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Politik: Regieren ist Mist

Von Stephan-Andreas Casdorff

Die Parlamentswoche ist am Ende angelangt, die Koalition noch nicht. Noch nicht. Wer jetzt anderes denkt, weil die Etatberatungen doch gezeigt hätten, wie sehr Union und SPD ihren eigenen Überzeugungen untreu geworden sind – weit gefehlt. Die Dame Merkel und der Herr Beck gewöhnen sich gerade aneinander, dazu ist die Kanzlerin so sozialdemokratisch wie der SPD-Vorsitzende christlich-demokratisch. Katholisch ist er außerdem.

Sie werden es noch länger miteinander aushalten, weil die Zahlen ja auch so schlecht sind. Die müssen erst mal besser werden. Viel besser. Die Zahlen im Haushalt sowieso, weil noch nie einer schlimmer aussah, auf unser aller Schulden bezogen. Dazu kommen die in Umfragen für die beiden Partner. Die Sozis krebsen wieder um die 30 Prozent herum, und die Union ist soeben auf 34 Prozent gefallen. Das wäre, würde jetzt gewählt, noch weniger als die verheerenden gut 35 Prozent bei der vergangenen Wahl. Nicht zu vergessen: Mit diesem Ergebnis wurde seinerzeit Kohl abgewählt.

Da können sich die Politprofis freuen, dass Weltmeisterschaft ist. Das Schwarzrotgoldige überdeckt, was die Regierung tut. Oder zu tun beabsichtigt. Und das ist – ungeheuer. Vier riesige Reformen stehen an und sollen innerhalb der nächsten zwei Wochen irgendwie durch die Instanzen gebracht werden: die Föderalismusreform (wo die Mehrheit im Bundestag stehen muss), die Gesundheitsreform (wo die Begründung für das Bürgerversicherungsgesundheitsprämienfondsmodell stehen muss), der Bundeshaushalt 2007, die Reform der Unternehmenssteuer. Dann soll alles überall besser werden.

Im Grunde müsste, wenn genau hingeschaut würde, in allen drei Fällen richtig umgebaut, neu aufgebaut werden. Reform heißt hier eigentlich: Revolution im System. Und wer, wenn nicht die große Koalition, soll große Lösungen anbieten, soll mal Politik wagen, neue Ansätze. Ach, wie schön wäre es, wenn die Regierung einen hätte wie Götz Werner, den Mann vom dm-Markt, der ungewöhnlich denkt und handelt und Erfolg hat. Mehr als drei Milliarden Umsatz und 23 000 Mitarbeiter künden davon. Stattdessen: Gefummel. Groß ist nur der Konsens, dass Regieren besser ist als Opposition. Opposition ist Mist, sagt Müntefering.

Falsch. Regieren ist Mist (machen). Opposition ist im Moment besser. Nahezu jeden Tag kann sie die Koalitionäre kritisieren, auf nahezu jedem Feld. Und wenn das so weitergeht, wird die FDP bald jeden Tag neuen Zulauf erhalten: von frustrierten Unionisten. Seit der Wahl sind es schon ein paar Tausend. CDU und CSU droht der Verlust ihres Milieus. Der Grund ist klar: Zweifel an der Führung, in Regierung wie Partei. Und dann das Rätselraten: Wer ist Angela Merkel? Was will sie? Die vom Parteitag in Leipzig ist sie schon lange nicht mehr. Merkel gestern, Merkel heute – sie ist nicht wiederzuerkennen. Drum freut sich Westerwelle ja auch insgeheim: Das Projekt 18 lebt. Wie nie zuvor.

Die Kosten trägt die Union, der SPD kann’s recht sein. Es wird in weiten Teilen ihre Politik gemacht, sie bestimmt den Takt, und Rot-Grün erscheint in der Rückschau als geradezu solide Veranstaltung. In zurückliegender Zeit hat ein sozialdemokratischer Regierungschef doch eine für Bürgerliche einigermaßen akzeptable Politik gemacht – und da ist die Rede nicht nur von Schröder, sondern vor allem vom Pfälzer Beck. Der wird mehr und mehr zu einem netten Kohl. Wie es aussieht, hat er sich vorgenommen, Merkel auszusitzen.

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