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Renate Künast verlor 2011 das Rennen um das Amt des Regierenden Bürgermeisters - und dann flogen die Grünen auch noch aus der Koaliton.

© Doris Spiekermann-Klaas

Renate Künast: "Wowereit hat beim Flughafen nicht mit offenen Karten gespielt"

Renate Künast über die Stärken von Peer Steinbrück, ihre Chancen bei der Urwahl der grünen Spitzenkandidaten - und das Ende der Regierung von Klaus Wowereit, das ihrer Meinung nach vorzeitig kommt.

Von
  • Sabine Beikler
  • Hans Monath

Frau Künast, müssen Sie kämpfen?

Schönes Verb! Ich bewerbe mich bei der Urwahl und sage einfach, was ich für nötig halte.

Da gibt es allerdings starke Konkurrenz. Macht Ihnen zu schaffen, dass die Basis so unberechenbar ist?

Unberechenbar trifft es nicht. Es gibt schlicht keine Umfragen unter den 59 300 Grünen-Mitgliedern zu den 15 Kandidaten. Das Ergebnis werden wir am 10. November kennen. Bis dahin machen wir elf Kandidatenforen und stellen uns vor.

Ist das nicht ermüdend?

Nein. Zwar kennen wir langsam schon die Redepassagen der anderen. Aber es ist ein gutes Format und jede Veranstaltung ist anders. Wichtig ist, dass die Urwahl insgesamt gut angenommen wird. Das basisdemokratische Angebot mobilisiert sogar Mitglieder, die lange bei keiner Parteiveranstaltung mehr waren. Im kommenden Juni bieten wir noch eine weitere Abstimmung für alle Mitglieder an: über die zehn Schwerpunkte unseres grünen Wahlprogramms. Das zeigt doch: Die Piraten reden nur darüber, wir machen es.

Womit wollen Sie die Basis überzeugen?

Ich habe zwei Schwerpunkte. Der eine liegt darin, dass wir als wertegeleitete Partei dem Gedanken folgen: Erhalten, was uns erhält. Wir dürfen unsere Lebensgrundlagen nicht aufbrauchen – das heißt, wir brauchen eine echte Energiewende, mehr Klimaschutz oder etwa eine ökologisch gute Produktion von Lebensmitteln.

Und der zweite Vorschlag?

Kinder in den Mittelpunkt stellen. Da geht es um mehr Gerechtigkeit. Wir hängen nicht – wie die Union – den alten Gesellschaftsmodellen der 50er Jahre an, wir rücken die Infrastruktur für Betreuung und Bildung in den Mittelpunkt unserer Politik. Und zur Finanzierung brauchen wir eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes; die starken Schultern sollen mitfinanzieren.

Die führenden Realpolitiker haben dieses Mal nicht zu Ihrer Wahl als Spitzenkandidatin aufgerufen – schadet Ihnen das?

Ich fühle mich sehr gut unterstützt, auch von führenden Grünen, und auch von grünen Reformerinnen und Reformern. In der Urabstimmung geht es allerdings darum, die gesamte Grüne Partei im Wahlkampf 2013 zu vertreten, nicht einen Flügel.

Nach der Berlin-Wahl wurden Sie intern kritisiert und gestanden später Fehler ein. Was haben Sie dazugelernt?

Eine meiner Lehren aus dieser Zeit ist sehr simpel: Sei einfach so, wie du bist!

Wo waren Sie das nicht?

Es gab etwa Plakate, die mir Eigenschaften eines Regierenden Bürgermeisters zuschreiben sollten, die vielleicht traditionell erwartet werden. Das hat nicht funktioniert.

Übersteht Wowereit die Flughafenaffäre?

Stehen Sie noch zu Ihrer Aussage von damals, wonach Schwarz-Grün tot sei?

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass momentan kein prominenter Grüner für die Bundestagswahl Schwarz-Grün propagiert? Wir brauchen eine klare Aufstellung. Unser Ziel ist, diese Koalition abzulösen und mit ihr die CDU/CSU. Wir wollen Rot-Grün.

Wir wollen mal ein Szenario aufmachen: Gesetzt den Fall, Sie werden durch die Urwahl nicht Spitzenkandidatin. Bewerben Sie sich dann trotzdem wieder für die Berliner Landesliste für den Bundestag?

Natürlich. In allen Bundesländern stehen auf dem ersten und zweiten Platz der Landesliste unserer Partei Grüne, die trotzdem nicht einer von zwei Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl werden können. Das sind in 16 Bundesländern 32 grüne Politiker.

Apropos Berlin: Wie, meinen Sie, wird Klaus Wowereit die Flughafenaffäre überstehen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die gesamte Legislaturperiode schafft. Beim Umgang mit dem Flughafen BER hat er nicht mit offenen Karten gespielt. Er war nicht der sorgende, seine Amtsgeschäfte wahrnehmende Bürgermeister. Der Lack ist ab. In der Bevölkerung und auch in der SPD schwindet das Vertrauen zu ihm massiv. Weitere Brüche in seiner Aufstellung wird er nicht überstehen.

Was meinen Sie mit Brüchen?

Es gehört schon einiges an Chuzpe dazu, nun zu behaupten, das Chaos koste den Steuerzahler nichts. Mit Nettsein und der Rückkehr zum Bussis-Geben ist es jedenfalls nicht getan. Das sollte Wowereit wissen. Entscheidend ist, was der Untersuchungsausschuss bringt. Die Frage ist, ob er als Aufsichtsrat seine Hausaufgaben gemacht hat. Vor wenigen Jahren wurden die Pflichten von Aufsichtsräten verschärft. Wer als Aufsichtsrats-Chef Hinweise hat, dass etwas nicht richtig läuft, muss einer verschärften Aufklärungspflicht nachkommen.

Was, wenn er dieser Pflicht nicht gerecht geworden ist?

Wenn der Untersuchungsausschuss zeigt, dass Wowereit Pflichtverletzungen begangen hat, wird er die Konsequenzen ziehen müssen. Dann müssen die Bürgerinnen und Bürger das Wort haben. Dann brauchen wir Neuwahlen.

Sie setzen im Bund auf Rot-Grün. Ist der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück für dieses Wunsch-Bündnis eine gute Voraussetzung?

Steinbrück verfügt, als Ex-Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, als Finanzminister und als Ökonom über viele Erfahrungen. Und Steinbrück stiehlt Merkel ein Alleinstellungsmerkmal. Sie inszeniert sich als eine Kanzlerin, die die deutschen Interessen auf europäischer Ebene mit Kompetenz und Ruhe vertritt. Tatsächlich sitzt sie aber die Krise nur aus. Steinbrück hat die Kompetenz, Ruhe und Erfahrung, um eine Krise dieses Ausmaßes zu managen. Das gibt uns den Raum, politisch die Ursachen der Krise endlich anzupacken und nicht nur wie Merkel das Portemonnaie verkrampft zuzuhalten. Die Gefahr, Steinbrück könnte im grünen Wähler-Terrain wildern, sehe ich nicht – das ist doch auch gut.

Kommt die Ampel-Koalition?

Stört es Sie, dass er ein Machtmensch ist, wie Ihre Fraktionskollegin Bärbel Höhn meint?

Um politische Inhalte durchzusetzen, braucht man auch Macht, um zu gestalten. Sicher kann Steinbrück auch ziemlich direkte Ausdrucksformen wählen. Das scheue ich aber nicht.

Noch ein Szenario: Die FDP kommt im Herbst 2013 in den Bundestag, für Rot-Grün reicht es nicht. Müssten Sie dann nicht eine Ampel-Koalition mit SPD, Grünen und FDP einer großen Koalition unter Angela Merkel vorziehen, bei der Sie in der Opposition landen?

Schauen Sie sich doch mal die letzten Wahlergebnisse an, in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland- Pfalz, Bremen gibt es grün-rote oder rot-grüne Landesregierungen. Auch in Berlin hatte Rot-Grün eine Stimme Mehrheit. Und das werden wir auch auf Bundesebene schaffen. Ich werde den Teufel tun, ein Überlebensprogramm für die Liberalen aufzulegen. Mit vier Prozent kommt man nicht in den Bundestag. Jetzt warten wir mal ab, welchen Schwung es auslöst, wenn die FDP in Niedersachsen aus dem Landtag fliegt.

Eine Debatte, die derzeit geführt wird, ist der Umgang mit religiöser Beschneidung. Brauchen wir dafür ein Gesetz?

Ja, wir brauchen eine gesetzliche Regelung. Ich persönlich denke, dass es möglich sein muss, im Rahmen des treuhänderischen elterlichen Erziehungsrechtes die Entscheidung für eine Beschneidung aus medizinischen oder religiösen Gründen zu treffen. Ich denke, dass eine Ergänzung im Bürgerlichen Gesetzbuch dafür einen Weg weisen könnte. Gut, dass der Bundestag es geschafft hat, das Thema seriös und ohne Schärfe anzugehen. Die grünen Abgeordneten sollen über eine mögliche Regelung ohne Fraktionsdisziplin abstimmen können.

Haben Sie Verständnis für Klagen jüdischer Vertreter über den Ton der Debatte?

Wir müssen da sensibel sein, und die meisten Bundespolitiker sind das auch. Ich finde es allerdings problematisch, wenn Charlotte Knobloch hinter allen Argumenten unterschiedslos Antisemitismus wittert. Man darf sich aus Sorge um Kinder durchaus kritisch über religiöse Beschneidungen äußern, ohne einen antisemitischen Hintergrund unterstellt zu bekommen. Das weise ich ausdrücklich zurück.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Hans Monath. Das Foto machte Doris Spiekermann-Klaas

Renate Künast (56) wuchs in Recklinghausen auf, lebt aber schon seit mehr als 30 Jahren in Berlin. Die Sozialarbeiterin und Juristin ist mit dem Berliner Strafverteidiger Rüdiger Portius verheiratet. Seit 1979 mischt Künast in der Parteipolitik mit: erst Alternative Liste, Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, später Parteichefin der Bundesgrünen. Von 2001 bis 2005 war sie Verbraucherschutzministerin, dann Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Künast scheiterte bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 als Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin. Künast ist eine von drei Bewerberinnen für ein Spitzenduo, das die Partei in den Wahlkampf führen soll. Derzeit läuft die Urwahl unter den 59 300 Mitgliedern. Das Ergebnis soll am 10. November feststehen. Tsp

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