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Politik: Rein äußerlich

Libyens Staatschef nähert sich dem Westen an. Im Innern ist von Reformen jedoch nichts zu sehen

Wenn Bundeskanzler Schröder als erster deutscher Regierungschef am Freitag Gespräche in der libyschen Hauptstadt Tripolis führt, krönt er damit den einzigartigen Wandlungsprozess Muammar al Gaddafis. Der vom Westen gehasste, exzentrische und unberechenbare „Revolutionär“, der internationale Terroristen zu blutigen Anschlägen aufstachelte, hat sich zum Vorbild für Abrüstung und Kooperation mit dem Westen entwickelt. Die Perestroika, die Öffnung nach außen, wurde begleitet vom Versprechen, das Land politisch und ökonomisch zu liberalisieren und zu modernisieren. Die ersten Zeichen der Reform waren ermutigend. Als Symbolfigur für die junge Generation, die Libyen in eine neue Epoche führen soll, trat Gaddafis Sohn Saif al Islam in den Vordergrund. Er hat in Europa studiert und verbringt dort immer noch viel Zeit. Gaddafi junior sprach von einer Verfassungsreform, die gezügelt die autokratischen Prinzipien aufbrechen soll, von Transparenz in der Politik und von Menschenrechten.

Doch als Gaddafi, der dienstälteste arabische Autokrat, zum Jahrestag seiner Revolution am 1. September erneut die Prinzipien der „Jamahirija“, des von ihm gegründeten „Staates der Massen“ hervorhob, da wurde vielen Libyern klar, dass die geplanten Reformen nicht den erhofften radikalen Wandel bringen würden. Vielmehr nutzte Gaddafi die Phase der Entspannung mit dem Westen, um seine Macht zu stärken. Es werde keine Veränderungen in der Regierung mehr geben, verkündete der Staatschef. Um Saif al Islams Reformideen war es den vergangenen Monaten still geworden.

Nun verkündete Gaddafi eine neue Modernisierungsidee: So soll ein großer Teil des bisherigen Militärbudgets künftig in die ökonomische und soziale Entwicklung des Landes fließen. Auch von Privatisierungen ist die Rede. Die Kontrolle über die Ölgelder bleibt indes fest in den Händen des Staatschefs.

Der „Revolutionsführer“ zählt nicht zu den paranoiden Diktatoren vom Schlage des gestürzten Irakers Saddam Hussein. Satellitenfernsehen und Internetzugang ermöglichen den Libyern schon lange den Blick in die Welt. Amnesty International durfte jüngst zum ersten Mal seit 15 Jahren nach Libyen einreisen. Doch der Bericht der Organisation lässt immer noch schwere Mängel im Justizsystem erkennen. Folter und monatelange Haft ohne Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung.

Zahlreiche politische Gefangene traten am 7. Oktober in den Hungerstreik, um gegen die katastrophalen Haftbedingungen und die Tatsache zu protestieren, dass ihr 2001 begonnener Prozess bis heute nicht abgeschlossen ist. Auf Druck der EU deutet Libyen allerdings an, man könnte die Todesurteile gegen fünf bulgarische Krankenschwestern überdenken. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten hunderte libyscher Kinder mit dem HIV-Virus infiziert.

Birgit Cerha[Beirut]

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