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Steinmeier

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Reportage: Steinmeier: "Das Ding ist offen"

Wie der SPD-Parteitag in Berlin-Neukölln einen bislang unbekannten Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier zu Tage förderte.

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Vielleicht sieht man im Gesicht von Elke Büdenbender am besten, was für eine Last da gerade von Frank-Walter Steinmeiers Schultern gefallen ist. Die Frau des SPD-Kanzlerkandidaten steht auf der runden Bühne im großen Saal des Berliner Estrel-Hotels und kann gar nicht aufhören, zu strahlen vor lauter Freude am Beifall der Genossen. Immer wieder umarmt sie ihren Mann, klatscht in die Hände, reckt die Daumen in die Höhe. Und einmal ballt sie sogar kurz die Faust wie früher Boris Becker, wenn er ein Match doch noch umgebogen hatte.

Eine Stunde und sechs Minuten hat  Steinmeier zu seiner Partei gesprochen. Schier übermenschliche Erwartungen hatten die Sozialdemokraten nach der verheerenden Niederlage bei der Europawahl an den Auftritt ihres Spitzenmannes gerichtet: Er sollte die deprimierte Partei wieder aufrichten, ihr neuen Kampfgeist und Siegeszuversicht ein hauchen. Und er musste die Zweifel an seiner Eignung zum Merkel-Herausforderer aus der Welt schaffen. Die SPD, gnadenlos in ihren Ansprüchen, verlangte eine große Rede von einem, der bis zum Sonntag nicht als großer Redner aufgefallen war.

Als Steinmeier zwei Minuten nach zwölf das Wort ergreift, ist ihm die Anspannung anzumerken: Er darf jetzt keinen Fehler machen. Vor sich auf dem Pult liegt das Manuskript seiner Rede, an dem er und seine Mitarbeiter seit Tagen gearbeitet haben. Unten in der ersten Reihe sieht er seinen Mentor Gerhard Schröder, an dem er stets gemessen wird, den er aber nicht einfach kopieren darf – nicht als Kanzlerkandidat und auch nicht als Wahlkampfredner. Frank-Walter Steinmeier muss heute zeigen, dass er seinen Anspruch auf das Kanzleramt aus eigener Stärke herleiten kann.

Steinmeier krempelt die Hemdsärmel nicht hoch, er legt nicht einmal sein Jackett ab. Dass seine Stimme so klingt wie die des westfälischen Landsmannes Schröder, dagegen kann er nicht viel tun. Aber anders als noch vor wenigen Monaten röhrt er bei diesem Auftritt nicht mehr von Anfang bis Ende. Lautstärke und Tempo wechseln, so haben es ihm seine Berater seit Monaten eingebläut, und manchmal wird er sogar ganz leise, ohne dass die Aufmerksamkeit bei denen unten im Saal nachlässt.

Schon in den ersten drei Minuten steuert der Redner die zentralen Botschaften seines Auftritts an – und zwar mit Sätzen, die so kurz sind und so schlicht, wie sonst nur die von SPD-Chef Franz Müntefering: „Der letzte Sonntag war kein guter Tag für uns! Das war Mist!“ Heute aber sei „ein neuer Sonntag“, an dem es darum gehe, den „Grund zu legen für einen fulminanten Wahlkampf“. Nichts sei für die Bundestagswahl entschieden: „Das Ding ist offen.“ Den Genossen gibt er auch gleich das Tagesziel vor: Vom Parteitag müsse „ein Signal der Geschlossenheit, ein Signal der Entschlossenheit, ein Signal des Aufbruchs“ ausgehen.

Und dann wandelt er einen Satz ab, der im kollektiven Gedächtnis der SPD immer präsent ist, wenn es um große Ziele geht: „Nur wenn wir selber überzeugt sind, können wir auch andere überzeugen“, sagt Steinmeier – und  jeder im Saal denkt an Oskar Lafontaines legendären Appell aus dem Jahr 1995: „Nur wenn wir selbst begeistert sind, können wir andere begeistern.“

Es ist noch gar nicht lange her, da hätte kein führender Sozialdemokrat eine Anleihe bei Lafontaine genommen. Zu schmerzhaft war die Wunde, die der einstige SPD-Chef den Sozialdemokraten mit der Linkspartei-Gründung geschlagen hatte. Keine vier Monate vor er Bundestagswahl aber ist für die SPD und ihren Kandidaten nicht die Abwanderung nach links, sondern die relative Stärke der Union die größere Gefahr. Angriffe gegen die linke Konkurrenz kommen gar nicht vor in Steinmeiers Rede.

Eigentlich wollte die SPD an diesem Parteitagssonntag schon viel weiter seine bei ihrer Aufholjagd gegenüber der Union. Doch das Konzept von der Profilierung als Jobretter-Partei am Beispiel von Opel und Arcandor war weder bei der Europa-Wahl aufgegangen noch half es den Sozialdemokraten in den Umfragen. Ein paar Tage lang hatten viele Genossen das Gefühl, ihre Kernbotschaft sei nicht gefragt. Dazu kam die Erkenntnis, dass scharfe Angriffe auf die Kanzlerin und ihren Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mehr schadeten als nützten.

Von dem Anspruch, als SPD um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen, weicht Steinmeier im Estrel-Hotel keinen Jota ab. „Das Prinzip gilt: Arbeit ist besser als Insolvenz, und dazu stehen wir.“ Aber er setzt andere Akzente als zuletzt Franz Müntefering: Der Staat soll helfen, aber nicht in jedem Fall und nicht um jeden Preis. In einem Satz versucht er das zu korrigieren, was in der Partei in den vergangen Wochen falsch gelaufen war: „Vielleicht haben wir uns in den letzten Wochen zuviel auf das Krisenmanagement konzentriert, die Richtungsfragen und die Richtungsthemen nicht genügend klar benannt.“

Überhaupt ist „Richtung“ eine der wichtigsten Vokabeln in Steinmeiers rund einstündiger Rede. Die Bundestagswahl soll nach seinem Willen zu einer Richtungsentscheidung werden, damit die bisher eher trägen SPD-Anhänger endlich merken, um was es geht. „Schwarz-Gelb darf auch deshalb keine Mehrheit haben, weil die Ideologie, die uns in diese Krise geführt hat, doch nicht die Antwort auf diese Krise sein kann“, ruft der Redner – und wird mit fast frenetischem Applaus belohnt.

Es ist ein bislang unbekannter Frank-Walter Steinmeier, der im Estrel schon nach neun Minuten Jubelstürme provoziert: Viel klarer als bisher meldet er seinen Anspruch auf Führung an – den Anspruch auf die Führung der SPD und auch den auf die Führung des Landes. Das gefällt den Delegierten. Aber sie jubeln auch noch, als der Redner sich zu der umstrittenen  Reformpolitik Schröders bekennt und eine SPD beschreibt, die nicht nur für Verkäuferinnen und Bauarbeiter zuständig ist, sondern auch für die „Mitte der Gesellschaft“ sprechen will: „Dafür stehe ich!“ Damit wird klar: Die SPD soll ihr Heil im Wahlkampf nicht in einer Radikalisierung ihrer Politik suchen.

Als Politiker, der Säle zum Kochen bringt, hatte sich Steinmeier bislang nicht profiliert – er sei eben keine „Rampensau“, hat er dazu oft gesagt. Doch bei diesem entscheidenden Auftritt gelingt es ihm, Emotionen zu wecken. Das liegt auch daran, dass der Außenminister sich dazu durchringt, von sich selbst immer wieder in ersten Person zu sprechen. Sogar als er die Union angreift, weil der das Schicksal der Ardcandor-Verkäuferin angeblich gleichgültig sei: „Das ist der Unterschied zwischen mir und diesen Leuten, dass ich mich noch empöre“, ruft er: „Mir macht das was aus! Ich nehme die Sorge der Menschen ernst!“

Eine Stunde lang ist das Publikum mitgegangen, als der Redner den Schlussakkord setzt: „Deutschland braucht einen sozialdemokratischen Bundeskanzler. Gemeinsam schaffen wir das. Wir wollen und werden gewinnen.“ Der Applaus, der dann einsetzt, dauert zehn Minuten, und Steinmeier kostet ihn aus. Erst lässt er sich allein auf der Bühne feiern, dann holt er seine Frau mit hinauf, dann kommt auch die engere SPD-Führung dazu. Unten im Saal sind alle aufgestanden. Manche rufen „Fränkie“, andere „Jetzt geht’s los!“

Hat Frank-Walter Steinmeier eine große Rede gehalten? Zur Wahrheit gehört auch, dass die SPD-Basis mit dem festen Willen nach Neukölln gekommen war, ihren Spitzenmann hochleben zu lassen. Steinmeier hätte schon viel falsch machen müssen, um am Ende nicht minutenlang beklatscht zu werden. Dennoch ist im Estrel-Hotel zu spüren, dass die Delegierten in besserer Stimmung nach Hause fahren werden. Ob es ihnen gelingt, die Begeisterung so lange aufrecht zu erhalten, dass sie sich auch auf die Wähler überträgt, ist eine offene Frage. Aber der Jubel jetzt im Saal ist echt.

Am Ende wird das Klatschen rhythmisch. Steinmeier grinst immer noch und wippt im Takt auf den Fußspitzen. Er hat gerade ein Match gewonnen. Elke Büdenbender weiß schon, warum sie die Faust ballt. 

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