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Einige Abgeordnete wollen das Rederecht reformieren. Doch vorerst bleibt alles beim alten.

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Redezeit im Bundestag: Die Reform ist tot, es lebe die Reform

Gemeinsam geplant, aber mies verkauft. Jetzt stellt sich heraus: Vertreter von Union, SPD und FDP wollten die Redezeit-Reform. Ein zweiter Versuch soll öffentlich verhandelt werden. Wenn die Parlamentarier sich einigen können.

Von Robert Birnbaum

Peter Altmaier klingt ehrlich zerknirscht. „Wir hätten von uns aus stärker die öffentliche Debatte suchen müssen, um klarzumachen, was eigentlich intendiert war“, gibt der Fraktionsgeschäftsführer der Union Dienstag früh im Deutschlandfunk zu. Die Rede ist von jener geplanten Neuregelung des Rederechts im Bundestag, die jemand über die Ostertage als „Maulkorb-Erlass“ tituliert hat. Die Koalition konnte den Plan daraufhin nur noch amtlich für tot erklären. Tatsächlich sind selbiger und sein Ende ein Lehrstück für falsches Politikmanagement in Zeiten der Empörungsdemokratie.

Der Fehler begann, so sehen das Beteiligte heute, schlicht damit, dass die Fraktionsgeschäftsführer sich vor Ostern auf ein gemeinsames Vorgehen einigten, wie künftig mit Wortmeldungen von Abweichlern umzugehen sei – und die Sache dann erst mal liegen ließen. „Wir hätten damals sofort alle Kollegen unterhaken und vor Kameras und Mikrofonen die Einigung verkünden und erläutern müssen“, sagt ein Koalitionsmann. Dann hätte man eine Chance gehabt, den Plan aus eigener Sicht darzustellen: als Versuch, Abweichlern im Bundestag künftig ein geregeltes, wenn auch im Umfang begrenztes Rederecht einzuräumen. Und es hätten alle zu ihrem Ja im Geschäftsordnungsausschuss stehen müssen.

So aber fand der Entwurf als angebliches Geheimpapier den Weg in die Zeitung. Die Veröffentlichung setzte den Ton der Debatte: Skandal! Sehr schnell wollten daraufhin auch solche, die den Beschluss mit gefasst hatten, davon nichts mehr wissen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier macht sogar seinen Entsandten in dem Gremium nachträglich zum Sündenbock: „Eine Panne“ sei dessen Zustimmung gewesen, weil, die Fraktion habe über das Thema doch noch gar nicht debattiert. Fraktionen debattieren über solche Fragen allerdings in der Regel erst dann, wenn ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch liegt. Abstimmen müssen hätte das gesamte Parlament darüber ohnehin.

Der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann findet denn auch, „alle“ Parlamentsgeschäftsführer müssten entweder eingestehen, dass ihr Vorstoß von vornherein ein Fehler gewesen sei, oder gemeinschaftlich dafür kämpfen. Daran ist nach dem Rückzieher natürlich nicht mehr zu denken. Wie es aber anders gehen soll, dazu fällt auch so recht keinem etwas ein. Steinmeier fordert bei Phoenix „mehr Lebendigkeit in der Debatte“ und dass das Rederecht der Abgeordneten „eher ausgeweitet“ werden müsse, sagt aber sicherheitshalber nicht wie. Altmaier preist die freie Rede im Plenum als „zentrales demokratisches Recht“, das respektiert werden müsse, sagt aber ebenfalls nicht wie.

Das Hauptproblem besteht ja auch darin, dass jede Regelung für Dissidenten eine Redegrenze setzen müsste. Denn als Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Euro-Debatte den Abweichlern Frank Schäffler und Klaus-Peter Willsch eigenmächtig für je fünf Minuten das Wort erteilte, ärgerte sich die Koalition. Doch auch Oppositionsfraktionen beschwerten sich: Die Koalitionsdissidenten hatten plötzlich unverhältnismäßig mehr Zeit zur Selbstdarstellung als Grüne oder Linke. Der Redezeit-Proporz nach Zahl der Sitze ist aber einer der zentralen Schutzmechanismen für die Opposition. Ohne Grenze geht es also nicht, mit Grenze droht gleich wieder öffentlicher Verriss. Eins immerhin hat Altmaier gelernt: Beim nächsten Anlauf sollen nicht nur alle Fraktionen mitwirken. Sondern das soll auch jeder sehen.

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