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Reden über Europa

© Mike Wolff

Reden über Europa: "Braucht Europa Ein-Mann-Shows?"

Zum Auftakt der diesjährigen Reihe "Reden über Europa" diskutieren Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, sein tschechischer Amtskollege Karel Schwarzenberg und der französische Europastaatssekretär Bruno Le Maire in der Staatsoper.

Es ist ja nicht so, dass sie sich nicht oft genug sehen. Erst am vergangenen Mittwoch saßen die beiden in Brüssel zusammen, da versuchten sie ihre israelische Amtskollegin Zipi Livni von einer Öffnung der Grenze zum Gazastreifen zu überzeugen. Sie kennen sich von unzähligen Außenministertreffen, an diesem Montag steht in der belgischen Hauptstadt wieder eines an. Aber das hier ist noch einmal etwas anderes. Dass Frank-Walter Steinmeier und Karel Schwarzenberg über Europa reden, gehört zwar zum Alltagsgeschäft der Außenminister. Aber hier, an diesem Sonntagmorgen in der Berliner Staatsoper, tun die zwei Chefdiplomaten aus Deutschland und Tschechien dies gemeinsam mit dem französischen Europastaatssekretär Bruno Le Maire vor vollem Haus.

Offenbar hat sich das Motto der Diskussion - „Die Welt im Umbruch - wo steht Europa?“ - als so zugkräftig erwiesen, dass nun ein interessiertes Publikum den gesamten Zuschauerraum bevölkert, das Parkett, die Proszeniumslogen, bis hinauf in den dritten Rang. Möglicherweise liegt dies daran, dass die diesjährige Auftaktveranstaltung der von der „Allianz Kulturstiftung“ initiierten Reihe „Reden über Europa“, die der Tagesspiegel als Medienpartner begleitet, auch am Beginn eines wichtigen europapolitischen Jahres liegt: Im Juni wird ein neues Europaparlament gewählt, anschließend eine neue EU-Kommission gebildet.

Doch zunächst einmal muss die EU unter Beweis stellen, ob sich mit ihr internationale Krisen lösen lassen. Die Krise im Gazastreifen, erklärt der Pariser Spitzenbeamte Le Maire den Zuhörern im Paulick-Saal, sei derzeit „die schwierigste Situation, mit der wir uns auseinandersetzen müssen“. Dabei formuliert der 39-Jährige einen außenpolitischen Anspruch an die EU gleich mit - nämlich zur „Stabilität in der Welt“ beizutragen.

Europäische Krisenbewältigung: "Vom Solo zum Kollektiv"

Im Namen Frankreichs, das bis zum Ende des vergangenen Jahres den EU-Vorsitz innehatte, hat Le Maire vor zwei Wochen im Prager Nationaltheater einen Europa-Stab mit gelben Sternen an den tschechischen Europaminister Alexandr Vondra weitergegeben; seit Anfang Januar liegt die EU-Präsidentschaft bei Tschechien. Während die Zeremonie im Prager Nationaltheater den reibungslosen Fluss der EU-Geschäfte versinnbildlichen sollte, hat es in Wahrheit am Übergang zwischen der französischen und der tschechischen EU-Präsidentschaft ziemlich geknirscht. Zu Beginn des Jahres wollten gleich zwei Reisegruppen aus Europa in der Nahost-Region die Möglichkeiten einer Waffenruhe zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel sondieren - eine unter dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und eine offizielle EU-Delegation unter der Führung des tschechischen Außenministers Schwarzenbergs. Kritiker, die der EU ihre Vielstimmigkeit in außenpolitischen Fragen vorhalten, durften sich bestätigt fühlen.

Zwar ist es Sarkozy gelungen, allein durch seinen Handlungswillen der EU im vergangenen Halbjahr zu einer größeren allgemeinen Wahrnehmung zu verhelfen. Gleichzeitig wird dem französischen Präsidenten aber auch vorgehalten, dass er die zurückliegende französische EU-Präsidentschaft zu sehr auf seine eigene Person zugeschnitten habe. „Braucht Europa solche Ein-Mann-Shows?“ fragt Tagesspiegel-Herausgeber Hermann Rudolph, der die Diskussion in der Staatsoper moderiert. Oder gebe es auch Möglichkeiten, bei der europäischen Krisenbewältigung „vom Solo zum Kollektiv“ zu finden? Man könne, erwidert Le Maire, im Rückblick auf die französische Ratspräsidentschaft bestenfalls von einer „Several-Men-Show“ reden, und außerdem habe Sarkozy - beispielsweise beim deutsch-französischen Ringen um die Ausgestaltung der Mittelmeerunion - viel Kompromissfähigkeit an den Tag gelegt.

Finanz- und Wirtschaftskrise: Reifeprüfung für die Gemeinschaft

Als europäischer Feuerwehrmann war Sarkozy auch angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise gefordert; jetzt gehört die Krise zu den dringendsten Problemen für die tschechische EU-Präsidentschaft. In den kommenden Monaten werde es darum gehen, „politische Gestaltungsmöglichkeiten wieder zurückzugewinnen“, sagt Steinmeier. Schwarzenberg sieht in der Krise vor allem eine Bewährungsprobe, die die Gemeinschaft unter den Augen ihrer Bürger zu bestehen hat: Sollte es sich herausstellen, dass die EU den Konjunktureinbruch besser als andere meistert, dann habe die Gemeinschaft ihre Reifeprüfung bestanden, prophezeit er. Falls nicht - dann würden nationale Lösungsansätze wieder fröhliche Urständ feiern. Der 71-Jährige, der aus einer alten böhmischen Adelsfamilie stammt, spannt einen weiten Bogen, als er auf den Grund der Finanzkrise zu sprechen kommt. Das Spiel an den Märkten habe große und kleine Akteure im Finanzwesen berauscht, sagt er, „wie früher ein Husarenmeister, der eine Pulle Champagner ausgesoffen hat“. Nach Schwarzenbergs Worten sei jetzt nicht in erster Linie eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte gefragt. Vielmehr müsse man einer „Krise der Moral“ begegnen, die viele Banker dazu veranlasst habe, die ungeschriebenen Regeln ihrer Zunft einfach über Bord zu werfen.

Die Analyse gefällt Schwarzenbergs deutschem Amtskollegen nicht so sehr. Es sei zwar attraktiv, „alles zu einer moralischen Frage zu erklären“, widerspricht Steinmeier, aber letztlich sei die Politik angesichts der Krise verpflichtet, Schutzmechanismen für die Anleger auszuarbeiten - ein Plädoyer des Vizekanzlers für eine schärfere Regulierung von Finanzmarktprodukten.

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