ Strafbar hatte er sich damit nicht gemacht. Denn die Verunglimpfung einer Religion, so das Urteil, ist nicht automatisch auch eine Beleidigung aller Gläubigen. Wilders hatte immer wieder wohlweislich betont, nichts gegen Muslime zu haben, sondern gegen den Islam.

Die Kläger hatten gehofft, dass sich die Richter auf einen anderen Präzedenzfall berufen würden. Nämlich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der hatte vor zwei Jahren eine Geldstrafe gegen Jean-Marie Le Pen, den früheren Vorsitzenden der rechtsextremen französischen Partei Front National, bestätigt und festgestellt, dass „die Aufstachelung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine ethnisch oder religiös bestimmte Gruppe nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt ist“.

Im Gedränge der Kameras und Mikrofone spricht Geert Wilders nach der Urteilsverkündung von einem Sieg der Meinungsfreiheit: „Ich bin froh, dass ich den Islam weiterhin kritisieren darf und mir nicht der Mund verboten wird.“ Und sein Verteidiger, der Amsterdamer Staranwalt Bram Moszkowicz, betonte: „Nun steht fest, dass sich ein Politiker in der öffentlichen Debatte mehr herausnehmen kann als ein normaler Bürger: Er hat etwas mehr Spielraum.“ Es gibt eben doch Menschen erster und zweiter Klasse. Die einen werden gewählt. Und irgendwann wieder abgewählt.

Kerstin Schweighöfer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false