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"Das ist der Sputnik-Moment unserer Generation" - US-Präsident Obama.

© AFP

Rede zur Lage der Nation: Obamas Sputnik-Moment

Obamas Rede zur Lage der Nation am Dienstagabend war ein Sputnik-Moment. Zumindest für ihn. Es war der Augenblick, in dem der Präsident von der Defensive in die Offensive wechselte und den Kampf um Amerikas Zukunft eröffnete.

Ob allerdings jetzt auch für ganz Amerika der heiß ersehnte Sputnik-Moment anbricht, ob sich das Land wie damals vor 50 Jahren nach der Raumfahrtniederlage gegen die Sowjetunion mit einer gewaltigen Kraftanstrengung aufrappelt und für sich wieder die Zukunft erobert, das ist ungewiss. Dafür braucht Obama die Republikaner, ohne die er nicht regieren und verändern kann. Und dafür muss er verloren gegangenes Vertrauen der Wähler zurückgewinnen.

Ein Fortschritt lässt sich allerdings schon verzeichnen. Die Politiker in der Hauptstadt Washington mäßigen ihren Ton. Kein Republikaner bezichtigte Obama während seiner Rede der Lüge. Und auch der demokratische Präsident verschonte seine Gegner mit beißender Kritik. Erstmals saßen Demokraten und Republikanern nicht getrennt, sondern einträchtig nebeneinander. Diese Geste ist eine Folge des verheerenden Mordanschlags von Tucson und der Einsicht, dass man im politischen Streit Maß und Mitte verloren hatte.

Derart freundlich gingen Republikaner und Demokraten während Obamas Rede miteinander um, dass man den Eindruck gewann, als verstünden sie sich weit besser als die Republikaner untereinander. Denn deutlicher als diese konnte man den Streit in den eigenen Reihen nicht zur Schau stellen. Die Republikaner antworteten mit zwei Stimmen auf die Rede des Präsidenten. Zuerst trat als ihr offizieller Vertreter Paul Ryan vor die Kameras. Der Abgeordnete aus Wisconsin und neue Vorsitzende des Haushaltsausschusses geißelte zwar Obamas gigantischen Schuldenberg, aber in einem sehr angemessenen Ton.

Anders hingegen Michele Bachmann, die scharfzüngige Abgeordnete aus Minnesota und Anhängerin der rechten Tea Party-Bewegung. Sie kämpfte weiter die Schlachten von gestern und demonstrierte mit jedem Satz, dass sie Obama ums Verrecken nicht über den Weg traut.

Der Präsident vermied es, in den Rückspiegel zu schauen. Die krachende Niederlage seiner Partei bei den Kongresswahlen im November und die Erkenntnis, dass sich vor allem die politisch Ungebundenen, die vielen Wähler der Mitte von ihm abgewendet haben, bewog ihn eben in diese politische Mitte zu marschieren und nach vorne zu schauen.

Es taucht wieder der alte Barack Obama auf, der vor drei Jahren ausgezogen war, um das tief gespaltene Amerika zu einen und fit für die Zukunft zu machen. Nicht im Hauruckverfahren, sondern als Brückenbauer. Gebetsmühlenhaft hatte er immer wieder verkündet, es gebe kein linkes und kein rechtes Amerika, sondern nur die Vereinigten Staaten von Amerika.

Doch der Kampf um die Gesundheitsreform und um die Eindämmung der Treibhausgase, um Konjunkturprogramme und Bankenkontrollen riss die politischen Gräben weiter auf. Die Republikaner organisierten den Widerstand gegen den Reformpräsidenten. Doch auch in den Augen vieler Wähler der Mitte schien Obama eher zu spalten statt zu versöhnen. Viele stempelten ihn als kompromisslosen Linken ab.

Dabei war Obama, der ehemalige Sozialarbeiter aus Chicago, im Grunde nie ein Ideologe, sondern ein Mann des Zentrums und ein in der Wolle gefärbter Pragmatiker. Er wollte Amerika aus der politischen Mitte heraus erneuern und revolutionieren. Der Staat war für ihn auch nie ein Allheilmittel, um Amerikas wirtschaftlichen Niedergang aufzuhalten. Sondern eher eine Notkrücke, ein notwendiges Übel, ein vorübergehender Gebrechlichkeitshelfer.

Doch im Laufe des Gefechts verlor der Präsident Sprache, Botschaft und Orientierung. Jetzt scheint er sie wiederzufinden. Laut Umfragen kehren auch etliche Wähler der Mitte allmählich wieder zu ihm zurück. Vor drei Monaten fanden nur 42 Prozent der Amerikaner, ihr Präsident mache seine Sache gut. Jetzt sind es bereits 55 Prozent.

Obama will, dass auch der nächste Präsident wieder Barack Obama heißt. In seiner Rede hat er zum ersten Mal deutlich gemacht, warum er dieses Amt weiter ausüben will und worum es sich zu streiten lohnt: Nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft und die richtige Politik für das 21. Jahrhundert.

Obama gab sich am Dienstag auch viel amerikanischer und viel traditioneller als gewohnt. Vor einiger Zeit noch sagte er, sein Land sei für ihn nicht außergewöhnlicher, nicht "exzeptioneller" als Griechenland für die Griechen oder Frankreich für die Franzosen. Für einige Amerikaner grenzte diese Haltung bereits an Landesverrat.

Doch nun ist auch für Obama Amerika der weltweite Leuchtturm, diese einzigartige Nation, die China, Indien und dem Rest der Welt nicht nur wirtschaftlich trotzen, sondern wieder davon eilen soll. Dafür fordert er eine sputnikgleiche Anstrengung. "Wir müssen die anderen übertrumpfen!" rief der Präsident. Darum will er Amerika wieder wettbewerbsfähig machen. Sein Konzept: Sparen - aber im gleichen Atemzug massiv investieren, in die Bildung, in alternative Energien, in das öffentliche Transportwesen und in die Forschung.

Auch die Republikaner wollen das 21. Jahrhundert für Amerika gewinnen. Aber ihr Gegenkonzept lautet: Steuern runter und sparen, sparen und nochmals sparen. Während Obama glaubt, der Staat müsse den Unternehmen und dem Fortschritt mit Geld auf die Sprünge helfen, glauben die Republikaner das exakte Gegenteil: Je weniger Geld in der Hand des Staates und je mehr in den Händen der Bürger, desto besser für die Wirtschaft und das allgemeine Wohlbefinden.

Der republikanische Abgeordnete Paul Ryan malte in seiner Antwort auf Obamas Rede das europäische Schreckgespenst an die Wand: Notleidende Völker von den Griechen bis zu den Briten, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten und jetzt nicht nur ihren Wohlfahrtsstaat zusammenstreichen, sondern, o Graus, auch die Steuern erhöhen müssten.

Die politischen Konfliktlinien sind in dieser Woche deutlich geworden, der Wettkampf um die Zukunft Amerikas hat begonnen.

Quelle: "Zeit Online"

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