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Politik: Regieren mit der letzten Reserve

KABINETT IN KLAUSUR

Von Markus Feldenkirchen

Darf Gerhard Schröder das? Sich zum Abschluss der Kabinettsklausur vor das Schloss von Neuhardenberg stellen und von Aufbruch, Zuversicht und prima Perspektiven reden? Wenn seine Regierung doch fünf Jahre lang mehr oder weniger darüber gewacht hat, dass am besten nichts geschieht, schon gar nichts, das den Schein von Radikalität haben könnte? Wenn die gleiche Regierungsrunde vor acht Monaten erst zu „Koalitionsverhandlungen“ zusammenkam, an deren Ende viele Dutzend Steuererhöhungen standen, die dem Land seine letzte Reserve an Zuversicht raubten? Der Kanzler darf das.

Man kann ja mittlerweile nicht mehr seriös nachhalten, der wievielte Neuanfang dieser gerade ist. Aber es gibt doch ernste Hinweise, dass es diesmal ernst gemeint ist. Was der AgendaKanzler seit der Zäsur vom 14. März geleistet hat, ist durchaus beachtlich. Schröder wagt etwas, trotz großer Gefahren hat er alles auf eine Karte gesetzt. Es war vielleicht das erste Mal in seiner Karriere, dass er mit aller Kraft und Leidenschaft für eine Sache kämpfte und nicht nur für sich selbst. Spätestens seit dieser Woche ist die Agenda 2010 keine Chimäre mehr. Ihre Umsetzung hat begonnen, unwiderruflich – und die vorgezogene Steuersenkung soll ein erstes Dankeschön sein, ein quasipädagogischer Akt: Seht her, liebe Bürger, die Bereitschaft zur Zumutung zahlt sich früher oder später aus! Mögen Finanzexperten dabei auch noch so berechtigte Magenkrämpfe bekommen: Als Signal ist die Steuersenkung richtig. Und das Prinzip ist Peitsche und Zuckerbrötchen.

Was Schröder in der eigenen Partei gelungen ist – eine Mehrheit finden – muss er nun in der ganzen Gesellschaft leisten. Er muss ausgreifen in andere politische Lager, muss Rentnern, Zahnärzten, Bauern, Eigenheimbauern, er muss allen erklären, warum Verzichte und Einschnitte zugleich Investitionen sind. Dazu sollte Schröder auch seine Stilistik reformieren. Präsidial im Anspruch darf er kanzlern, aber energisch muss er in der Ausführung werden. Moderator unverbindlicher Bündnisse für Arbeit kann er nicht länger sein.

Neuhardenberg war hoffentlich nur ein erstes Etappenziel auf einer langen Tour de Reform. Hoffnungsfroh stimmt, dass der Kanzler sich den Rückweg verstellt hat. Mit der weiteren Reformpolitik ist es jetzt wie mit der vorgezogenen Steuerreform: Ist die Idee einmal in der Welt, entfaltet sie eine Ausstrahlung, der sich kaum einer mehr entziehen kann. So verhält es sich auch mit dem Kurswechsel-Versprechen, das sich hinter dem Begriff Agenda 2010 verbirgt. Mag sein, dass viele Sozialdemokraten gedacht haben, mit ein bisschen Zumutung in Gestalt von Krankengeldprivatisierung oder Arbeitslosenhilfekürzung sei der Reformhunger des Landes gestillt. Weit gefehlt. In Wahrheit dürften die ersten Schritte die Vorschau auf einen Reformprozess sein, der nunmehr dauerhaft werden soll.

Da kommt es gelegen, dass sich auch kulturell etwas ändert in Deutschland. Allmählich reift allerorts die Erkenntnis, dass Reformen keine Parteigrenzen mehr kennen dürfen, dass diejenigen, die sich dem Umbau des Landes verweigern, an den Rand gedrängt werden. Die Gewerkschaften haben das gerade bitter erfahren. Die Union sollte sich diese Erfahrung ersparen. Das über Jahrzehnte erprobte Instrumentarium bundesrepublikanischer Politik hat in der Not der Gegenwart seine Berechtigung verloren: die Machtspiele innerhalb der Parteien, der Missbrauch des Bundesrats als Blockadegremium. Oder der Glaube, dass eine Idee erst dann gut ist, wenn auch der letzte Kreisvorsitzende oder Verbandsfunktionär sie abgenickt hat.

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