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Seid ihr alle da? Ja! Die Abgeordneten der AfD-Fraktion während der konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages

© dpa

Rechtspopulisten im Bundestag: Wie die AfD die anderen Parteien vorführen will

Seit drei Monaten versucht die AfD im Bundestag, "Frau Merkel zu jagen". Ihre Anwesenheit im Parlament stürzt die anderen Parteien in mehrere Dilemmata - bietet aber auch eine Chance. Ein Essay.

Ein Essay von Maria Fiedler

Beatrix von Storch hat eine Frage. Die drahtige AfD-Politikerin im karierten Blazer meldet sich, reckt die Hand in die Höhe, beugt sich auf ihrem blauen Bundestagsstuhl ein bisschen nach vorn. Endlich darf sie reden. „Sind Sie der Ansicht“, fragt sie die CDU-Politikerin Nadine Schön, die gerade am Rednerpult steht, „dass bei Minderjährigen, bei denen wir Zweifel haben, diese Minderjährigkeit überprüft werden sollte?“ In dem Antrag der AfD, über den an diesem Tag das Plenum diskutiert, wird genau diese Überprüfung des Alters von minderjährigen Flüchtlingen gefordert. „Ja“, sagt Schön, die Union sei dieser Ansicht.

Es wird laut in den Reihen der AfD. Storch grinst und applaudiert. Fraktionschefin Alice Weidel ruft: „Dann machen Sie es doch!“ Ihr Kollege Alexander Gauland setzt hinzu: „Sie brauchen doch nur zuzustimmen! Mein Gott noch mal! Das ist wieder dieses CDU-Gelabere!“ Und Beatrix von Storch fasst kurz darauf nach: „Sie stimmen also unserem Antrag zu?“ „Nein“, antwortet die CDU-Frau Schön und lächelt freundlich. „Ihr Antrag ist von der Wortwahl und auch vom Inhalt her sehr polemisch.“ Das Wort „Hilfe“ komme überhaupt nicht vor, sagt sie. Es klingt wie eine Ausrede.

Drei Monate ist nun her, da haben die 92 AfD-Abgeordneten zum ersten Mal im Bundestag Platz genommen. Drei Monate, in denen Sätze im Plenarsaal gefallen sind wie „Merkel muss weg“ oder „Der Islam ist der Elefant im Raum“ . Drei Monate, in denen die Fraktionen zwar Gelegenheit hatten, die Strategie der AfD zu begutachten. In denen sie aber auch gemerkt haben, dass es keine einfache Antwort gibt auf die Frage, wie mit einer rechtspopulistischen Partei im Bundestag umzugehen ist. Leichter wird es künftig nicht werden. Erst recht nicht, wenn die Partei im Falle einer erneuten großen Koalition stärkste Oppositionspartei wird.

Der Titel ihrer Auftritte: Seht, so zeigen wir es denen!

Dabei ist es nicht so, dass die AfD besonders beeindruckende Parlamentsarbeit machen würde. Die Anträge gehen über die AfD-Kernthemen kaum hinaus: dauerhafte Aussetzung des Familiennachzugs, umfassende Grenzkontrollen, die Forderung nach einer Klage gegen den EZB-Anleihenkauf. Manche Reden und Wortbeiträge würden einem Faktencheck nicht standhalten. Und oft muss sich die AfD Kritik für handwerkliche Mängel ihrer Anträge anhören. „Frau Merkel jagen“ wollte die Partei im Bundestag. Davon ist noch nichts zu merken.

Was die AfD aber schafft, ist, sich den Bundestag zur Bühne zu machen. Sie inszeniert sich. Mal als einzig wahre Opposition, mal als Partei des einfachen Volkes, mal als Opfer unfairer Ausgrenzung. Es sind immer andere Stücke mit stets der gleichen Botschaft, die die AfD unter der Reichstagskuppel aufführt: Wir zeigen es den anderen! Denen, „die schon länger hier sitzen“, wie die AfD es gern formuliert. Die aufgezeichneten Reden verbreiten die AfD und ihre Anhänger im Internet, hunderttausendfach werden sie bei Youtube angesehen, bei Twitter geteilt, auf Facebook geliked. „Bundestag AfD macht Merkel BRUTAL FERTIG“, heißt dann ein Video. Oder: „Beatrix von Storch bringt den Bundestag zum Toben“. In dieser Gegenöffentlichkeit hat die AfD die Deutungshoheit über das, was im Plenarsaal passiert.

Was soll man dem entgegensetzen? Es gibt diese eine Debatte von Mitte Dezember, da hat man das Gefühl: So kann es funktionieren. „Schämen Sie sich nicht?“, hat da gerade der AfD-Politiker Stefan Keuter in Richtung Union, Grüne, SPD und FDP gefragt. Ohne Debatte hätten sie die „ jährliche automatische Diätenerhöhung“ durchwinken wollen. Keuter gibt sich empört. Im grauem Oberteil und passendem Tuch tritt wenig später Britta Haßelmann, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen ans Rednerpult. „Ich würde anstelle des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der AfD im Erdboden versinken“, ruft sie. Im Vorältestenrat habe man über die Änderung im Anpassungsmechanismus bei den Diäten geredet. Da habe es „keinen Widerspruch der AfD“, gegeben. Ein Raunen geht durch den Bundestag.

Die AfD schließt eine Repräsentationslücke, sie repräsentiert viel Frust

Haßelmann stemmt beide Arme aufs Rednerpult. In der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer, sagt sie, sei vereinbart worden, eine Beschlussfassung im Bundestag vorzunehmen. „Und dann werden heute die Backen so aufgeblasen! Wie scheinheilig ist das denn?“ Jetzt applaudieren alle, außer der AfD. Haßelmann setzt noch eins drauf: „Die haben noch nicht einmal einen Antrag auf Aussprache gestellt, der kam von der CDU/CSU. Wer meint hier im Parlament uns vorführen zu können, der muss früher aufstehen!“ Auch diese Rede ging im Internet viral. Ein Video hat mehr als 50 000 Aufrufe. Wann haben sich in der letzten Legislatur so viele Menschen dafür interessiert, was im Bundestag passiert? Es ist spannend geworden unter der Reichstagskuppel.

Darin, dass die AfD jetzt im Bundestag sitzt, liegt auch eine Chance für die Demokratie. Denn die Anwesenheit der Partei hat im Parlament eine Repräsentationslücke geschlossen. Das Wahlergebnis der AfD hat gezeigt, dass es nicht nur völkische Nationalisten sind, die die Partei wählen. Sondern dass es Menschen gibt, die von der CDU und anderen Parteien so enttäuscht sind, dass sie der AfD trotz ihrer rassistischen Ausfälle während des Wahlkampfs ihre Stimme gegeben haben. Menschen, denen es fast egal war, wen sie da eigentlich wählen, die mit ihrem Votum einfach den anderen Parteien eins auswischen wollten. Die ihnen mit ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel zurufen wollten: Könnt ihr uns wenigstens jetzt hören?

Die AfD repräsentiert diese Gruppen im Bundestag, deren Frust, deren Ängste, deren Vorstellungen davon, wie Deutschland sein sollte. Die anderen Parteien können sich jetzt direkt damit auseinandersetzen. Können antworten auf vermeintlich einfache Lösungen, auf populistische Forderungen, falsche Fakten und Vorurteile. Indem sie gleichzeitig die Probleme ernstnehmen, die die Partei hier anspricht, können sie den Anhängern der AfD eine Botschaft senden: Ja, wir hören euch jetzt. So zumindest die Theorie.

Mit der AfD abstimmen? Hilfe! Also aus Prinzip immer gegen sie sein?

In der Realität funktioniert das so nicht. Zumindest noch nicht. In der Realität gibt es 92 AfD-Abgeordnete, die meistens ziemlich vollzählig anwesend sind und die am Anfang bei noch fast jeder Rede ihrer Parteikollegen aufsprangen und laut applaudierten. 92 AfD-Abgeordnete, die stolz Selfies aus dem Plenarsaal und den Fraktionssitzungen twitterten. Und die jetzt bei jeder Gelegenheit versuchen, die anderen Fraktionen vorzuführen. Wofür sie manchmal sogar tricksen. Zum Beispiel wenn sie Bilder von ziemlich leeren Sitzreihen der anderen Fraktionen posten – aber 20 Minuten vor Sitzungsbeginn. Für einen kurzfristigen Twitter-Erfolg reicht das. Aus den Sitzungen selbst dürfen sie seit dem Twitterverbot, das Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble für alle verhängt hat, nicht mehr twittern.

Es sind Fehler im Umgang mit der AfD gemacht worden. Es ist verständlich, dass man auf einen Alterspräsidenten namens Wilhelm von Gottberg gut verzichten konnte, der den Völkermord am europäischen Judentum als noch immer „wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte“ ansieht. Dass man aber in der letzten Legislatur die Regeln änderte und nun der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident ist, war so leicht als „Lex AfD“ zu entlarven, dass man sich die Mühe einer anderslautenden Begründung hätte sparen können. Es war die erste Gelegenheit für die AfD, die Ausgrenzung durch die anderen Parteien zu beklagen. Dabei hätte die deutsche Demokratie eine Rede des 77-jährigen Gottbergs spielend ausgehalten.

Ausgrenzung nützt der AfD, das ist allen klar

Jetzt betonen die anderen Fraktionen zwar, dass man nicht extra wegen der AfD die Regeln ändern werde: Natürlich stehe der AfD dieser und jener Posten zu. Doch wenn es dann daran geht, die Nominierten der Partei auch zu wählen, wird es schwierig. Der Kandidat der AfD für den Posten des Bundestagsvizepräsidenten, Albrecht Glaser, fiel wegen seiner Äußerungen zum Islam drei Mal durch. Dann wurde Roman Reusch nicht gewählt, der AfD-Kandidat für das Geheimdienstkontrollgremium. Eine Begründung gab es diesmal nicht. Reusch war vor seinem Einzug in den Bundestag leitender Oberstaatsanwalt in Berlin. Er fiel zwar mit umstrittenen Thesen zur Ausländerkriminalität auf, wäre aber für das Gremium durchaus qualifiziert. Die Kandidaten, die die AfD jetzt für die drei ihr zustehenden Ausschussvorsitzposten vorgeschlagen hat, sind wiederum eine Kampfansage, so schwer werden sie für die anderen Fraktionen zu akzeptieren sein.

Roman Reusch von der AfD
Roman Reusch von der AfD

© dpa

Es ist für sie ein Dilemma: Man will sich nicht die Arbeit in den Ausschüssen kaputt machen lassen, der AfD aber eben auch die Opferrolle nicht zugestehen. Denn dass ihr Ausgrenzung letztendlich nützt, ist kein Geheimnis.

Wo kriegt man die Partei also zu packen? Schwierig ist das da nicht, wo sich die AfD daneben benimmt – wie kürzlich, als der Sohn der Tennis-Legende Boris Becker auf dem Twitter-Account des AfD-Abgeordneten Jens Maier rassistisch beleidigt wurde. Schwierig ist das aber dann, wenn die AfD Anträge einbringt und Positionen bezieht, die andere Parteien inhaltlich teilen. Das kann Union, FDP und selbst Linke betreffen. Es ist das zweite große Dilemma: Einem AfD-Antrag zuzustimmen, ist bislang undenkbar. Den Antrag nur mit der Begründung ablehnen, dass er von der AfD kommt, wollen auch die wenigsten. Also braucht es eine überzeugende Erklärung. Und die gelingt nicht immer. Das zeigte sich bei der CDU-Politikerin Schön in der Debatte um die Altersfeststellung bei Flüchtlingen .

„Polemisch“ sei der Antrag der AfD, voller „fremdenfeindlicher Prosa“ sagte sie. Liest man den Text, wird klar: Der Ton darin ist scharf. Da heißt es etwa, Falschaussagen zum Lebensalter seien in „in gravierendem Maße sozialschädlich“, weil sie zu hohen Kosten führten und „zu fehlerhaften Verurteilungen krimineller Ausländer nach Jugend- anstatt nach Erwachsenenstrafrecht“. Aber reicht die Wortwahl als formale Begründung aus? Überzeugend wirkt das nicht. Die SPD, die den Antrag auch inhaltlich ablehnte, etwa weil er Genitaluntersuchungen einschließt, hatte es da leichter.

Die anderen Parteien werden herausgefordert. Sie müssen auf Zack sein

Diese Dilemmata werden sich auch in Zukunft nicht auflösen lassen. Es hilft eigentlich nur: weiter machen, vorbereitet sein, Details kennen, mehr wissen – und dagegenhalten. Die Anwesenheit der AfD im Plenum sollte die Abgeordneten der anderen Fraktionen zu Höchstleistungen anspornen. Sie müssen weiter die Auseinandersetzung in der Sache suchen. Und sie dürfen nicht müde werden, den Behauptungen der Partei zu widersprechen, wenn sie falsch sind.

So, wie sie es bereits tun: Zum Beispiel als der bayerische AfD-Abgeordnete Stephan Protschka behauptete, die Grünen hätten ihren Widerstand gegen das Glyphosat in den Sondierungen aufgegeben zugunsten der Flüchtlingskrise – „sodass man noch mehr Flüchtlinge aufnehmen kann“. Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast korrigierte umgehend: In den Sondierungsgesprächen sei vereinbart worden, die Glyphosat-Entscheidung der EU-Kommission abzuwarten und im Falle einer Verlängerung Einschränkungsmaßnahmen vorzunehmen. „Haben Sie das nirgendwo gelesen?“, fragte Künast den AfD-Mann streng. Doch, „in der Presse...“, musste dieser daraufhin zugeben.

Sitzt man da oben auf der Pressetribüne im Bundestag, bekommt man Zweifel, ob das ausreichen wird. Denn egal wie leidenschaftlich die Redner da unten debattieren, egal wie gut die Argumente und Erwiderungen sind – ein großer Teil verhallt weitgehend ungehört. Der Bundestag soll eigentlich ein Schaufenster, eine Arena sein: Was hier passiert, ist kein Selbstzweck – es soll die Bürger, die potenziellen Wähler erreichen. Die AfD ist bisher die einzige Partei, die ihre Reden und Wortbeiträge so massiv über die sozialen Medien verbreitet. Zeitungen und Rundfunk können nicht voll umfänglich über alle Debatten berichten. Vielleicht müssten die anderen Parteien die Wortbeiträge ihrer Abgeordneten deshalb selbst noch stärker nach außen tragen, ihre Erwiderungen auf die AfD mehr als bisher bekannt machen, sie im Internet vermarkten. Und manchmal eben auch in Großbuchstaben.

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