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Viele Italiener hadern derzeit mit der Politik der Regierung – und tragen ihren Protest auch auf die Straße.

© REUTERS

Regierungskrise um Premier Conte: Warum Europa mit Italien bangt

Nach dem Rücktritt von Premier Giuseppe Conte sucht Italiens Staatspräsident einen Weg aus der Krise – es steht viel auf dem Spiel.

In Rom hat am Dienstag ein barockes Prozedere begonnen, das in Italien als „crisi al buio“ bezeichnet wird, als „Regierungskrise in der Dunkelheit“. Das bedeutet, dass über ihren Verlauf und insbesondere über ihren Ausgang keine Gewissheiten herrschen. Stattdessen haben taktische Spielchen, Spekulationen und gezielte Indiskretionen Hochkonjunktur. Fest steht einzig, dass Staatspräsident Sergio Mattarella der Steuermann in dieser Krise sein wird. Der 79-jährige Sizilianer hat am Dienstag das Rücktrittsschreiben Contes entgegengenommen, sich mit dem abtretenden Premier ausgetauscht und angekündigt, Mittwochnachmittag mit den Parteiführern Gespräche zu beginnen.

Dabei steht einiges auf dem Spiel – für Italien und Europa. Denn wenn es Mattarella nicht gelingen sollte, Mehrheiten für eine neue Regierung zu finden, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als das Parlament aufzulösen und vorzeitige Neuwahlen auszuschreiben. Diese würden spätestens im Juni stattfinden – und gewinnen würden laut den aktuellen Umfragen mit einiger Wahrscheinlichkeit die rechtsradikale Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und die postfaschistischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni. Das würde auch bedeuten, dass der Nachfolger des überzeugten Europäers Mattarella, dessen Amtszeit in einem Jahr ausläuft, von einem neuen Parlament gewählt würde, in dem Rechtspopulisten und Europafeinde die Mehrheit hätten.

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In diesem Fall könnte der große Traum des Silvio Berlusconi in Erfüllung gehen: Der 84-jährige herzkranke Ex-Premier, der im Zusammenhang mit seinen Sexskandalen immer noch ein Strafverfahren wegen Zeugenbestechung am Hals hat, würde seine lange politische Karriere liebend gerne als Staatspräsident beschließen. Salvini hat in diesen Tagen bereits öffentlich kundgetan, dass er sich das gut vorstellen könnte. Möglich wäre aber auch, dass ein Europaskeptiker vom Schlage eines Paolo Savona Mattarellas Nachfolger wird.

Das Szenario mit Berlusconi oder Savona als möglichen Staatsoberhäuptern und damit als Garanten der demokratischen Institutionen ist freilich derart gruselig, dass es gerade deswegen unwahrscheinlich wird: Die europafreundlichen Parteien und Mattarella werden alles unternehmen, um die Legislatur zu retten und Neuwahlen zu vermeiden. Der – zumindest auf den ersten Blick – einfachste Ausweg aus der Krise bestünde darin, dass Mattarella dem Noch-Premier Giuseppe Conte nochmals eine Chance gibt: Die verbliebenen drei Koalitionspartner – die Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemokratische PD und die linke Kleinpartei LEU – erklärten am Dienstag, dass sie Conte weiterhin die Treue halten wollen.

Auch Ex-Premier Matteo Renzi, der mit dem Abzug seiner beiden Ministerinnen aus der Regierung die politische Krise ausgelöst hatte, bekräftigte, dass er und seine Partei Italia Viva nach wie vor „zu Gesprächen bereit“ wären. Conte selber wünscht sich ohnehin nichts sehnlicher, als gleich wieder in das Regierungsgebäude in Rom zurückzukehren.

Nun könnte eine „Ursula-Regierung“ kommen

Möglich – und alles andere als unwahrscheinlich – ist aber auch die Bildung einer sogenannten „Ursula-Regierung“: Der neuen Koalition würden alle diejenigen Parteien angehören, die im Juli 2019 bei der Bestellung des EU-Kommissionspräsidiums für Ursula von der Leyen gestimmt hatten. Das wären die bisherigen Koalitionspartner Contes plus die Christdemokraten sowie die Forza Italia von Silvio Berlusconi. Keine Unterstützung hätte eine „Ursula-Regierung“ von der Lega und von den Fratelli d'Italia zu erwarten.

Es gibt noch einen Grund, warum Neuwahlen unwahrscheinlich sind, und es ist gleichzeitig der wichtigste: Seit den letzten Parlamentswahlen ist eine Reduktion der Parlamentssitze um 345 auf 600 beschlossen worden. Hunderte von Parlamentariern müssten bei Neuwahlen deshalb um ihre Wiederwahl bangen, ganz besonders die „Grillini“: Die Protestpartei war 2018 mit 33 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden und kommt in den Umfragen heute bloß auf die Hälfte. Die Partei wird wohl jede neue Regierung unterstützen, wenn sie damit ihre Sessel im Parlament retten kann. Dennoch: Prognosen wagt in Rom derzeit niemand – sonst wäre es ja keine „crisi al buio“.

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