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Angela Merkel spricht auf dem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel.

© Carsten Rehder/dpa

Rede zum Tag der Einheit: Merkel fordert von Deutschen mehr Eigenverantwortung

Im Westen hätten die meisten die Wiedervereinigung als Zuschauer erlebt, sagt die Kanzlerin. Den Osten habe dagegen „die Wucht der Einigung“ getroffen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Tag der Deutschen Einheit zu mehr Zusammenhalt, gegenseitigem Verständnis und zur Übernahme von Eigenverantwortung aufgerufen. Beim zentralen Festakt in Kiel warnte Merkel am Donnerstag davor, ähnlich wie zu DDR-Zeiten „die Ursache für Schwierigkeiten und Widrigkeiten vor allem und zuerst beim Staat und den sogenannten Eliten“ zu suchen. Ein solches Denken sei in ganz Deutschland zu beobachten. „Setzte sich ein solches Denken durch, führte das ins Elend.“

Kanzlerin betont unterschiedliche Wendeerfahrungen

Freiheit hänge mit der Verantwortung des Einzelnen für eigene Entscheidungen zusammen, mahnte die Kanzlerin. Mit Blick auf Menschen, die diese Verantwortung nur auf den Staat abladen wollten, sagte sie: „Niemals darf konkretes politisches Handeln - sei die Enttäuschung darüber auch noch so groß - als Legitimation dafür akzeptiert werden, andere wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung auszugrenzen, zu bedrohen oder anzugreifen.“

Knapp 30 Jahre nach dem Mauerfall betonte Merkel unterschiedliche Wendeerfahrungen in Ost und West. Zwar seien alle Deutschen heute „mit ihrem Leben insgesamt zufriedener als zu jedem anderen Zeitpunkt nach der Vereinigung“, sagte sie. Zur Bilanz nach 29 Jahren Wiedervereinigung gehöre aber auch, „dass sich die Mehrheit der Ostdeutschen in der Bundesrepublik als Bürger zweiter Klasse fühlt“.

Die staatliche Einheit sei vollendet. „Die Einheit der Deutschen, ihr Einigsein, das war am 3. Oktober 1990 noch nicht vollendet, und das ist es bis heute nicht.“ Beides müsse zusammengebracht werden: die Revolution von 1989 als historischer Glücksmoment und die Anerkennung unterschiedlicher Lebenserfahrungen - „auch mit all dem Verlust von Lebensgewissheit in der Zeit danach“, sagte Merkel. „Beides muss Platz haben im Gedächtnis unserer Nation: wahrgenommen werden und Anerkennung finden.“

Die Opfer der DDR-Diktatur „sollten wir nie vergessen“

Merkel erinnerte auch an die Opfer der SED-Diktatur in der DDR. „Sie sollten wir nie vergessen. Auch an einem Tag der Freude wie heute nicht.“ Auch der scheidende Bundesratspräsident Daniel Günther (CDU) wünschte sich „mehr Platz für die ostdeutschen Aspekte unserer deutschen Geschichte“ und auf westdeutscher Seite mehr Sensibilität und Verständnis.

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„Die Ostdeutschen hatten es nach dem Zweiten Weltkrieg ungleich schwerer.“ Ihre Lebensläufe und biografischen Brüche in zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen „sind seit der Wende vielfach zu wenig berücksichtigt worden“, sagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident.

Begonnen hatte die zentrale Feier mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kieler St. Nikolai Kirche, an dem neben Günther und Merkel auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, teilnahmen. Dabei riefen Kirchenvertreter zu Toleranz und Respekt in der Gesellschaft auf. Nur so könne das weitere Zusammenwachsen gelingen, hieß es.

Friedliche Kundgebung von Linken in Kiel

In der Kieler Innenstadt demonstrierten nach Angaben der Polizei knapp 400 Linke. Die Kundgebung sei friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher. Demonstranten hielten Transparente mit der Aufschrift „Wut verbindet - Deutschland spaltet. Klassensolidarität statt Vaterland“ oder „Blühende Landschaften für alle!“. Auch vier weitere, kleinere Kundgebungen verliefen laut Polizei ohne Zwischenfälle.

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte in einer Video-Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit: „Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die großen Errungenschaften unserer freiheitlichen Demokratie gegen ihre zahlreichen Feinde nicht verloren gehen.“ Wer diese angeblichen Feinde der Freiheit sein sollen, sagte er konkret nicht. Meuthen erklärte lediglich, Ostdeutsche reagierten besonders allergisch auf Versuche von Politik und Medien, „ihre Freiheit zu beschneiden“.

Putin würdigt Wiedervereinigung als historisches Ereignis

Heimatminister Horst Seehofer (CSU) zeigte sich zuversichtlich, dass binnen zehn Jahren die Strukturunterschiede zwischen Ost und West beseitigt sein werden. „Wir gehen von einem Jahrzehnt aus, bis wir gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland haben. Das gilt nicht nur für die neuen Bundesländer, sondern auch für strukturschwache Regionen in anderen Teilen Deutschlands“, sagte er der „Bild am Sonntag“.

Der russische Präsident Wladimir Putin würdigte die Wiedervereinigung Deutschlands als historisches Ereignis. Sie habe das Ende des Kalten Krieges in Europa markiert, erklärte Putin. In dem Glückwunschschreiben an Steinmeier und Merkel heißt es weiter: Mit der Wiedervereinigung sei „eine neue Seite in den Beziehungen zwischen unseren Staaten“ aufgeschlagen worden. (dpa)

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