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Thüringen, Erfurt: Hilde Mattheis und Dierk Hirschel stellen sich in einer Regionalkonferenz den Thüringer SPD-Mitgliedern vor.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Reparaturmaßnahmen reichen nicht: Die SPD muss raus aus der GroKo, jetzt!

Die große Koalition stärkt den rechten Rand, eine Minderheitsregierung stärkt die Demokratie, schreiben die Bewerber um den SPD-Vorsitz. Ein Gastbeitrag.

Zu den Autoren: Hilde Mattheis ist Bundestagsabgeordnete und Dierk Hirschel Verdi-Chefökonom. Sie bewerben sich als Duo um den SPD-Vorsitz.

Die große Koalition ist unter inhaltlichen Gesichtspunkten für die SPD nicht weiter hinnehmbar, da sie in der GroKo von Kompromiss zu Kompromiss zu Kompromiss getrieben wird und kein eigenes durchgängiges Profil sichtbar wird. Auch Reparaturmaßnahmen können dieses Bild nicht korrigieren.

Eine Erneuerung und klare Positionierung der SPD ist in der großen Koalition schwierig. Die SPD hat sich zwar nach der verlorenen Wahl einen Erneuerungskurs verordnet. Bisher ist allerdings die Stütze der eigenen Regierungsmitglieder wichtiger als die parteiinternen Diskussionen gewesen. Programmtisch weitergehende Ideen und Ziele („Visionen“) werden permanent zugunsten der eigenen Regierung unterdrückt, um sich am Machbaren, d.h. dem Kompromiss mit der Union zu orientieren. Eine klare Positionierung als linke Volkspartei wird damit verhindert.

Die Erfahrungen der bisherigen großen Koalitionen zeigen, dass die SPD in dieser Konstellation kaum erfolgreich sein kann, da die SPD ein doppeltes Problem hat. Die eigenen Politikansätze werden sehr erfolgreich von der Union unter Merkel als ihre Erfolge verkauft. Und die SPD ist kaum in der Lage, ihre Unterschiede zur Union in offener Kritik und Dissens herauszustellen, da sie beständig versucht, die eigenen MinisterInnen zu schützen. Jeder Kompromiss wird als gute Politik der SPD dargestellt. Damit verwischt das Profil der SPD immer mehr.

Auch unter Demokratiegesichtspunkten darf die GroKo nur die absolute Ausnahme sein. Die Demokratie lebt von politischen Alternativen zwischen linken und rechten Parteien. Eine große Koalition verwischt die Unterschiede von zwei Parteien, die im Grunde jeweils ein anderes Gesellschaftsmodell verfolgen und schüttet diese Unterschiede mit Formelkompromissen zu. Dies wird insbesondere durch die vielen Prüfaufträge, Kommissionen und Arbeitsgruppen, die Union und SPD vereinbart haben, da oft keine Einigung erzielt werden konnte, sichtbar.

All diese Punkte sprechen dafür, die große Koalition zu verlassen

Wenn große Parteien, die eigentlich zwei unterschiedliche politische Lager vertreten, über mehrere Legislaturperioden zusammen regieren, sind sie nicht mehr unterscheidbar. Das schürt Politikverdrossenheit und stärkt die politischen Ränder, vor allem den rechten Rand. Die politische Auseinandersetzung findet nicht mehr zwischen der demokratischen Linken und Rechten statt, sondern zwischen einem demokratischen Block und den Rechtspopulisten bzw. Rechtsextremen. Große Koalitionen müssen in einer Demokratie die Ausnahme sein. Durch sie nimmt unsere Demokratie Schaden.

[Mehr zum Thema: Suche nach Parteiführung – der Kampf um die SPD-Spitze ist auch eine Abstimmung über die Groko]

Die AfD ist in der großen Koalition Oppositionsführerin mit allen informellen Privilegien. Sie ist stärkste Oppositionspartei und erhält damit nicht nur den Vorsitz über den wichtigen Haushaltsausschusses des Bundestages, sondern darf auch die erste Antwort auf Vorlagen und Entwürfe der Bundesregierung liefern. Die Rolle der AfD wird somit gesellschaftlich und medial enorm aufgewertet. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen finden nicht mehr an den Unterschieden zwischen Union und SPD, sondern zwischen der GroKo und der AfD statt. Einer Partei, die sich zum Ziel gesetzt hat, die parlamentarische Arbeit zu obstruieren. Sie glänzt durch mangelhafte Anträge, unflätige Zwischenrufe und die höchste Abwesenheit bei namentlichen Abstimmungen.

All diese Punkte sprechen dafür, die große Koalition zu verlassen. Meist wird dann als Gegenargument drohenden Neuwahlen angeführt. Diese Angst darf nicht dazu führen, dass die SPD aus Angst vorm Tod Selbstmord begeht. Darüber hinaus wäre die Bildung einer CDU/CSU geführten Minderheitsregierung wegen der bei Neuwahlen drohenden Verluste der CDU/CSU wahrscheinlich.

[Mehr zum Thema: Fünf Mal verloren - die Bilanz der GroKo bei Landtagswahlen ist verheerend]

Es ist fest davon auszugehen, dass Die CDU/CSU folgende Überlegung anstellt: Der Haushalt für das nächste Jahr wird im November verabschiedet. Damit ist das nächste Regierungsjahr gesichert. Lediglich das letzte Jahr bis zu regulären Neuwahlen wäre unter Haushaltsgesichtspunkten unsicher. Damit ist die Minderheitsregierung die Alternative zu Neuwahlen, da diese hinausgezögert würden und der Wählerwille der Bundestagswahl 2017 respektiert wird.

Die Zeit bis zur Neuwahl kann die SPD nutzen, um sich inhaltlich und organisatorisch zu erneuern und zu profilieren. Sie kann bei für sie richtigen Themen die Regierung stabilisieren, bei anderen sich als Opposition klar abgrenzen, da der Koalitionszwang entfällt. Das ist eine Innovation. Die SPD würde „Geschichte schreiben“ und einen neuen Weg beschreiten.

Minderheitsregierungen sind nicht automatisch instabil! Parallelen zur instabilen Lage in der Weimarer Republik gehen nicht auf, da die Bundesrepublik institutionell und politisch stabil dasteht. Und wir haben ja erlebt dass auch Mehrheitskoalitionen auseinanderbrechen können und instabile Verhältnisse schaffen, z.B. 1972 beim konstruktiven Misstrauensvotum gegen Brandt oder 1982 beim Austritt der FDP aus der sozialliberalen Koalition, auf die Neuwahlen folgten.

Das Grundgesetz lässt eine Minderheitskonstellation ausdrücklich zu

Durch eine Minderheitsregierung wird der Bundestag und damit die Demokratie aufgewertet! Es könnte eine neue Debattenkultur entstehen, weil Mehrheiten für Gesetzesentwürfe erst mit Argumenten erkämpft werden müssten. Die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit wäre wieder verstärkt auf den Bundestag gerichtet. Gerade in Zeiten der zunehmenden Demokratieverdrossenheit ist eine Stärkung des Bundestags wichtig für die öffentliche Wahrnehmung

Das Grundgesetz lässt eine Minderheitskonstellation ausdrücklich zu.  Art. 63: im 3. Wahlgang kann ein*e Kanzlerkandidat*in nur mit relativer Mehrheit zum Kanzler*in gewählt werden, sofern der Bundespräsident keine Neuwahlen ansetzt. Ein*e solche*r Minderheitskanzler*in könnte nicht leicht abgesetzt werden, weil die Opposition zu einem konstruktiven Misstrauensvotum zusammen eine*n neue*n Bundeskanzler*in aufstellen müsste.

[Mehr zum Thema: Ein Jahr große Koalition – warum die SPD in der Groko nichts gewinnt]

Durch diese Form der Regierung hätte die SPD nicht nur die Möglichkeit ihr Profil zu schärfen, sondern auch die Möglichkeit der Annäherung an zukünftige Koalitionspartner, da unsere inhaltliche Übereinstimmung sichtbar würde. Das Versagen beim Klimapaket zeigt mal wieder sehr deutlich, mit dieser großen Koalition kann Verteilungsgerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit nicht ernsthaft angegangen werden.

In Puncto Minderheitsregierung kann die SPD auf den großen Erfahrungsschatz unserer Genoss*innen in den Bundesländern und im Ausland zurückgreifen. In den skandinavischen Ländern, z.B. Norwegen, Schweden und Dänemark, sind Minderheitsregierungen der Regelfall, auch im anderen europäischen Ausland kommt dies häufiger vor und kann erfolgreich sein wie z.B. momentan in Portugal. Die Partido Socialista führt eine von den zwei kleinen linken Parteien tolerierte Minderheitsregierung an. In den Bundesländern gab es erfolgreiche Minderheitsregierungen, z.B. „Magdeburger Modell“. In Sachsen-Anhalt gab es von 1994-2002: eine SPD-geführte Regierung, bis 1998 mit den Grünen, durch PDS toleriert. Das für einige Monate in Berlin ähnlich funktionierte. In NRW gab es von 2010-2012 eine SPD-geführte rot-grüne Minderheitsregierung ohne feste Tolerierung, mit wechselnden Mehrheiten.  

Die große Koalition zu verlassen stärkt die Demokratie. Dieser Schritt stärkt die SPD und den gesellschaftlichen Diskurs. Es ist Zeit, diese Koalition zu beenden, aus staatspolitischer Verantwortung.

Hilde Mattheis, Dierk Hirschel

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