zum Hauptinhalt

Politik: Regieren ohne Mehrheit

Neuwahlen in Tschechien immer wahrscheinlicher

Nicht einmal eine Viertelstunde Zeit hatte sich Mirek Topolanek für die Rede genommen, in der es um seine politische Zukunft ging. Und die ist für den tschechischen Premierminister alles andere als klar: Nach gerade einmal 30 Tagen im Amt stellte Topolanek im Prager Abgeordnetenhaus am Dienstag die Vertrauensfrage. Wenn er für seine konservative Minderheitsregierung keine Parlamentarier aus dem linken Lager auf seine Seite zieht, steht sein Kabinett vor dem Aus. „Unsere Regierung würde das Vertrauen der Bürger bekommen, wenn sie direkt über uns abstimmen könnten, davon bin ich überzeugt“, sagte Topolanek in seiner Ansprache. Tatsächlich könnten die tschechischen Wähler dazu schneller die Möglichkeit bekommen, als es der Regierung lieb ist: Neuwahlen werden in Prag nach wochenlangem politischem Chaos immer wahrscheinlicher.

Dass es die Regierung des konservativen Premierministers nicht einfach haben wird, hat sich schon bei den Wahlen im Juni abgezeichnet. Mirek Topolaneks bürgerlich-demokratische Partei (ODS) ist zwar zur stärksten Kraft geworden, hat aber mit ihren bevorzugten Koalitionspartnern nur 100 Mandate errungen – ebenso viele wie das linke Lager aus Sozialdemokraten und Kommunisten. Seither blockieren sich beide Seiten gegenseitig. Um aus dieser Pattsituation zu entkommen, hat Staatspräsident Vaclav Klaus den Wahlsieger Topolanek zum Premierminister ernannt. Der leitet nun eine Minderheitsregierung, die ausschließlich aus seiner eigenen Partei besteht.

Möglich macht das eine Klausel in der tschechischen Verfassung. Darin ist geregelt, dass eine Regierung erst nach ihrer offiziellen Ernennung von den Abgeordneten bestätigt werden muss. Obwohl das Minderheitskabinett über weniger als ein Drittel der Stimmen verfügt, hat sich Premier Topolanek stets siegessicher gezeigt. Mit einem Kompromissprogramm will er auch seine politischen Gegner überzeugen. Das umstrittene neoliberale Reformkonzept etwa hat die konservative Regierung so stark abgespeckt, dass inhaltliche Unterschiede zu den rivalisierenden Sozialdemokraten kaum mehr zu erkennen sind. Allerdings sind die persönlichen Rivalitäten zwischen den politischen Gegnern so groß, dass die Sozialdemokraten eine Duldung der Regierung kategorisch ausschließen.

Schon jetzt zeigt sich, dass diese politische Situation die Einführung des Euro in Tschechien gefährdet. An den ursprünglich geplanten Termin im Jahr 2010 glaubt in Prag inzwischen niemand mehr. Nach dem jetzt vorgelegten Haushaltsentwurf für das kommende Jahr nimmt die Staatsverschuldung Tschechiens weiter zu. Damit verletzt die Regierung die Maastricht-Kriterien. „Wir rechnen beim Euro mit einer Verzögerung von mindestens zwei Jahren“, sagt Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Für eine Verbesserung der Situation sei eine grundlegende Reform der tschechischen Staatsfinanzen nötig – und die lasse sich bei den wackeligen Mehrheitsverhältnissen schlicht nicht durchsetzen. „Jeder Monat der politischen Unsicherheit ist ein verlorener Monat“, sagt Havlik.

Kilian Kirchgeßner[Prag]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false