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Referendum: Island: Symbolisches Votum

Die Isländer stimmten über ein Entschädigungsabkommen ab, das gar nicht mehr aktuell ist. Über 90 Prozent sprachen sich dagegen aus.

Es war ein sonderbares Hin und Her, selbst für die stets etwas unberechenbare isländische Politik. Noch wenige Tage vorher wurde gerätselt: Findet die Volksabstimmung zum parlamentarisch verabschiedeten, aber durch massive Proteste der Bürger und dem daraus resultierenden Veto des Präsidenten zu Fall gebrachten Entschädigungsabkommen für britische und holländische Sparer der bankrotten Icesave-Bank am Samstag wirklich statt? Zuletzt verkündete Finanzminister Steingrimur Sigfusson, dass seine Regierung es nicht geschafft habe, ein neues Abkommen mit besseren Rückzahlungsbedingungen für Island abzuschließen. Zumindest nicht bis zum Referendum, bei dem über 90 Prozent der Isländer mit Nein votierten.

Das Endergebnis des ersten Referendums in der isländischen Geschichte stand auch am Sonntagmorgen wegen extrem schlechten Wetters im nördlichen Landesteil noch nicht fest. Nach einer TV-Prognose stimmten 93,3 Prozent mit Nein und 1,5 Prozent mit Ja. Die Beteiligung lag kurz vor Schließung der Wahllokale bei 54 Prozent.

Bizarr war dabei, dass das Volk lediglich über eine veraltete Vorlage abstimmte. Denn die Regierung war in ihren fieberhaften Bemühungen mit den Gläubigerländern doch recht weit gekommen. Die Niederlande seien nun bereit, statt einer Rückzahlungsperiode von 15 Jahren mit festem Zinssatz von 5,55 Prozent den Isländern nur noch die Zahlung von internen Bankzinsen in Höhe von 2,75 Prozent abzuverlangen, mit zwei völlig zinsfreien Jahren im Gepäck.

Angesichts dessen versuchte die sozialdemokratische Regierungschefin Jóhanna Sigurðardóttir noch bis zum Freitag, einen Aufschub zu erreichen. „Wir müssen mehr Würde zeigen bei der ersten Volksabstimmung, sonst wird sie mehr oder weniger zur Farce“, sagte sie. Damit hätte die Regierung in Ruhe ein deutlich verbessertes Rückzahlungsabkommen anpeilen können. Doch ein isländischer Abgeordneter meint, dass auch ein modifiziertes Abkommen abgelehnt worden wäre. „Im Ausland gibt es viel Unverständnis für das, was ihr isländischen Starrsinn nennt, aber in eurem Land hätte das Volk in einer solchen Extremsituation genauso reagiert.“

In der Tat ist die Wut sehr groß, dass das ganze Volk die Zeche zahlen muss, während die für das Bankdesaster verantwortliche Finanzelite möglicherweise noch immer in Saus und Braus lebt – nur eben nicht mehr in Island. Nach Medienberichten soll ein Teil von Großbank-Krediten aus dem Ausland direkt an einige wenige Bank-Haupteigentümer und ausgewählte Kunden geflossen sein. Ein längst erwarteter Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft, die auch im Ausland (etwa in Luxemburg) Hausdurchsuchungen durchführen ließ, steht noch immer aus. In Island ist auch juristisch ungeklärt, wie weit die Regierung für die Entschädigung von britischen Icesave-Kunden bis zum letzten Pfund aufkommen muss. Isländer wollen das gern beim Europäischen Gerichtshof prüfen lassen.

Allerdings ist die Vulkaninsel bei weitem nicht mehr so unabhängig wie vor wenigen Jahren. Seit dem Zusammenbruch, der Zwangsverstaatlichung und Teilabwicklung der drei isländischen Großbanken vor einem guten Jahr hängt Reykjavik am Tropf des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Hilfskredite anderer nordischer Länder, denen zuliebe Parlament und Präsident bereits im Sommer eine rechtlich bindende Verpflichtung zur gänzlichen Schuldenrückzahlung an Großbritannien und die Niederlande unterschrieben hatten. Während der heißen Phase der Finanzkrise im Herbst 2008 lag der Schuldenberg der international in Risikogeschäften tätigen, stark expandierenden isländischen Banken geschätzte neunmal so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt des Landes.

Die nächste IWF-Hilfskreditauszahlung ist voraussichtlich für Januar 2011 angedacht und könnte bei Uneinigkeit eingefroren werden. Die Folgen wären verheerend. Um die Kreditwürdigkeit des wirtschaftlich völlig am Boden liegenden Landes nicht noch mehr zu senken, muss spätestens zum Herbst ein Entschädigungsabkommen stehen. Indirekt drohten die Gläubigerländer zudem damit, den isländischen EU-Beitritt zu verzögern. Die Chancen stehen gut, dass ein modifizierter Entwurf, dann ohne Referendum, vom Parlament verabschiedet wird. Letztlich hat sich der Unmut des Volkes dann gelohnt. Auch bei zukünftigen EU-Mitgliedsverhandlungen wird Brüssel Sonderrechte für Fischerei und Agrarwirtschaft wahrscheinlich bereitwilliger genehmigen, um einem weiteren und folgenschwereren Nein zu entgehen.

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