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Mark Rutte, Regierungschef der Niederlande und derzeit auch EU-Ratschef.

© dpa

Regierungschef der Niederlande: Mark Rutte - das Glück des Tüchtigen

Jung, wendig und nicht unterzukriegen: Mark Rutte ist Ministerpräsident der Niederlande und EU-Ratschef. Er hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Und meistert sie. Nur das Volk ist schlecht gelaunt.

Mit dem EU-Ratsvorsitz der Niederlande tritt Ministerpräsident Mark Rutte auch international zunehmend ins Rampenlicht. Dabei ist Rutte eher bescheiden und hütet sich vor großen Visionen. Er hat an diesem Dienstag mit einer Volksabstimmung im eigenen Land – über das EU-Abkommen mit der Ukraine –, und mit dem in Großbritannien drohenden Referendum über einen Austritt aus der EU zwei große Herausforderungen vor sich.

Die bereiten Kopfschmerzen genug. Dabei gibt es aber auch noch die EZB, deren Chef Mario Draghi mit seiner lockeren Geldpolitik einen von Den Haag kritisierten Weg geht. Und dann ist da die Flüchtlingskrise, in der sich der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, in eine Schlüsselrolle gedrängt hat. Rutte hat sich als EU-Ratspräsident, im Einklang mit Angela Merkel, persönlich für diesen Deal mit der Türkei eingesetzt, aber zu Hause versprochen, den Flüchtlingsstrom auf „null“ einzudämmen. Wenn er das nicht schafft, stärkt das den Islamkritiker Geert Wilders.

Da ist viel politisches Fingerspitzengefühl gefragt, nicht nur in den Beziehungen mit der EU und der Türkei, sondern auch im holländischen Parlament. Dafür wählt er schon mal große Worte: „Wie wir alle vom Römischen Reich wissen, gehen große Imperien unter, wenn ihre Grenzen nicht gut geschützt sind“, sagte er Ende des vergangenen Jahres.

Der Spagat ist dem mit 49 Jahren relativ jungen Mark Rutte wohl zuzumuten. Fünf Jahre Hektik in Den Haag haben bei Rutte keine Spuren hinterlassen, der Mann sieht immer noch so aus wie zu Zeiten, da er als 43-Jähriger sein Amt antrat. Rutte, der erste liberale Regierungschef der Niederlande seit 1917, bewegt sich locker, hat immer ein Lächeln parat, und ist seinen politischen Gegnern in Debatten klar überlegen. Obwohl er gar nicht so viele Gegner hat. Jeder braucht den Ministerpräsidenten, und es ist schwer, dem sympathischen Rutte böse zu sein. Seine Wutanfälle, die es auch geben soll, finden allenfalls hinter verschlossenen Türen statt.

Dass er unverheiratet ist, brachte bisher keine Klatschgeschichten

Nur wenig ist über das Privatleben des Politikers bekannt. Mark Rutte wurde 1967 in Den Haag geboren und wuchs in einer christlichen Familie mit sechs anderen Kindern auf. Die erste Ehefrau seines Vaters starb im Zweiten Weltkrieg. Der Vater, der im kolonialen Indonesien für eine holländische Handelsfirma arbeitete, hat dann die Schwester seiner ersten Frau geheiratet. Aus dieser Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Mark war das weitaus jüngste, ist in den siebziger Jahren aufgewachsen und hatte das Glück einer freien Jugend.

Mark wollte zuerst ins Konservatorium – er spielt in seiner Freizeit gerne Klavier –, entschied sich aber dann für das Fach Geschichte an der Universität Leiden. Als liberaler Pragmatiker ist er an der Gegenwart interessiert. Die Vergangenheit ist für viele Holländer Schnee von gestern, also unwichtig, die Zukunft ist abstrakt, also noch keine Realität. Daher kommt die verbreitete Abneigung von Visionen. Das soll nicht heißen, dass Rutte sich keinen intellektuellen Aufgaben stellt, aber er weiß ganz genau, dass die einzige Weltanschauung, die in Holland wirklich zählt, die wirtschaftliche ist. Seinen ersten Job bekam er beim Großkonzern Unilever, wo er als junger Manager mit Personalfragen beschäftigt war, bevor er 2002 in die Politik wechselte, als Staatssekretär für Arbeit.

Es wird von Mark Rutte behauptet, dass er ein Mann ohne Eigenschaften sei, ein Politprofi ohne eigene Ideen. Das könnte wahr sein, aber ein zynischer Taktiker ist er nicht. Als Mensch der Gegenwart steht er gerne mit der Jugend in Verbindung, auch mit „neuen Niederländern“, die in den Großstädten im Schulunterricht schon eine Mehrheit darstellen. Einmal in der Woche betätigt sich Rutte in seinem Wohnort Den Haag als Lehrer an einer Schule mit Schülern aus den verschiedensten Herkunftsländern. Dann doziert er Staatsbürgerkunde.

In Ruttes liberaler Partei gibt es viele Kritiker der multikulturellen Gesellschaft, zum Beispiel seinen intellektuellen Vorgänger Frits Bolkestein, den wohl wichtigsten Politiker in den neunziger Jahren, der gegen die Linken polemisierte und eine Trendwende in der holländischen Politik einleitete. Rutte hält sich da zurück. Er versucht sich sprachlich Trends anzupassen – „Holland ist ein wahnsinnig cooles Land“ – und besucht im Sommer Dance Festivals. Rutte steht für eine neue Generation, die die alten Babyboomer abgelöst hat. Auch König Willem-Alexander, der ebenfalls 1967 geboren wurde und in Leiden Geschichte studierte, gehört dazu. Beide „67er“ lieben Oranje und sind dabei, wenn es am Sportplatz etwas zu feiern gibt. Beide Männer halten nicht viel vom Protokoll und sind irgendwie Glückspilze.

Jung und sportlich, das ist das Merkmal von Mark Rutte. Materieller Wohlstand interessiert ihn nicht. Er fährt einen alten Saab, wenn er nicht auf einem Fahrrad zur Arbeit fährt. Dabei ist er immer noch Junggeselle, ohne dass es Klatschgeschichten gibt. Man kann also sagen, dass Rutte der Politik total zur Verfügung steht. Es heißt aber, dass Rutte keine weitere Amtszeit anstrebt. Er hat dabei das Schicksal seines Vorgängers vor Augen, des pflichtbewussten und in den Medien oft verspotteten Christdemokraten Jan Peter Balkenende, der vier Regierungen leitete und 2010 gnadenlos abgewählt wurde. So bleibt Rutte – das ewige Sonntagskind – frisch und fröhlich. Politische Sorgen gibt es aber genug. In Umfragen steht die von Mark Rutte zusammen mit den Sozialdemokraten geführte Regierungskoalition schlecht da. So gut gelaunt Rutte sein mag, so schlecht gelaunt ist das Volk.

Holländer halten die Ukraine für korrupt

Seit Jahr und Tag profitieren davon Rechtspopulisten. Dabei kamen vor allem die Christdemokraten unter die Räder. Jetzt, wo Ruttes rechtsliberale VVD zu den Sozialdemokraten gewechselt ist, steht diese Koalition in den Umfragen sehr schlecht da. Rutte tut sich sichtlich schwer. Das große Publikum vertraut ihm nicht mehr, seine glatten Sprüche und extreme Flexibilität haben ihn Glaubwürdigkeit gekostet. Seine politische Wendigkeit und seine Erfahrung mit dem Rechtspopulismus könnten Rutte auf der europäischen Ebene aber zum Vorteil geraten. Innenpolitisch zeigt er sich oft von einer euro-skeptischen Seite. Es gibt immer noch das Echo des „Nein“ der niederländischen Bevölkerung gegen das europäische Grundgesetz in Juni 2005, das ja auch eine Ablehnung der eigenen Politiker war, die zuvor auf „mehr Europa“ setzten.

Und es droht die Volksabstimmung über den EU-Assoziierungsvertrag mit der Ukraine, die für Europa peinlich ausgehen kann. Umfragen deuten auf eine Niederlage für die Regierung hin. Die Ukraine wird in der Bevölkerung mit Korruption assoziiert und mit Staaten wie Griechenland und der Türkei, die für die meisten Holländer EU-untauglich sind. Es wäre ein Wunder, wenn Rutte das überstehen würde. Die Deutschen sprechen in solchen Fällen vom Glück des Tüchtigen. Wenn einer es haben kann, dann ist es Mark Rutte.

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