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Regierungsprogramm: Türkei stärkt Rechte der Kurden

Die türkische Regierung stellte im Parlament ihre Pläne vor, den seit einem Vierteljahrhundert anhaltenden Kurdenkonflikt zu lösen.

Istanbul - Vor dem türkischen Parlament in Ankara tat sich am Freitag Revolutionäres – doch es gab keine Tumulte oder Handgreiflichkeiten, wie sie sonst so häufig ausbrechen, wenn ein Redner etwas sagt, was anderen nicht gefällt. Stattdessen taten die Abgeordneten, was im Plenum in der türkischen Hauptstadt nicht immer die Regel ist: Sie hörten zu, als Ahmet Türk, der Chef der Kurdenpartei DTP, sie bat, sich einmal in die Lage eines Kurden hineinzuversetzen.

„Können Sie sich als gleichberechtigter Bürger fühlen, wenn der Staat Ihnen Ihre Sprache verbietet und sogar deren Existenz leugnet?“, fragte Türk. Vor zehn Jahren noch wäre eine solche Rede undenkbar gewesen in der Türkei. Am Freitag erhielt Türk sogar Applaus von der Regierungsbank. Seine Rede passte zu den Plänen der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, den seit einem Vierteljahrhundert anhaltenden Kurdenkonflikt vor allem mithilfe von mehr Sprachfreiheit für die Kurden zu lösen.

Innenminister Besor Atalay stellt den Plan der Regierung vor. Sie will den Kurden erlauben, Kurdisch als Wahlfach in der Schule und an der Universität zu lernen, ihren Städten und Dörfern wieder kurdische Namen zu geben, im privaten Fernsehen und Radio 24 Stunden am Tag kurdischsprachige Sendungen zu sehen und zu hören und sogar im Wahlkampf sowie in der Moschee kurdisch zu sprechen. Aus westeuropäischer Sicht mag sich die Liste anhören wie eine Ansammlung von Selbstverständlichkeiten. Für die Türkei markiert sie Neuland.

Zu dem Regierungsprogramm gehört auch ein Abbau der Militärpräsenz in der Kurdenregion Südostanatoliens. Über ein konkretes Beispiel berichtete bereits die türkische Presse: Zwischen den Provinzhauptstädten Van und Hakkari gibt es derzeit nicht weniger als 21 Kontrollposten der Sicherheitskräfte – künftig soll es nur noch einen geben.

Außerdem verspricht die Regierung, dass nicht nur die Kurden von den Veränderungen profitieren sollen, sondern alle Türken. „Mehr Freiheit für alle“ laute das Motto, sagte Atalay. Eine neue, demokratischere Verfassung ist ebenfalls geplant.

Normalerweise werden solche Vorschläge von den Nationalisten im Parlament mit lautstarken Protesten kommentiert, doch am Freitag blieb es weitgehend still im Plenum. Vielleicht lag es daran, dass die Politiker nach einer tumultartigen ersten Parlamentssitzung zum Kurdenkonflikt am Dienstag von den Medien heftig kritisiert worden waren.

Der Kurdenplan der Regierung hat die Gesellschaft in der Türkei jedoch gespalten. Große Teile der türkischen Mehrheit im Land befürchten, dass die Regierungspläne auf eine Art Belohnung für die PKK hinauslaufen könnten und dass die Opfer der Kurdenrebellen vergessen werden. In den vergangenen Wochen gab es in mehreren türkischen Städten Protestdemonstrationen gegen die Bemühungen der Regierung.Nach einer neuen Umfrage ist Erdogans AKP in der Wählergunst auf 32 Prozent abgesackt, das sind 15 Prozentpunkte weniger als bei ihrem Wahlsieg 2007. Thomas Seibert

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