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Nicolas Sarkozy

© dpa

Regierung unter Druck: Eine französische Affäre

Dallas an der Seine: Die Intrigen um die Erbin des Kosmetikkonzerns L’Oréal Liliane Bettencourt. Die französische Regierung gerät in Erklärungsnot.

Am 5. November 2008 fuhr eine Limousine mit abgedunkelten Scheiben im Hof des Elysée-Palastes vor. Dem Wagen entstieg Liliane Bettencourt, die Erbin und Hauptaktionärin des Kosmetikkonzerns L’Oréal. Mit Patrice de Maistre, ihrem Vermögensverwalter, wurde sie von Präsident Nicolas Sarkozy empfangen. Zu dem Gespräch wurde auch Patrick Ouart, der Berater des Präsidenten für Angelegenheiten der Justiz, hinzugezogen. Was in der Runde mit dem Staatschef besprochen wurde, ist nicht bekannt. Doch es gibt eine Anekdote aus den Tagen, die dem Besuch vorausgingen, und die von den inzwischen entlassenen Hausangestellten der heute 87-Jährigen überliefert wird. Um die reichste Frau Frankreichs auf das Gespräch mit dem mächtigsten Mann der Republik vorzubereiten, habe der Vermögensverwalter ihr einen Satz eingeschärft. Und da Madame nicht nur vergesslich, sondern auch schwerhörig ist, habe er ihr den Satz immer wieder so laut vorgesagt, dass ihn alle mitbekommen hätten: „Monsieur le Président, Sie wissen, wie viel ich Ihnen in der Vergangenheit geholfen habe. Heute bin ich es, der Sie um Hilfe bittet.“

Liliane Bettencourt fühlte sich von ihrer Tochter Françoise Bettencourt-Meyers verfolgt. Gegen den langjährigen Intimus der Mutter, den Schriftsteller und Fotografen François-Marie Banier, der seinen Aufstieg in der Pariser Gesellschaft Bekanntschaften mit Künstlern wie Louis Aragon, Samuel Beckett, Françoise Sagan, Salvador Dali oder Nathalie Sarraute verdankt, hatte sie Klage eingereicht. Auf mehr als eine Milliarde Euro werden die Vermögenswerte – Bargeld, Immobilien, Lebensversicherungen, Gemälde – geschätzt, die Liliane Bettencourt im Lauf der Zeit ihrem Günstling vermachte. Die Tochter beschuldigt ihn, den „Zustand der Schwäche“ ihrer Mutter ausgenutzt zu haben. Vom Besuch der alten Dame im Elysée-Palast war der Öffentlichkeit damals nichts bekannt geworden. Umso spektakulärer sind die Details, die jetzt über die Hintergründe in den Medien ausgebreitet werden. Über einen bloßen Erbstreit im Kreis der oberen Zehntausend hat sich die Familienintrige zu einer Affäre ausgewachsen, die die Interessen des Staates berührt und die Regierung in Erklärungsnot gebracht hat. Jeden Tag kommt Neues ans Licht.

Im Mittelpunkt steht Arbeitsminister Erich Woerth. Als Budgetchef hatte er bis vor kurzem noch die Aufgabe, für Steuerehrlichkeit im Lande zu sorgen. Vom Vorwurf, dass er Steuerkontrollen wegen illegaler Schweizer Konten bei Bettencourt verhindert habe, hat ihn die Generalinspektion des Finanzministeriums reingewaschen; andere Fragen blieben ungeklärt. Auf sein Drängen war seine Frau Florence bei der Bettencourt-Vermögensverwaltung Clymène als Anlageberaterin eingestellt worden. Von der Existenz der Konten in der Schweiz habe sie aber nichts gewusst. Als Schatzmeister der Regierungspartei UMP nahm Woerth von Bettencourt Spendenschecks für die Partei entgegen. Alles ganz legal.

Aber was hat es mit den 150 000 Euro auf sich, die ihm Bettencourts Vermögensverwalter de Maistre 2007 für Sarkozys Präsidentschaftswahlkampf zugesteckt haben soll? Und ist gar Sarkozy selbst in seiner Zeit als Bürgermeister von Neuilly bei Besuchen im Hause Bettencourt diskret mit Geldgeschenken bedacht worden? Das hat die frühere private Buchhalterin der Milliardärin, Claire Thibout, als Zeugin vor der Polizei ausgesagt, dann aber abgeschwächt.

An dem Interesse, das Frankreichs Regierungen dem Konzern entgegenbrachten, gibt es keine Zweifel. Wäre Banier, wie es die Tochter Françoise anstrebte, wegen „Ausnutzung der Schwäche“ ihrer Mutter verurteilt worden, hätte dies im Umkehrschluss bestätigt, dass die alte Dame tatsächlich nicht mehr Herrin ihrer Entscheidungen wäre – mit Folgen für L’Oréal. Denn dann wären auch die Beschlüsse infrage gestellt, die mit ihrer Beteiligung als Hauptaktionärin im Verwaltungsrat gefasst wurden, einschließlich des Aktionärspakts, der L’Oréal mit seinem zweitgrößten Anteilseigner, dem Schweizer Nestlé-Konzern, verbindet. „Keinem Präsidenten kann es gleichgültig sein, sollte ein solches Unternehmen unter Kontrolle des Auslands geraten“, wird Sarkozys Berater Ouart zitiert.

L’Oréal ist eine Erfolgsgeschichte à la française. 1907 hatte Eugène Schueller, Liliane Bettencourts Vater, ein Patent für ein Haarfärbemittel angemeldet, das er 1909 unter dem Namen „L’Auréale“ in den Handel brachte. Mit Shampoos, Seifen und Körperpflegemitteln sowie der Übernahme von Konkurrenten aus der Branche wurde aus dem kleinen Unternehmen ein Weltkonzern. Heute ist L’Oréal in 130 Ländern präsent. Mit 65 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 17,5 Milliarden Euro erwirtschaftete L’Oréal 2009 einen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro.

So ertragreich ist kaum ein anderes französisches Unternehmen; und so stand die Politik auch Pate, als L’Oréal 1974 eine Allianz mit Nestlé schloss. Sie sollte die internationale Entwicklung des Unternehmens fördern und als Schutzschild vor einer eventuellen Verstaatlichung durch die Linke dienen. Nach dem Pakt gehören 30,9 Prozent des L’Oréal-Kapitals Liliane Bettencourt, 29,6 Prozent Nestlé, der Rest liegt bei den Aktionären. Ihren Kapitalanteil hat die Mutter ihrer Tochter übertragen, sich aber lebenslang den Zugriff auf die Einnahmen gesichert. Das bringt ihr, je nach Börsenlage, 200 bis 280 Millionen Euro im Jahr an Dividende. Sechs Monate nach ihrem Tod erlischt das Bündnis mit Nestlé. Ob sich die Tochter mit Verkaufsabsichten an Nestlé trägt, weiß niemand, aber der Anwalt der Mutter unterstellt es öffentlich der Tochter und ihrem Mann Jean-Pierre Meyers, der dem Verwaltungsrat von L’Oréal und gleichzeitig dem Nestlés angehört.

Kein Wunder also, dass Sarkozy den Streit zwischen Mutter und Tochter „aufmerksam“ verfolgt, wie der Vermögensverwalter nach einem Gespräch mit Präsidentenberater Ouart der Milliardärin mitteilte. Im Juli 2009 konnte de Maistre ihr dann berichten, dass das Verfahren gegen ihren Günstling Banier eingestellt werde. Banier war damit aber nicht aus dem Schneider. Der Anwalt der Tochter setzte den Prozess doch durch.

Bei der Eröffnung am 1. Juli ordnete das Gericht weitere Untersuchungen an, nachdem kurz vorher heimlich angefertigte Mitschnitte von Gesprächen zwischen der Milliardärin und ihrem Verwalter in die Öffentlichkeit gelangt waren. Deren Inhalt erhärtet die Vorwürfe gegen den Günstling und rückt den Verwalter in den Verdacht der Steuerflucht und der illegalen Parteifinanzierung. Am gestrigen Donnerstag wurden Banier, de Maistre sowie zwei weitere Vertraute Bettencourts zum Verhör in Polizeigewahrsam genommen.

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