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Schwimmen Europa die Felle davon? Ein symbolhaftes Wasserspiel im Tiber in Rom.

© Tiziani Fabi/AFP

Regierungskrise: Europa ohne Italien ist wie ein Mensch ohne Herz

Ein Austritt Italiens aus der Euro-Zone wäre nicht nur für Italien eine Katastrophe. Nur darf Deutschland darauf nicht mit dem Holzhammer hinweisen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Nichts ist für das Zusammenleben von Staaten, die durch die Geografie auf einem Kontinent verbunden sind, schädlicher als die Pflege von Vorurteilen. Denn die bringen Menschen, die aufeinander angewiesen sind, dazu, in den Bürgern anderer Länder vor allem deren negative Seiten zu sehen. Und gleichzeitig ist nichts schwieriger, als von solchen Voreingenommenheiten abzulassen, denn sie sind oft ein Resultat der gemeinsamen Geschichte und werden deshalb von Generation zu Generation in den Familien, den Medien, der Politik weitergegeben.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien ist ein solches, gleichzeitig von schlechten Erfahrungen wie Stereotypen geprägtes gegenseitiges Verständnis und Missverständnis. Deshalb manifestiert sich die jetzige Regierungskrise in Rom auch so stark in anti-deutschen, sich aus der Nazi-Vergangenheit und der deutschen Besetzung Norditaliens speisenden Vorurteilen und Beschimpfungen Richtung Berlin. Das ist angesichts der Gräueltaten deutscher Uniformierter im Zweiten Weltkrieg nur zu verständlich. Aber es ist trotzdem nur ein Ersatzschauplatz. Die politisch wie wirtschaftlich gleichermaßen bedrohliche Entwicklung in Italien hat vor allem europäische Dimensionen. Und die deutsche Politik wie auch die deutsche Wirtschaft wären klug beraten, wenn sie sich auf diese Ebene der Auseinandersetzungen nicht einlassen würden.

Den Stecker aus der Erregungsmaschinerie gezogen

Vernünftiger wäre, wenn Deutschland sich weder in die Rolle des Buhmanns drängen lassen würde noch sich selbst durch dümmliche Sprüche hineindrängeln wollte. Wenn Italien in einer Nacht-und-Nebel-Aktion versuchen würde, die Euro-Zone zu verlassen und seine Finanzen über eine Ersatzwährung zu sanieren, wäre das für das Land selbst eine Katastrophe. Die global miteinander verflochtene Wirtschaft würde in der ganzen Euro-Zone, aber vor allem in Italien selbst, furchtbaren Schaden nehmen. Es ist völlig überflüssig, wenn sich die Bundesregierung aufgefordert fühlen sollte, den italienischen Akteuren das Leichtfertige und am Ende desaströse ihres Tuns vor Augen zu führen. Da hat Michael Roth, der für Europafragen zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, rechtzeitig den Stecker der Erregungsmaschinerie gezogen, als er in Brüssel – und nicht etwa in Berlin – daran erinnerte, dass das EU-Gründungsmitglied Italien immer ein integrationsfreundliches Land gewesen sei.

Italiens Volkswirtschaft ist eine der größten der Europäischen Union, drittstärkste der Euro-Zone, Nummer vier der EU. Die italienische Industrie spielt nach der deutschen die wichtigste Rolle in Europa. Der Wirtschaftsaustausch der Lombardei mit der EU hat ein Volumen, das dem Handel der EU mit Japan nahekommt. In jedem deutschen Auto steckt Hightechzubehör aus Norditalien.

Das ist die positive Seite der finanziellen Verflechtungen Italiens mit Europa. Aber da ist eben auch noch eine dunkle Ansicht: Die Staatsverschuldung Italiens entspricht 131 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes. Der Vertrag von Maastricht zieht die – verpflichtende – Grenze bei 60 Prozent. Die wird allerdings auch von Griechenland (178 Prozent) und Portugal (125 Prozent) sowie Frankreich (97 Prozent) gerissen. Aber die griechische Volkswirtschaft ist von der Dimension nur Nummer 16 in der Europäischen Union.

Ein Indiz für Weltferne

Diese Verschuldung löst sich durch einen Austritt aus der Euro-Zone nicht in Luft auf. Die Idee der beiden bislang Koalitionswilligen in Rom, der Fünf-Sterne-Partei und der Lega, die Europäische Zentralbank müsse italienische Schuldscheine im Wert von 250 Milliarden Euro einfach streichen, ist allenfalls ein Indiz für die Weltferne dieser beiden populistischen Parteien. Deren Versuch einer Regierungsbildung hat der italienische Staatspräsident erst einmal gestoppt – und natürlich nicht auf deutsches Geheiß.

Ein Europa ohne Italien ist nicht denkbar. Das weiß man auch in Brüssel, in Paris und Berlin. Europas größter Schatz ist weniger seine Produktivität als die Vielfalt der Kulturen, der Mentalitäten der Menschen, der Mischung aus Verstand und Herzlichkeit, Kühle und Leidenschaft. Die Süd-Sehnsucht der Nordeuropäer, und vor allem der Deutschen, gilt ja nicht nur dem Meer und der Sonne, sondern einer Art von Wärme, die uns abgeht. Wer heute also meint, egal in welcher Hauptstadt, über eine mögliche Trennung EU-Europas nur mit dem Verstand entscheiden zu müssen, urteilt wie jemand, der Familienverhältnisse mit dem Rechenschieber bewerten will. Das kann nichts werden.

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