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Politik: Revolution der Holzknüppel

Von Christoph von Marschall

Ostern symbolisiert die Hoffnung wie kein anderes Fest im Jahr. Alles Leid wird überwunden. Darf man diese tröstliche Botschaft der Befreiung in aller weltlichen Bescheidenheit auf den Umsturz in Kirgistan projizieren, auf die dritte Demokratisierungswelle im vormals kommunistischen Osten? 1989 haben die mitteleuropäischen Völker die kommunistische Diktatur überwunden. 2003/2004 folgten christlich geprägte ehemalige Sowjetrepubliken wie Georgien und die Ukraine. Und nun erreicht die Freiheitsbewegung das muslimische Zentralasien.

Die Ereignisse in Tiflis und Kiew haben Oppositionsgruppen beflügelt. Wenn es dort möglich ist, warum nicht bei uns? Auch die kirgisische Revolution begann mit Massenprotesten gegen gefälschte Wahlen. Die Opposition gewann die Kontrolle über wichtige Regionalzentren – in der Ukraine war es der Westen, in Kirgistan der Süden. Als die Bewegung die Hauptstadt Bischkek erreicht, flieht Machthaber Akajew. Tags drauf erklärt das Oberste Gericht die Wahlen für ungültig.

Nur leider erschöpfen sich die Parallelen in solchen oberflächlichen Ähnlichkeiten. Zwei Tage nach dem „Machtwechsel“ herrscht Chaos. Gleich drei Oppositionsführer reklamieren das Amt des Übergangspräsidenten für sich. Da agiert keine geeinte Bewegung mit einer charismatischen Führungsfigur, der eine große Bevölkerungsmehrheit vertrauen würde. Polizei und Sicherheitskräfte scheinen keinem Befehl zu gehorchen. Eine Freiheit ohne ein Minimum an Ordnung aber ist Anarchie. Und darf man das Attribut „demokratisch“ so selbstverständlich verwenden wie in Ungarn und Polen 1989 oder in der Ukraine 2004?

Gewiss ist dies ein Aufstand gegen das autoritäre Auftreten Akajews. Aber gleichermaßen eine Armutsrevolte des vernachlässigten Südens nach dem Zusammenbruch der Industrien aus Sowjetzeiten. Ebenso wichtig sind die Rivalitäten in einer Clangesellschaft, die alle fünf zentralasiatischen GUS-Republiken in den Jahrzehnten sozialistischer Überformungsversuche geblieben sind; im benachbarten Kasachstan hat Präsident Nasarbajew die Hauptstadt 1997 von Alma Ata im Südosten nach Astana ins Gebiet seines Clans im Norden verlegt, um seiner Familie die Macht zu sichern. Hinzu kommen die ethnischen Gegensätze zwischen Kirgisen und Usbeken; und beide akzeptieren den Führungsanspruch der russischen Minderheit nicht mehr automatisch. Dies ist keine Rosenrevolution (Georgien) oder eine orangene (Ukraine), sondern eine der Holzknüppel. Mit denen stürmten die „Massen“ die Regierungsgebäude, aber nur, weil sich ihnen niemand entgegenstellte.

Demokratische Erfahrungen, auf die Kirgistan zurückgreifen könnte? Fehlanzeige. Es stimmt, Askar Akajew ist seit Auflösung der Sowjetunion der liberalste der Staatschefs in den zentralasiatischen GUS-Republiken. Die Staatschefs waren kommunistische Spitzenfunktionäre und versuchen die Macht in ein erbliches Präsidialsystem hinüberzuretten. Akajew ist kein Despot mit absurdem Personenkult wie der Turkmene Nijasow. Der Aufruhr endete in keinem Blutbad, weil Akajew sich weigerte, Schießbefehl gegen sein Volk zu erteilen. Doch seinen Herrschaftsanspruch hat er nicht aufgegeben. Er wird eine Rückkehr versuchen – gewaltsam mit Hilfe Moskaus, das von einem illegalen Umsturz spricht, oder bei der Wiederholungswahl in wenigen Wochen. Er mag das damit begründen, dass nur er Kirgistan vor den Islamisten retten könne, die ganz Zentralasien bedrohen. Aber im Kern akzeptiert auch Akajew nicht, dass die Macht in wahren Demokratien befristet ist und nicht automatisch den Kindern oder dem Clan zufällt.

Wie sollen Demokratie und Freiheit unter so widrigen Bedingungen siegen? Zumal ein Land wie Kirgistan gewiss nicht die gleiche Hilfe des reichen und demokratischen Westens erfahren wird wie Polen, Ungarn oder wenigstens die Ukraine. Es hat schon sein Gutes, dass der Herrschaftsanspruch dieser Machthaber so sichtbar in Frage gestellt wird. Ein Ostern der Befreiung aber wäre in der heutigen Realität Zentralasiens ein wahres Wunder.

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