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Könnte helfen: Der gute alte Waldspaziergang unterstützt die Selbstbesinnung und schützt so vor Überforderung.

© Maurizio Gambarini/dpa

Reizüberflutung und Fundamentalopposition: Gegen Rechtspopulismus helfen auch Waldspaziergänge

Das Bangen vor "denen da oben", die normale Sorgen nicht ernstnehmen - ist das typisch rechts? Tatsächlich überfordert sie eine andere, anonyme Macht: Die Reiz- und Informationsflut. Eine Betrachtung.

Von Robert Birnbaum

Was haben Donald Trump, Geert Wilders, Frauke Petry, die Piraten (früher) und Joschka Fischer (noch viel früher) gemeinsam? Nein, die Antwort ist nicht „Politiker“, das wäre zu banal. Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen der Internationale der Rechtspopulisten, der verblichenen Digital-Freibeutertruppe und dem einstigen Frankfurter Straßenkämpfer besteht in der Stoßrichtung: Es geht gegen „die da oben“.

Das klingt auch banal, weil, gegen wen sonst soll eine Opposition anrennen, wenn nicht gegen die Regierenden? Aber das ist nicht der Punkt. Der liegt in der Art und Weise, wie „die da oben“ betrachtet werden. Die Etablierten. Das Establishment. Diese Machthaber, die unter sich die Schicksale der Welt ausmachen und sich einen Dreck darum kümmern, was normale Leute wie wir ... gut, das reicht, man kennt den Tonfall.

Traditionell war diese Fundamentalopposition eingebettet in das ideologische Schema des Kalten Kriegs und also eher „links“ verortet. Noch die Piraten verstanden sich selbst als Erben der klassischen Bürgerrechtsbewegung, bloß mit Akkubetrieb.

Polemik gegen Eliten gibt es auch von links - und in der Mitte der Gesellschaft

Inzwischen hat die Polemik gegen die angeblich abgehobenen Eliten nicht einfach nur die Seiten gewechselt ins Rechtsnationale. Sie ist bis in die Mitte hinein gesellschaftsfähig geworden. Man trifft immer öfter Menschen aus angenehmen Wohnlagen mit Bankkonto und gefestigter beruflicher Position – also nach allen denkbaren Kriterien Angehörige einer Elite – die gesprächsweise den Eindruck verbreiten, als ob sie schwer unter der Knechtschaft von „Brüssel“ oder „Berlin“ oder „der Merkel“ zu leiden hätten.

Die Wissenschaft, nach den Gründen befragt, wirkt oft ratlos. Klassische Erklärmuster – Abwendung der Unterprivilegierten, Abstiegsangst der Mittelschicht – greifen erkennbar zu kurz. Aber vielleicht sind Sozio- und Politologen auch einfach die falsche Sorte Experten. Der Bonner Kinderpsychiater Michael Winterhoff zum Beispiel hat neulich eine interessante Theorie beigesteuert.

Die Flut an Reizen und Informationen wirkt wie eine anonyme Macht

Der moderne Mensch, lautet sie sinngemäß, überfordert sich selbst derart mit Reizen und Informationen, dass er das Gefühl hat, nur noch von anonymen Mächten gesteuert zu werden. Homo sapiens ist als ein von Natur wenig wehrhaftes Wesen sowieso dauernervös – es könnte ja ein Säbelzahntiger um die Ecke kommen. Die neuzeitliche Variante Homo smartphoniensis überfüttert ihr eigenes Alarmsystem derart, dass es ungefähr ab dem frühen Vormittag kapituliert.

Man könnte diese Theorie ja mal versuchsweise auf die Politik anwenden. Winterhoffs anonyme Mächte wären dann „die da oben“, und der im Anti-Eliten-Radau versteckte Ruf nach radikal einfachen Antworten wäre als Hilferuf zu begreifen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass dagegen weder eine Rentenreform noch ernste Appelle des Bundespräsidenten helfen.

Der Psychiater Winterhoff rät zu langen Waldspaziergängen zwecks Selbstbesinnung. Die etablierten Parteien sollten also ihre Wahlkampfplanung überdenken, mehr in Richtung Wandertag. Ansonsten hilft nur ein schlichter Hinweis: Je lauter einer gegen „die da oben“ wettert, desto dringlicher strebt er gemeinhin genau nach da oben.

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