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Politik: Regierungsfreie Zone

In Bosnien zieht sich die Koalitionsbildung hin – die internationale Gemeinschaft wird ungeduldig

Drei Monate nach den Wahlen warten die Bosnier immer noch auf die Bildung einer Regierung. Westliche Diplomaten verlieren langsam die Geduld. Kurz vor der Jahreswende sprach der US-Botschafter in Sarajevo Klartext: Es sei höchste Zeit, dass sich die bosnischen Politiker auf eine Regierung einigen. Immerhin seien drei Monate seit den Parlamentswahlen am 1. Oktober verstrichen. Am liebsten würde er eine Frist für die Kabinettsbildung setzen, wenn er die Befugnis dazu hätte, sagte Douglas McElhaney. Der Unmut des US-Diplomaten zeigt, dass die internationale Gemeinschaft ihre Geduld mit den bosnischen Politikern verliert. Nachdem sich Ende 2006 die bosniakischen (muslimischen) Parteien endlich auf ein Regierungsbündnis geeinigt und die serbischen Sozialdemokraten einer Koalition mit den Muslimen zugestimmt hatten, schwelt der Streit unter den Kroaten weiter. Zwei zerstrittene Parteien dieser Volksgruppe wollen am Kabinettstisch in Sarajevo mitreden.

Immerhin einigten sich die Parteien auf den Serben Nikola Spiric als designierten Ministerpräsidenten. Er wurde am Donnerstag vom dreiköpfigen Präsidium der Balkanrepublik mit der Regierungsbildung beauftragt. Der 50-jährige Professor der Wirtschaftswissenschaften hat jetzt einen Monat Zeit, sein Kabinett dem Parlament vorzuschlagen. Spiric ist Vertreter des Bundes der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), der stärksten Partei der bosnischen Serben.

Während die Politiker um die Aufteilung der Pfründen kämpfen, bleibt Bosniens Integration in die europäischen Institutionen blockiert. Zwar hat die Nato bei ihrem Gipfel in Riga das Balkanland in ihr Programm „Partnerschaft für den Frieden“ aufgenommen. Davon profitieren die Bürger jedoch kaum. Weit wichtiger sind die Gespräche mit der EU über ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen, das als Vorstufe zu den Beitrittsverhandlungen gilt.

Die Gespräche stocken seit Monaten. Bosnien hat wichtige Voraussetzungen noch nicht erfüllt. Vor allem eine von Politikern des serbischen Landesteils abgelehnte Polizeireform verhindert eine Annäherung. Diese sieht vor, dass die Ordnungskräfte auch über die inneren Landesgrenzen hinweg operieren dürfen. Gemäß dem Friedensabkommen von Dayton besteht Bosnien aus zwei weitgehend autonomen Einheiten: 51 Prozent des Territoriums kontrollieren die Bosniaken und Kroaten mit ihrer Föderation, 49 Prozent die Serben mit der im Krieg entstandenen Republika Srpska. Der Zentralstaat hat nur wenige Kompetenzen. Das möchte die EU ändern.

In Banjaluka, wo die Regierung der bosnischen Serben ihren Amtssitz hat, wird jedoch befürchtet, dass die Polizeireform die Abschaffung der Serbenrepublik einleiten könnte. Deshalb droht der bosnisch-serbische Regierungschef Milorad Dodik mit einem Unabhängigkeitsreferendum. Dieses werde unvermeidlich, sollte Kosovo in diesem Jahr unabhängig werden, sagt Dodik. Der einstige Hoffnungsträger des Westens versucht mit seiner Rhetorik, die Position Belgrads in der Kosovofrage zu stärken. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo, Christian Schwarz-Schilling, hat Dodik gewarnt, die territoriale Einheit Bosniens nicht mehr infrage zu stellen. Zeigt er sich weiterhin uneinsichtig, könnte Schwarz- Schilling ihn entlassen, spekulieren Medien in Sarajevo.

Schwarz-Schilling, der frühere deutsche Postminister, hat seine Vollmachten bisher kaum eingesetzt. Der Deutsche will die einheimischen Politiker stärker in die Pflicht nehmen. Sein Ziel ist es, im Sommer sein Büro zu räumen. Erstmals seit dem Ende des Krieges 1995 sollen die bosnischen Politiker die ganze Verantwortung für die Geschicke des Landes übernehmen. Geplant ist, dass der Hohe Repräsentant durch einen EU-Sonderbeauftragten ersetzt wird, der weniger Kompetenzen haben soll.

Enver Robelli[Sarajevo]

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