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© AFP

Rechtsprechung: Wie ein freier Mann

Der zu lebenslang verurteilte SS-Offizier Priebke hat in Rom kaum noch Auflagen. Er war an der Erschießung von 335 italienischen Geiseln beteiligt.

Jeden Mittwoch fährt pünktlich um neun Uhr morgens eine Limousine im Park der römischen Villa Pamphili vor. Zwei Polizisten in Zivil und ein agiler älterer Herr mit Baskenmütze steigen aus. Er scherzt mit der Frau, die die Katzen füttert, fröhlich krault er junge Hunde, und dann dreht er seine Runde – flotten Schritts, in kerzengerader Haltung. Ein selbstbewusster alter Offizier, standesgemäß eingerahmt von seinen Adjutanten. Beschimpft ihn einer der Jogger, dann kratzt ihn das in keiner Weise.

93 Jahre alt ist Erich Priebke, Hauptsturmführer der SS und früher in Rom hochrangiges Mitglied der Gestapo-Führung. Am 24. März 1944 war er an der Erschießung von 335 italienischen Geiseln beteiligt; das Massaker in den „Ardeatinischen Höhlen“ gilt als Inbegriff für die Grausamkeit der deutschen Besatzungstruppen in Italiens Hauptstadt.

Fast 50 Jahre unbehelligt

Fast 50 Jahre blieb Priebke in Argentinien unbehelligt, 1995 wurde er an Italien ausgeliefert, 1998 als Kriegsverbrecher zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Aber Erich Priebke sitzt nicht im Gefängnis. Aufgrund seines Alters zu Hausarrest begnadigt, lebt er mitten in einem bürgerlichen Wohnviertel Roms; das komfortable Apartment hat ihm sein Anwalt Paolo Giachini überlassen.

Am Dienstagabend erreichte Giachini beim Militärgericht, dass sein Mandant nicht nur ab und zu in den nahen Park darf, sondern dass Priebke sich wann immer er will in die Anwaltskanzlei begeben und dort „arbeiten“ darf. Priebke muss der Polizei nur die Zeiten ankündigen; auch darf er das Büro im Stadtzentrum verlassen, für „unabdingbare Bedürfnisse des Lebens“.

Das Militägericht hat ihm "die Freiheit geschenkt"

Was die Angehörigen der Opfer, was Medien und (linke) Politiker aber am meisten empört, ist die Formulierung des Militärgerichts, Priebke dürfe sich ohne Begleitung, „wie eine freie Person“, zur Arbeit bewegen. „Damit haben sie die Strafe umgangen und ihm praktisch die Freiheit geschenkt“, sagt Amos Luzzatto, ein führender Vertreter der jüdischen Gemeinde, die in den Ardeatinischen Höhlen 75 ihrer Angehörigen verloren hat. Luzzatto argwöhnt, Priebke wolle eine Flucht vorbereiten, so wie sein einstiger Chef Herbert Kappler, der 1977 auf mysteriöse Weise aus einem römischen Krankenhaus entkam.

Was Priebke „arbeiten“ soll, sagt der Anwalt nicht. Vielleicht schreibt er nach der Autobiografie „Vae Victis!“ („Wehe den Besiegten!“), eine zweite Selbstrechtfertigung. Die war 2003 im Eigenverlag erschienen und hunderten Kommunalbibliotheken geschickt worden. Ein Senator der rechtskonservativen „Alleanza Nazionale“ verteilte eine Videoversion des „geschichtlichen Informationsmaterials“ an alle Kollegen. Dass Priebke bereut oder sich von seiner Vergangenheit distanziert hätte, ist nicht bekannt. „Ich war nur ein einfacher Hauptmann, der einem Befehl gehorchte“, sagte er vor sieben Jahren in einem Interview. Auch als alter Mann werde er „nicht in die Knie gehen“: „Solange ich lebe, will ich dafür eintreten, dass die Wahrheit nicht unter einer international eingefädelten Manipulation verschwindet.“

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