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Politik: Reden vor der Rede

Kanzler Schröder schwört die rot-grünen Fraktionen auf sein Reformpaket ein – und niemand widerspricht

Von Hans Monath

Von Markus Feldenkirchen

und Hans Monath

Seit Anfang der Woche leistet Gerhard Schröder Überzeugungsarbeit im Stundentakt. Am Dienstag führte ihn seine Einstimmungs-Tour auf die große Regierungserklärung zunächst vor die SPD-Fraktion, eine Stunde später bat er – rund 70 Meter weiter – bei den Grünen um Unterstützung. Dabei konnte Schröder erneut nur Vages als Vorschau auf den Tag der Entscheidung liefern. „Wenn es am Freitag noch einen Funken Überraschung geben soll, dann ist doch klar, dass er seine Rede nicht heute schon vor der Fraktion hält“, witzelte der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer im Anschluss.

„Es wird noch ein paar Überraschungen geben.“ Mit diesem Satz beendete Schröder seinen 40-minütigen Vortrag im Sitzungssaal der SPD-Fraktion. Seine Reformgedanken hatte er vorher nur grob umrissen und immer wieder auf die widrige Situation hingewiesen, aus der man nur mit einem klaren Reformkurs herauskomme. Auch wenn er immer wieder von Applaus unterbrochen wurde, betonten die Zuhörer später, sie hätten ihren Kanzler schon mal kämpferischer erlebt. Aber: „Wir wissen sowieso alle, was die Stunde geschlagen hat“, sagt Staatssekretär Christoph Matschie, der Schröder schon am Vortag beim Treffen mit den Bezirks- und Landeschefs der SPD gehört hatte. Die aktuelle Situation gehe allen Sozialdemokraten an die Substanz, so Matschie. Niemand traue sich mehr, Debatten um Einzelvorschläge zu führen. Es geht jetzt um das große Ganze. Und deshalb murren auch nur wenige Genossen, als der Kanzler plötzlich die Sitzung verlässt – zu den Grünen.

Trotz der Verheißung auf Überraschungen stehen wesentliche Eckpunkte der Reformrede wohl schon fest. So wird Schröder ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm über rund 15 Milliarden Euro zur Sanierung von Wohnungen und als Hilfe für die Kommunen ankündigen. Beim Kündigungsschutz soll es zwar bei einem „grundsätzlichen Festhalten“ bleiben – allerdings soll die bisherige Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen abgeschwächt und feste Abfindungen als Alternative eingeführt werden. Zudem werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes könnte sinken – auch wenn Schröder dies vor den Gremien verschwieg. Im Gesundheitswesen sollen die Kassen künftig Direktverträge mit Ärzten abschließen. Das Apothekenwesen soll liberalisiert, der Leistungskatalog gestrichen und der Unfallschutz aus der Gesetzlichen Krankenversicherung herausgelöst werden. Auch werden moderate Kürzungen beim von den Kassen gezahlten Krankengeld erwogen.

Das alles hörten die Grünen in noch größerer Eile. 20 Minuten Kanzlerdasein blieben dem kleinen Regierungspartner, der sich vor nicht allzu langer Zeit noch polternd als „Reformmotor" der Koalition gepriesen, sich in jüngster Zeit mit Ratschlägen an die SPD zurückgehalten hatte. Bei den Grünen kursieren zwar konkrete Reformvorschläge. So forderten mehrere Abgeordnete um den wirtschaftspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Werner Schulz, zur Schaffung neuer Stellen eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten und den Verzicht auf Lohnerhöhungen. Dennoch verzichtete die Partei auf konkretere Einzelforderungen. Man wolle dem Kanzler „medial nicht in die Quere kommen", hieß es, und werde deshalb auch nach seiner Rede keine Einzelpunkte streitig stellen. Als entscheidend gilt die psychologische Wirkung des Kanzler-Auftritts, der mit einem Aufbruchsignal die schlechte Stimmung wenden soll. Der Schulterschluss ist offensichtlich eng abgestimmt: So waren Minister der Grünen, die Fraktionschefinnen und Parteichef Bütikofer auch am Montagabend im Kanzleramt, um weitere Entscheidungen für die Freitagsrede abzusprechen.

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