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Politik: Regierung in Österreich: Wer nicht passt, wird ausgetauscht

Verstohlen kamen die Minister durchs zweite Kellergeschoss geschlichen, durch alte, fast vergessene Sicherheits- und Fluchtstollen. Oben, in der Hofburg, empfing sie ein historisch eisiger Bundespräsident; draußen hagelten Eier und Farbbeutel auf Hunderte Polizisten nieder; die EU-Bruderstaaten verweigerten ab sofort jeden Händedruck.

Verstohlen kamen die Minister durchs zweite Kellergeschoss geschlichen, durch alte, fast vergessene Sicherheits- und Fluchtstollen. Oben, in der Hofburg, empfing sie ein historisch eisiger Bundespräsident; draußen hagelten Eier und Farbbeutel auf Hunderte Polizisten nieder; die EU-Bruderstaaten verweigerten ab sofort jeden Händedruck. So wurde Österreichs Regierung vereidigt, am 4. Februar des Jahres 2000.

Demonstriert wird immer noch. Am ersten "Geburtstag" der Koalition, die sich am 1. Februar 2000 verständigt hatte, hielten Gewerkschaften Protestversammlungen in zahlreichen Betrieben ab. Jeden Donnerstagabend ziehen ein paar hundert Regierungsgegner durch Wien, manchmal schwillt die Menge auf Tausende an, aber eine Massenbewegung ist nicht entstanden. Das Wahlvolk teilt sich ziemlich gleichmäßig in Personen, die das Tun der Regierung für gut befinden, und solche, die meinen, es habe dem Land geschadet. Politischer Gewinner des Jahres sind die Österreichische Volkspartei von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und, auf Oppositionsseite, die Grünen. Die SPÖ, zuvor drei Jahrzehnte ununterbrochen an der Regierung, hat sich nach dem ebenso ungewohnten wie unerwarteten Machtverlust bis heute nicht wieder berappelt.

Und was aus der FPÖ wird, die - falls sie je konkrete Zeitpläne hatte - beinahe überstürzt ans Regieren geraten ist, das muss sich zeigen. In Wort und Tat schwankt sie immer noch zwischen provozierender Oppositions- und staatstragender Regierungsrolle. Jörg Haider bleibt auch nach seinem formalen Rückzug nach Kärnten der Unruhegeist. Es sieht nicht danach aus, aber falls das ÖVP/FPÖ-Projekt vor Ablauf der Legislaturperiode scheitern sollte, dann nur an Haiders impulsivem und mitunter irrationalem Verhalten.

Die FPÖ wird zurzeit von ihrer Vergangenheit eingeholt. In der Spitzelaffäre kochen die Machenschaften hoch, derer sich die Partei und ihre Karrieristen ungeniert bedient haben. In den Schwierigkeiten der Partei, attraktive und kompetente Personen für Ministerämter zu finden, wird deutlich, wie sehr Haider den konsequenten Aufbau seiner Partei versäumt - hinter seiner Selbstinszenierung zurückgestellt hat. Die mangelnde, an Stammtischkategorien geschulte Demokratiekultur der FPÖ bringt es mit sich, dass die Partei, einmal an der Macht, den Staat genauso als Selbstbedienungsladen versteht wie die von ihr einst dafür kritisierten Regierenden.

Die Umstrukturierungen bei der Staatsholding ÖIAG und beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Der SPÖ-Gewerkschafter Hans Sallmutter sollte abgelöst werden, weil er sich "regierungsfeindlich" verhalten habe. Auch die ÖVP ließ sich als Kanzlerpartei einspannen. Deren Wirtschafts- und Arbeitsminister forderte Sallmutters Ablöse, weil der sich mit Kritik an der Regierung "nicht zurückgehalten" habe.

Auch Österreichs Journalisten hegen so ihre Bedenken. Nun hat zwar die Regierung nicht nur das Kuratorium des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks (ORF) politisch korrekt umbesetzt, sondern auch ein neues Rundfunkgesetz geplant. Die FPÖ tönt zur selben Zeit, man werde den ORF-Redakteuren das "sozialistische Denken" schon "austreiben" und bezeichnet es als "Riesenskandal", wenn im Nachmittagsprogramm ein Meinungsforscher mit für die FPÖ schlechten Umfragewerten auftritt. Die Besorgnis im ORF ist nachvollziehbar.

Die ÖVP schweigt meistens, wenn die FPÖ etwas Krudes von sich gibt. Kanzler Schüssel sagt, er regle derlei Dinge lieber hinter den Kulissen. Die Wende-Regierung gibt sich kooperativ, freundlich, zurückhaltend - wenngleich immer noch die meisten "Wir"-Formulierungen vom Kanzler, nicht aber von der FPÖ, kommen.

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