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Politik: Reflexion statt Reflexe

Von Caroline Fetscher

Hatte Samuel Huntington doch Recht, als er den „Clash of Civilisations“ prophezeite? Im Fernen und Mittleren Osten legen zornige, muslimische Menschenmengen Feuer an westliche Botschaften und Kulturinstitute, angeblich nur, weil in westlichen Zeitungen Karikaturen des Propheten Mohammed erschienen – Bilder übrigens, die kaum einer der Brandstifter je gesehen hat. Im Iran plant die islamistisch geprägte Regierung Ahmadinedschad in aller Offenheit den Bau der Atombombe, begleitet von antisemitischer Rhetorik im Stil des Nazi-Organs „Der Stürmer“. Den Zuschauern unserer Abendnachrichten offenbart sich ein Bild diffuser Bedrohung: „Die sind gegen uns.“ Auch wenn diese beiden Ereignisse – Irans Bombengelüste und die Karikaturen-Wut – keineswegs kausal zusammenhängen, verschmilzt doch die zeitliche Verdichtung sie zu einem einzigen politisch explosiven Konglomerat, als sei ein Hollywood-Regisseur unterwegs, Huntingtons düsterste Befürchtungen zu verfilmen.

Nein, die Geschehnisse sind kein Film, sondern realer Albtraum. Angesichts derart intensiver Irrationalität wie faktischer Gefahr, gilt es vor allem, wach zu werden, also das höchste Maß an Klarheit und Analysefähigkeit zu erlangen, dessen wir fähig sind. Deutlich artikuliert Angela Merkel die Haltung Deutschlands und des Westens, wenn sie darauf beharrt, an der Pressefreiheit sei nicht zu rütteln, und an die Adresse Irans erklärt, wer den Holocaust leugne, der könne nicht erwarten, dass wir die geringste Toleranz haben. Denn: „Wir haben aus unserer Geschichte gelernt.“ Richtig.

Wie gut die gesamte, aufgeklärte Welt daraus wahrhaftig gelernt hat, muss sich jetzt erweisen, wie selten zuvor. Unsere Demokratien müssen differenzieren und dürfen den „Heiligen Hass“, wie ihn der jüngste Spiegel-Titel suggeriert, weder absolut setzen, noch zum Anlass für atavistischen Gegenhass werden lassen. Schleichend nämlich geht in unsere Vorstellungen eine solche Spaltung schon ein – ganz genau die Reaktion, die der totalitäre Islamismus und die feudalen Öl-Regime sich wünschen. Es kommt also darauf an, zu erkennen, dass nicht „Muslime“ gegen „den Westen“ mobil machen, nicht eine Zivilisation gegen eine andere. Sondern hier bäumen sich nichtdemokratische Akteure auf gegen die Demokratie. „Zur Hölle mit dir, Freiheit!“ war auf einem der islamistischen Transparente in London zu lesen. Die Parole beschreibt im Kern, worum es geht.

Angst vor der Freiheit ist die Angst vor der Beweglichkeit der Gedanken, der Gesellschaft, der tradierten Herrschaftsverhältnisse. Sie zu schüren ist Ziel der Saboteure des Vorankommens. Konfliktforscher wie der indische Psychoanalytiker Sudhir Kakar, der in seiner Studie „Die Gewalt der Frommen“ blutige Zusammenstöße zwischen ethnischen Gruppen untersuchte, finden für solche emotionalen Kettenreaktionen stets einen winzigen, irrationalen Anfangsfunken, wie ihn jetzt die Karikaturen darstellen. Aber Eskalation ist nur möglich, wo auf beiden Seiten nicht Reflexion stattfindet, sondern sich archaische Reflexe Bahn brechen.

Hören wir also den Weckruf, der uns jetzt erreicht, mit aufgeklärter Intelligenz. Dann erklingt dahinter auch der bittere Notruf der Reformer, die von den Nichtdemokratien in Haft oder ins Exil gestoßen werden. Ihnen vor allem muss unsere Solidarität gelten. Sie sind die Vorhut des Fortschritts. Wie viele Rückschläge der erdulden muss, das liegt auch in unserer Hand, in unserem Handeln und Verhandeln.

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