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Rente: Der Faktor Lebenserwartung

Wirtschaftsforscher fordern eine Reform des Rentensystems, die Besserverdienende nicht mehr begünstigt. Die Stärkung der privaten Vorsorge funktioniert nicht bei allen.

Berlin - Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine Rentenreform zugunsten von Geringverdienern vorgeschlagen. In der Rentenformel müs se nicht nur die jeweilige Höhe und Dauer der Beitragszahlung, sondern auch die zu erwartende Dauer des Rentenbezugs berücksichtigt werden, forderten die Experten. Begegnen ließe sich damit nicht nur der wachsenden Gefahr von Altersarmut, sondern auch einer bislang ignorierten Gerechtigkeitslücke im Rentensystem.

Vom Anspruch her müssten die späteren Renten in fester Relation zu den gezahlten Beiträgen stehen, betonte DIW- Präsident Klaus Zimmermann. Tatsächlich aber finde in der Rentenversicherung „eine massive Umverteilung zugunsten der Bezieher höherer Erwerbseinkommen statt“. Der Grund: Einkommensstärkere haben statistisch eine deutlich höhere Lebenserwartung. Wer länger lebt, profitiert ökonomisch gesehen stärker vom System – denn unterm Strich erhält er mehr ausgezahlt. Im Schnitt, folgert Zimmermann, erhielten Gutverdiener „also für jeden eingezahlten Euro deutlich mehr Rente als die Bezieher niedriger Einkommen“.

Der DIW-Vorschlag zielt darauf, diese „Umverteilung“ zu beseitigen und auch die Dauer des Leistungsbezugs in der Rentenformel zu berücksichtigen. Konkret würde dies bedeuten, dass Gutverdiener mit mehr als 3000 Euro im Monat geringere Rentenzahlbeträge als bisher zu erwarten hätten. Wer hingegen weniger verdient, erhielte monatlich für jeden eingezahlten Euro etwas mehr Rente.

Hintergrund des Vorstoßes ist die vorgesehene Absenkung des Rentenniveaus. Bis 2030 sei im Schnitt mit 15 Prozent weniger zu rechnen, sagte Zimmermann. Geringverdiener könnten dann schnell unter das Sozialhilfeniveau rutschen. Vor allem in Ostdeutschland gebe es diesbezüglich „Anlass zu Besorgnis“, meinte der DIW- Präsident. Für die Altersgruppe der 36- bis 65-Jährigen habe man dort von 2002 bis 2007 bereits einen Vermögensrückgang um bis zu 17 Prozent beobachtet. Hinzu komme der Preisverfall bei selbst genutzten Immobilien im Osten. Nach DIW-Berechnungen sank ihr durchschnittlicher Wert um rund 7000 auf 80 000 Euro – im Westen stieg er um etwa 600 auf 154 000 Euro. Selbst genutzte Immobilien gelten nach wie vor als wichtigste Anlageform – und auch als finanzielle Rückversicherung fürs Alter.

Hinzu komme, dass die Stärkung der privaten Altersvorsorge, mit der die Regierung ihre Rentenreform begleiten und künftiger Altersarmut vorbeugen wolle, nicht funktioniere, sagte Zimmermann. Zum einen fehlten für Geringverdiener die Anreize, da das fürs Alter angesparte Geld auf eine mögliche Grundsicherung angerechnet werde. Zum anderen seien für die private Altersvorsorge bislang nur geringe Freibeträge vorgesehen, die im Falle von Arbeitslosigkeit nicht erst aufgebraucht werden müssten, bevor man staatliche Hilfe beziehen dürfe.

Das DIW-Modell greife die Initiative des NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) auf, allen langjährigen Beitragszahlern eine Rente deutlich über der staatlichen Grundsicherung zu ermöglichen, sagte Zimmermann. Allerdings biete es gegenüber der von Rüttgers propagierten „Sockelrente“ einen großen Vorteil: Für die Finanzierung müsse nicht der Steuerzahler geradestehen. Durch die gerechtere Verteilung innerhalb des Rentensystems blieben künftige Generationen von Zusatzbelastungen verschont.

Der Konstanzer Wissenschaftler Friedrich Breyer, der das Modell entworfen hat, forderte die Politik zu raschem Handeln auf. Zwar bezögen bisher weniger als fünf Prozent der Rentner Zusatzleistungen vom Sozialamt, ihre Zahl werde aber zunehmen. Mit der neuen Rentenformel lasse sich die Altersarmut um mehr als 75 Prozent verringern. Das Arbeitsministerium lehnte den Vorschlag ab. Eine „Rente nach Lebenserwartung“ würde eine Abkehr vom Solidarprinzip bedeuten, sagte ein Sprecher.

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