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Politik: Religionsgipfel in trügerischer Harmonie

Istanbul - Es war ein schönes Bild, auch wenn die Harmonie ein wenig täuschte. Vor dem glitzernden Bosporus stellten sich die deutsche Kanzlerin und der türkische Premier zusammen mit Vertretern von Christen, Juden und Muslimen den Fotografen.

Istanbul - Es war ein schönes Bild, auch wenn die Harmonie ein wenig täuschte. Vor dem glitzernden Bosporus stellten sich die deutsche Kanzlerin und der türkische Premier zusammen mit Vertretern von Christen, Juden und Muslimen den Fotografen. „Ein guter Anfang“ sei das Treffen mit den Vertretern der Weltreligionen gewesen, sagte Angela Merkel am Freitag in Istanbul. Dieser Dialog müsse nun zur Normalität werden. In der Türkei ist davon aber bisher nichts zu spüren.

In einer für das Land einmaligen Runde hatten Merkel und Erdogan mit den Patriarchen der griechisch-orthodoxen und der armenischen Kirchen sowie dem Oberrabiner der Türkei und dem Mufti von Istanbul über mehr Toleranz zwischen den Religionen gesprochen. Beim nächsten Besuch Erdogans in Deutschland soll es ein ähnliches Treffen geben. Der Respekt der Religionen untereinander sei zum Ausdruck gekommen, sagte Merkel. Erdogan sang ein Loblied auf Toleranz und gegenseitiges Verstehen: „Die Welt ist unser gemeinsames Haus“.

Hätten die anwesenden Geistlichen das Treffen öffentlich kommentieren können, hätte die Bilanz vielleicht anders ausgesehen. Trotz vieler Zusagen sind Christen in der Türkei nach wie vor stark benachteiligt. Die griechisch-orthodoxe Kirche kann seit mehr als 30 Jahren keine Priester mehr ausbilden und ist deshalb vom Aussterben bedroht. Viele Kirchen wurden in den vergangenen Jahrzehnten vom Staat beschlagnahmt. Ein Reformgesetz, das auf EU-Druck Verbesserungen bringen soll, quält sich durchs Parlament und wird zugunsten von Nationalisten verwässert, die Christen als Agenten des feindlichen Auslands sehen. Die Kanzlerin deutete diese Probleme nur an.

Vor dem Gruppentermin hatte Merkel ein deutlicheres Zeichen gesetzt. Sie besuchte das griechisch-orthodoxe Patriarchat im Stadtteil Fener – eine besondere Geste für den Patriarchen Bartholomäus, den sie später bei der Runde mit Erdogan wieder traf. Die Türkei erkennt den Patriarchen nicht als geistiges Oberhaupt der 330 Millionen orthodoxen Christen weltweit an. Für Ankara ist er ein Geistlicher niederen Ranges. Diese Geringschätzung drückt sich unter anderem im Desinteresse an Kontakt zum Patriarchen aus: Das Treffen mit Erdogan war erst die zweite offizielle Begegnung des Kirchenführers mit dem seit fast vier Jahren regierenden Premier.

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