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Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff (CDU).

© dpa

Reiner Haseloff zu AfD im Landtag: "Schlimmer, als ich es erwartet habe"

Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt über erste Erfahrungen mit der AfD im Landtag, den Richtungsstreit in der Union - und Wolfgang Schäuble als Gegner.

Herr Haseloff, im Magdeburger Landtag hat die Alternative für Deutschland 25 Sitze, nur fünf weniger als Ihre CDU. Bei der Landtagswahl hatte die AfD fast ein Viertel der Stimmen bekommen. Nirgends ist sie so stark wie in Sachsen-Anhalt. Wie sind denn die ersten Erfahrungen im Parlament?

Sie sind schlimmer, als ich es erwartet habe. Aber die AfD ist ja keine ganz unbekannte Partei mehr, und die Tendenz, wohin es gehen wird, war ja schon im Wahlkampf erkennbar. Was sich da zeigt, ist eine andere politische Kultur:  Vom Agieren im Plenum bis zur Wortwahl in Debatten. Es geht der AfD allein um die Konfrontation mit denen, die sie „Altparteien“ nennen. Die Auseinandersetzung wird lautstark geführt und ist bisweilen persönlich diffamierend. Inhaltlich kommt bisher praktisch nichts. Ich erwarte da auch nur Destruktives. Es wird eine echte Herausforderung für die neue Koalition der Mitte von CDU, SPD und Grünen. Aber es wird uns eher zusammenschweißen.

Wie wollen Sie mit der AfD umgehen?

Die Mitte muss als  homogene Kraft erscheinen, bei allen Unterschieden, die wir haben. Wir müssen das Gemeinsame nach vorne stellen und betonen, dass wir am Grundkonsens des Grundgesetzes festhalten werden. Es geht um eine klare Abgrenzung zur AfD, nicht aber um die Ausgrenzung ihrer Wähler. Von denen wollen wir so viele wie möglich zurückholen ins Spektrum der Mitte. Diese AfD-Wähler beginnen übrigens schon zu erkennen, dass die erhofften Lösungen von dieser Partei nicht kommen werden.

Die CDU hat ja ihre Position in Sachsen-Anhalt behaupten können, trotz des Aufkommens der AfD. Was bedeutet das mit Blick auf kommende Wahlen?

Eine Volkspartei wie die CDU hat ein breites Wählerspektrum und muss die daraus resultierenden breit gefächerten Erwartungen abdecken. Das ist uns offenbar einigermaßen gelungen. Für die Union sind soziale Themen und innere Sicherheit ebenso wichtig wie die nationalstaatliche Integrität. Ich habe meinen Wahlkampf mit Horst Seehofer und Angela Merkel zusammen gestaltet und damit diese volksparteiliche Breite geboten. Man muss nicht Gegensätze inszenieren, sondern Gemeinsamkeiten betonen.

Hat man das auch in München begriffen? Seehofer streitet sich mit den Granden der CDU bis hin zur Kanzlerin seit mittlerweile einem Jahr.

Zum Streiten gehören immer zwei. Sicher müssen wir noch etwas nachlegen bei der notwendigen Einigkeit. Das sollten wir in der gemeinsamen Klausur von CDU und CSU in Potsdam besprechen. Eines sollte man bedenken dabei: In allen Landesverbänden der CDU steckt auch ein guter Anteil CSU. Andererseits gibt es innerhalb der CSU auch Strömungen, die der CDU von Angela Merkel näherstehen. Auch da herrscht eine gewisse Breite der Positionen. Insofern bringt es nichts, Gegensätze zu konstruieren.

Das Zerwürfnis zwischen Merkel und Seehofer geht auf die Flüchtlingspolitik zurück, auf die Öffnung der Grenze im vorigen Herbst. Die CSU hatte wohl den Eindruck, man nehme ihre Haltung nicht mehr ernst. Glauben Sie, dass in diesem angespannten Klima, das sich da aufgebaut hat, bei der Klausur überhaupt eine Annäherung möglich ist?

Wenn man nüchtern Bilanz zieht, dann ist doch recht klar zu erkennen, was in den einzelnen Phasen richtig und was weniger richtig war. Niemand stellt zum Beispiel in Frage, dass die Sofortreaktion  der Kanzlerin auf die Flüchtlingswelle, auf die Situation auf dem Balkan im Sinne einer Deeskalation der Situation richtig war. Eine andere Frage ist, ob die Monate danach gut gemanagt worden sind, auch was die Kommunikation der Maßnahmen angeht. Horst Seehofer kann nicht darüber hinweggehen, dass Angela Merkels Politik in Teilen auch ein Einschwenken auf seine Linie war. Eine ungesteuerte Einwanderung gibt es nicht, durch das Abkommen mit der Türkei hat die Kanzlerin gezeigt, dass sie auf europäischer Ebene etwas erreichen konnte.

Die CDU wurde in der Sachsen-Anhalt-Wahl überproportional stark von Frauen unterstützt. Die AfD dagegen überproportional von Männern. Was folgern Sie daraus? Sind Frauen in Krisenzeiten gelassener?

Offenkundig ist es uns gelungen, mit unserer Strategie, Argumente zusammenzuführen, Frauen in stärkerem Maße anzusprechen. Bei vielen Männern scheint es möglicherweise ein etwas anderes Verständnis zu geben, was der Staat zu erfüllen hat – zumal bei jenen, die Staat schon anders erlebt haben, als er heute auftritt. Da konnte die AfD offenbar punkten. Da spielte sicherlich auch eine Rolle, dass Ereignisse im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise als Kontrollverlust des Staates bewertet wurden.

Ostdeutsche kennen Russland besser als die meisten Westdeutschen. Was haben Sie gedacht, als Seehofer in Moskau Wladimir Putin die Hand geschüttelt hat?

Was hätte er denn sonst tun sollen? Es gibt bei solchen Begegnungen protokollarische Gepflogenheiten, an sie man sich hält. Die Botschaft sollte ja sein, dass man den Kontakt zu Russland nicht abreißen lassen darf. Wir müssen mit den Russen gemeinsam unterwegs sein, weil alles andere in die Katastrophe führt. Als Horst Seehofer in Moskau war, saß ich beim russischen Botschafter in Berlin, um über wirtschaftliche Kontakte zu reden und über deutsch-russische Partnerschaften. Ja, wir im Osten kennen die Russen, und wir wissen daher: Wenn man mit ihnen redet, dann sind sie auch zugänglich für Kritik und Vorschläge. Verhandeln bringt mehr als boykottieren.  

Am kommenden Donnerstag wollen sich die Ministerpräsidenten wieder mit der Kanzlerin treffen, es geht um Finanzthemen, die Flüchtlingskosten, die Neuordnung des Finanzausgleichs ab 2020. Finanzminister Wolfgang Schäuble zeigt wenig Entgegenkommen und sieht beim Finanzausgleich sogar kaum noch Chancen auf eine Einigung vor der Bundestagswahl. Wie sehen Sie das?

Ich finde es bedauerlich. Zum einen ist die Neuordnung des Finanzausgleichs ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag. Zum anderen hat es die Verabredung mit Wolfgang Schäuble gegeben, dass die Länder unter sich eine Lösung finden sollen, über die man dann spricht. Und wir haben uns im Kreis der Ministerpräsidenten im Dezember verständigt, zwischen Gebern und Nehmern, zwischen Starken und Schwachen, Bayern und Nordrhein-Westfalen sind im Boot, der Osten, Bremen, das Saarland. So wie es gewünscht war. Wenn nun der Eindruck erweckt wird, dass das alles nur zu Lasten des Bundes möglich war, dann ist das schon eine Verkürzung dessen, was wir auf den Tisch gelegt haben. Auf der horizontalen Ebene zwischen den Ländern findet - vielfach übersehen - durch Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung in erheblichem Umfang ein solidarischer Ausgleich von Finanzkraft statt. Wenn es jetzt zu keiner Einigung kommt, weil der Bund sich verweigert, dann brauchen jedenfalls die schwächeren Länder eine klare Ansage, wie es nach 2019 weitergeht – denn wir müssen unsere Haushalte planen. Wir brauchen dann eine Zusage, dass die bisherigen Bundeszuschüsse nicht einfach abbrechen, sondern dass es eine Weiterfinanzierung ab 2020 gibt, etwa in Höhe der letzten Tranche aus dem Solidarpakt. Käme diese Fortschreibung des Solidarpaktes nicht, dann würden wir in Karlsruhe klagen und bekämen auch Recht.

Sie setzen aber schon noch auf ein Ergebnis in diesem Jahr, oder?

Wer bei den Bund-Länder-Finanzen blockiert, muss bedenken, dass das Thema dann in mehreren Wahlkämpfen – Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Saarland, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein – eine Rolle spielen wird. Nicht nur der Finanzausgleich ist uns wichtig, auch die Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Nahverkehr. Es müssten Verkehrsangebote in der Fläche gestrichen werden, wenn der Bund bei seiner Position bleibt. Es ist schon merkwürdig: Einerseits gibt er  viel Geld für die Förderung der Elektroautos aus, ohne dass der Bundesfinanzminister größeren Widerstand leistet, andererseits sperrt er sich gegen eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen, weil das Modell der Länder den Bund eine Milliarde Euro mehr kostet, als Wolfgang Schäuble selbst zugestanden hat. Eines der größeren Vorhaben der großen Koalition darf nicht wegen einer vergleichsweise überschaubaren Summe scheitern.

Wie ist das Verhältnis der Ministerpräsidenten zu Schäuble?

(Längere Pause.) Im Normalfall akzeptierend-distanziert. Der Bundesfinanzminister hat eine starke Position. Aber nach den vielen ergebnislosen Verhandlungsrunden hat sich doch ein leichter bis deutlicher Unmut eingestellt über die Ergebnisorientierung bestimmter Abstimmungsrunden. Da schließe ich übrigens auch das Kanzleramt nicht aus. Hier würde ich mir mehr Zielorientierung wünschen. Man hat manchmal den Eindruck, dass in Bundesregierung und Bundestag zwischen „ihr“ und „wir“ unterschieden wird. Also ein Gegensatz von Ländern und Bund konstruiert wird, den es nach der Verfassung nicht gibt. Man kommt sich manchmal vor, als ob wir in einem konkurrierenden Zweistaatensystem leben. Wir sind aber, Bund und Länder, ein homogenes Gesamtgefüge, in dem jede Ebene ihre Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten hat. Das muss wieder stärker praktiziert und kommuniziert werden. Da wurde in letzter Zeit Porzellan zerschlagen, das wieder gekittet werden muss.

Im Juni vor 25 Jahren wurde der erste gesamtdeutsche Bundeshaushalt verabschiedet. Wie blühend sind die ostdeutschen Landschaften denn heute?

Beim Lebensstandard hat es eine deutliche Annäherung gegeben. Aber was die Steuerkraft angeht, kommunal wie auf Länderebene, können sie die Grenzen der DDR noch erkennen – wir sind deutlich schwächer. Das wird durch die Ausgleichssysteme aufgefangen, manchmal sogar nivelliert, aber wir haben ökonomisch noch lange nicht gleichgezogen. Im Wahlkampf wurde ich oft auf die Rentenangleichung angesprochen. Das ist oft gar nicht so sehr ein finanzielles, sondern mehr ein psychologisches Problem. Das Thema ist derzeit nicht vorn auf der Agenda, sollte aber mit Blick auf das Bundestagswahljahr wieder stärker beachtet werden. Wir brauchen die Rentenangleichung.

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