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Politik: Rezzo Schlauch (Grüne), Wirtschaftsstaatssekretär

"Die Fakten in der Visa-Affäre müssen auf den Tisch", sagt Rezzo Schlauch. Der Wirtschaftsstaatssekretär plädiert im tacheles.02-Chat für eine Senkung des Spitzensteuersatzes und äußert sich zur Unternehmenssteuer und zum Antidiskriminierungsgesetz. (08.03.2005)

Moderator

: Liebe Politik-Interessierte, willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt von tagesspiegel.de. Zum Chatten ist heute Rezzo Schlauch (Grüne), parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Herzlich willkommen, los gehts gleich mit dieser Frage:

Red Bull: Befürworten Sie persönlich ein Verbot des Verkaufs von Alkopops an junge Menschen?

Rezzo Schlauch: Ja, uneingeschränkt. Und zwar deshalb: ich bin eigentlich in meiner Haltung eher liberal, bzw. libertär, und halte nicht viel von Verboten. In diesem Fall wird aber durch das Produkt, Stichwort: süße Brause plus Alkohol, der Konsument, und zwar insbesondere der Jugendliche, getäuscht.

Moderator: Welche Lösung schlagen Sie für das Problem vor?

Rezzo Schlauch: Wie gesagt: keine Mischgetränke und ansonsten bei den bisherigen Jugendschutzgesetzen bleiben.

Moderator: Eine Frage zum Thema Mittelstand:

aruia Havanagila: Sie sagten eben erst im Bundestag, die Senkung des Spitzensteuersatzes sei ein riesen Ding für den Mittelstand. Aber wie wollen Sie den Unternehmen tatsächlich helfen? Mit ein paar Mark mehr für den Chef ist es doch nicht getan.

Rezzo Schlauch: Das ist eine etwas kurzatmige Interpretation. Die Entlastung des Mittelstands in Höhe von 17 Milliarden Euro jährlich soll natürlich den Anreiz befördern, neu zu investieren und damit auch Arbeitsplätze zu schaffen.

Suboptimal: Nachweislich führt die Auslagerung von Jobs nicht zu neuen Arbeitsplätzen in Deutschland. Der Mittelstand braucht also Alternativen. Können Sie welche aufzeigen?

Rezzo Schlauch: Auch das ist leider falsch. Als jemand, der aus Schwaben kommt, wo schon früh in den siebziger und achtziger Jahren Mittelständler im Ausland auch Produktionsstätten aufgebaut haben, weiß ich - und dies ist durch mannigfache Untersuchungen auch belegt - (z.B. Studie der IHK Stuttgart mit Steinbeis-Stiftung), dass damit der Bestand der Heimatbelegschaften gehalten werden konnte, bzw. in vielen Fällen auch aufgestockt werden konnte. Im Zuge eines Vereinigungsprozesses von Europa und einer globalisierten Wirtschaft halte ich auch protektionistische "nationale" Ansätze für völlig verfehlt. Ein Nachsatz: Der in diesem Zusammenhang von dem Wirtschaftsexperten Sinn geprägte Begriff der "Basarökonomie" halte ich deshalb für Unsinn.

Hortensius: Im Blick auf ein Konjunkturprogramm, über das eigentlich diskutiert werden soll: Inwieweit könnte es sinnvoll sein, zum einen den Mittelstand stärker zu fördern und auch Kleinst- und Kleinbetriebe zu fördern, während die Globalplayer weniger Steuernachlässe und Geschenke bekommen? (Mein Eindruck ist, dass insbesondere für Klein(st)betriebe wenig getan wird.)

Rezzo Schlauch: Ihren Ansatz begrüße ich ausdrücklich und versuche diesen auch - wo es nur geht - zu befördern. Ein Beispiel wäre die derzeitige Soll-Besteuerung bei Erhebung der Umsatzsteuer in eine Ist-Besteuerung umzuwandeln, was zur Folge hätte, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer nun wirklich auch nur aus einer bezahlten und nicht schon aus der gestellten Rechnung vorab zu entrichten hätte.

Calex: Zwei der größten Bremsen der deutschen Volkswirtschaft sind die hohen Lohnnebenkosten und die hohen Mineralölsteuern. Haben die Grünen jetzt endlich eingesehen, dass eine Erhöhung der Mineralölsteuern nur das Wirtschaftswachstum bremst und ökologisch nichts bringt?

Rezzo Schlauch: Erst mal zur Ökologie: ich wundere mich immer wieder, dass bzgl. der ökologischen Frage nur von 12 Uhr bis Mittag gedacht wird. Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass wir auf Grund der Öko-Steuer in Sachen Automobiltechnologie riesige Vorsprünge gegenüber der Dinosaurier-Autotechnik in den USA haben? Finden Sie es nicht auch richtig, dass die Frage von Energieeffizienz und deren Realisierung oder auch sonstiger Rohstoff- und Materialeffizienz ökonomisch mehr Sinn macht als Personaleinspar-Orgien? Sie schlagen damit mehrere Fliegen auf einen Schlag. Sie rücken dem Klimaproblem zuleibe Sie sind - wie wir Deutschen - Weltmarktführer auf dem Gebiet der Ökotechniken, mit riesigen Arbeitsplatz-Potentialen und Sie können - wie geschehen - die Lohnnebenkosten senken und außenpolitisch reduzieren Sie die Abhängigkeit von politisch äußerst instabilen Regionen (mittlerer Osten). Das heißt vielfacher Benefit, dem sich eigentlich rational denkende Menschen nicht verschließen können. Aber wenn Sie wollen, bin ich auch gerne bereit ideologische Schlachten zu schlagen.

Moderator: Eine Nachfrage zu den Kleinstbetrieben:

Hortensius: Noch einmal zu den Klein(st)betrieben. Ich kenne unter anderem ein Beispiel, dass ein funktionierender Kleinbetrieb mit ca. 10 Mitarbeitern aufgelöst wurde, weil einer der Hauptschuldner in die Insolvenz ging. Müssten nicht die Kleinbetriebe wesentlich stärker gegen solche Insolvenzen geschützt werden, da gerade hier sehr viele Arbeitsplätze verloren gehen?

Rezzo Schlauch: Schwierige Frage. Ich verstehe Ihre Frage, ich glaube aber, dass die Hilfestellungen des Staates an diesem Punkt begrenzt sind. Zum freien Unternehmertum gehört auch das Eingehen von Risiken und die Insolvenz eines Kunden ist ein solches Risiko, das der Staat nicht übernehmen kann.

Moderator: Zwei Fragen, die in die gleiche Richtung gehen:

wechselbaum: Clement will die Unternehmenssteuerreform - Eichel nicht und der Kanzler ist auf seiner Seite. Blockiert der Kanzler?

Heman: Herr Schlauch, wie schaffen Sie den Spagat zwischen der neoliberalen Wirtschaftspolitik von Herrn Clement, Ihrer eigenen Überzeugung als Grüner und den Wünschen von Herrn Eichel?

Rezzo Schlauch: Also: der Kanzler blockiert nicht, sondern vom Wirtschaftsministerium ist eine genauere Erarbeitung der Eckpunkte einer Unternehmenssteuerreform bei den Sachverständigen in Auftrag gegeben worden, nachdem sogar der DGB in Person des Herrn Sommer und die Opposition die Realisierung einer solchen Unternehmenssteuer-Reform befürworten, werden sicherlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Chancen auch entsprechend auszuloten. Zur zweiten Frage: Ich sehe die Wirtschaftspolitik von Herrn Clement nicht als neoliberal. den Herrn Eichel an manchen Punkten, was mit Sicherheit auch sein muss, zu sehr unter fiskalischen Aspekten agierend und fühle mich dazwischen als Grüner nicht unwohl.

S?e: Welche Vorschläge machen die Grünen zur Reform der Unternehmenssteuer?

Rezzo Schlauch: Erst mal soll nicht in Vergessenheit geraten, dass die Rot-Grüne Koalition und die Grünen dabei als mit treibende Kraft die Anrechnungsfähigkeit der Gewerbesteuer - ein alter Traum des Mittelstands -, verwirklicht haben. Des Weiteren haben wir mit der Steuer-Tarif-Senkung den Mittelstand um insgesamt 17 Milliarden entlastet. Eine weitere Unternehmenssteuer-Reform - Stichwort: Duales System -, die Körperschaften und Personengesellschaften in der Besteuerung gleich stellt, muss darauf achten, dass die Entlastung der Personen-Gesellschaften nicht wieder durch die Hintertür aufhebt und höher besteuert. Im Sinne einer Steuer-Vereinfachung, um Steuergerechtigkeit (Erweiterung der Bemessungs-Grundlage) halte ich das Duale System und auch eine angemessene Steuersenkung für durchaus diskutabel.

Moderator: Kommen wir zum Thema "Antidiskriminierungsgesetz":

entsorger: Mir geht es um Bürokratievermeidung. Dieses Antidiskriminierungsgesetz ist ein schönes Beispiel. Warum müssen wir immer wieder eins draufsetzen, auf das was seitens der EU gefordert wird? Können wir nicht einmal innehalten? Und im Gegenteil Gesetze und Verordnungen abbauen? Herr Milbrath sprach in einer Diskussion über den Wirtschaftstandort Deutschland von dem "verkalktem Westen"!

Rezzo Schlauch: Über den Grad der Verkalkung im Westen im Vergleich zum Osten möchte ich nicht diskutieren. Wenn sie genau hinsehen, ist der Vorwurf des Draufsattelns bei dem Anti-Diskriminierungs-Gesetz zwar publikumswirksam erhoben, in der Substanz aber eher nicht relevant. Wir haben beispielsweise über die EU hinaus die Gruppe der Behinderten mit in die Zielgruppen aufgenommen. Das spricht meiner Meinung nach nichts dagegen. Es ist auch so, dass wir selbstverständlich die Ergebnisse der Anhörung, in der auch substanzielle Kritik erhoben worden ist, mit in das weitere Verfahren einbeziehen. Das Geschrei der Arbeitgeber, wonach das Anti-Diskriminierung-Gesetz eine Flut von Klagen nach sich ziehen würde, halte ich für legitim in der politischen Auseinandersetzung, aber im Kern für völlig verfehlt, wie ein vergleichbares Beispiel zeigt: In der letzten Legislatur haben wir das Teilzeit-Befristungsgesetz verabschiedet, dass jedem Arbeitnehmer einen gerichtlich durchsetzbaren Klageanspruch auf Reduzierung auf Teilzeit eingeräumt hat. Auch damals wurde lauthals die Flut von Klagen bei den Arbeitsgerichten eingewandt. Fakt ist: es gibt keine Flut und die Teilzeitarbeit hat sich - gemäß den Intentionen des Gesetzes - positiv nach oben entwickelt.

hwiesing: Welche Schritte unternehmen Sie diesbezüglich hinsichtlich des von Ihnen gepriesenen Bürokratieabbaus?

Rezzo Schlauch: Der Bürokratie-Abbau ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel und ich habe die Erfahrung gemacht dass diejenigen, die den Bürokratie-Abbau als Schlachtruf täglich auf den Lippen führen, dann zum heftigsten Verteidiger von Bürokratie werden, wenn es an ihre eigenen Schutzräume geht. Beispiel: Reform der Handwerksnovelle, wo wir den aus dem Ständestaat stammenden Meisterzwang und damit Zugangshürden, gelockert haben. Beispiel: Wir wollen das Vergaberecht (im Umfang so groß wie das gesamte deutsche Zivilrecht) verschlanken und vereinfachen. Als erstes hat sich die Arbeitgeberseite dagegen gewehrt mit dem Argument, es hätte sich alles so schön eingespielt. Ich könnte Ihnen diese Beispiele in Reihe fortsetzen. Fakt ist, wir haben erste kleine Erfolge erzielt. Siehe Handwerksordnung. Im Bereich der beruflichen Bildung: Wegfall der sogenannten Ausbildungs-Eignungsverordnung. Wir haben Berufsbilder entschlackt und auch Ausbildungsfristen verkürzt. Wir haben Statistik-Pflichten reduziert, wobei ich da oft den Eindruck habe, dass die staatliche Statistik von Übel ist, während Statistiken, die die Kammern erheben, positiv sind. Was mich noch zu der Anmerkung veranlasst, dass Bürokratien nicht nur im staatlichen, administrativen Bereich wachsen, sondern in großem Umfang auch im sogenannten Selbstverwaltungsbereich, Stichwort: unübersichtliches Kammerzwangssystem, fröhliche Urstände feiert.

Moderator: Eine Frage zum Thema Visa-Affäre:

wechselbaum: Kann Joschka Fischer die Visa-Affäre überleben?

Rezzo Schlauch: Er wird sie überleben. Es steht außer Frage, dass es hier Fehler und Versäumnisse gibt. Gleichwohl halte ich es mit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die das, was Fischer als Amtsinhaber vorzuwerfen ist, für einen Rücktritt als nicht ausreichend erachten.

Hortensius: Im Blick auf das Image der Grünen: Die CDU war ja sehr erfolgreich in ihrer Kampagne gegen Joschka Fischer, was auch auf die Grünen insgesamt abfärbte. Müssten die Grünen nicht auch ihre Wirtschaftskompetenz - wie Sie es hier ja tun - wesentlich stärker betonen, etwa im Wahlprogramm?

Rezzo Schlauch: Dafür kämpfe ich in meiner Partei seit langen Jahren. Wir haben sowohl wirtschaftspolitische als auch finanzpolitische Kompetenz in unseren Reihen, die im Übrigen von Nicht-ideologisch Fixierten Akteuren aus der Wirtschaft auch immer wieder bestätigt wird. Die Grünen haben es bislang jedoch, auch aus nachvollziehbaren Gründen, nicht in Angriff genommen, ihre Wirtschafts- und Finanzkompetenz profiliert zu präsentieren. Ob die Kampagne der CDU erfolgreich wird, wird sich in der Wahl 2006 zeigen. Ich bin guten Mutes, dass, um Stoiber zu zitieren, bei der Wahl zwischen Merkel und Westerwelle auf der einen und Fischer und Schröder auf der anderen, die Mehrheit bei den beiden Letzteren landen wird.

SPD-Mitglied: Einen wie großen Schaden befürchten Sie durch die Visa-Affäre für Rot-Grün bei der Wahl in NRW?

Rezzo Schlauch: Wir haben noch 11 Wochen Zeit um den Wind, der uns in der Visa-Affäre und auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit ins Gesicht weht, zu wenden. Das ist mit Sicherheit nicht leicht. Ich bin aber optimistisch, dass wir in der Lage sind, die substanzlosen Alternativen der Opposition deutlich zu machen und die Stimmung zu drehen.

Sammy: Wäre es nicht sinnvoll, Klarheit zu haben vor der Wahl in NRW? Sollte Fischer deshalb nicht eher aussagen?

Rezzo Schlauch: Der Untersuchungsauschuss wird entscheiden, wann Fischer aussagt. Meine persönliche Meinung hierzu ist, es sollten so schnell wie möglich die Fakten auf den Tisch. Dazu sind aber umfangreiche organisatorische Maßnahmen notwendig. Ich kann aus meiner Position nicht entscheiden, ob dies noch vor der Wahl möglich ist.

wechselbaum: Ist die Regierung am Ende, wenn die NRW-Wahl verloren geht?

Rezzo Schlauch: Nein. Ein doppeltes nein! Die NRW-Wahl geht nicht verloren und die Regierung ist nicht am Ende. Die Regierung wäre am Ende, wenn die Wahl 2006 verloren gehen würde.

fes: Inwiefern sind die Grünen noch die Grünen? Im alten Parteiprogramm sind von anderen Dingen die Rede, die in der heutigen Zeit nicht mehr vertreten werden. Sollte man mal nicht grundsätzlich umdenken?

Rezzo Schlauch: Ich würde einen Horror davor haben, wenn die Grünen von heute noch dieselben Position hätten wie 1980. Ich habe eher vor Leuten Angst, die - auch wenn sich die Welt um sie herum total verändert - die Gleichen bleiben wollen. Im Übrigen ist es auch so, dass die Grünen ihr Grundsatzprogramm vor der Wahl 2002 grundlegend redigiert haben. Wenn Sie Interesse haben, fordern Sie dieses an. Dort haben wir insbesondere neu entwickelt: die Idee von der Teilhabegerechtigkeit, Zugangsgerechtigkeit für Bildung, Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft.

Moderator: Eine letzte Frage:

Martin13: Wie könnte es nach Ihrer Meinung gelingen, die Arbeitslosigkeit wieder auf 3 Mio. Arbeitslose zu bringen?

Rezzo Schlauch: Ich habe große Zweifel bei der Formulierung solcher Ziele. Fakt ist, dass beide großen Volksparteien seit 20 Jahren sich das Ziel der Vollbeschäftigung auf die Fahnen schreiben und beide sich immer weiter davon entfernt haben. Ich glaube, dass wir nur zu einer besseren Beschäftigungssituation kommen, wenn wir eine große Bildungs- und Forschungsoffensive realisieren. Die geringqualifizierten Arbeiten, die Massenproduktion ist vor einer Abwanderung in andere Standorte nicht zu schützen. Insofern ist unsere einzige Alternative, unsere Stärken Innovation, Technik, aber auch innovative Dienstleistungen weiter nach vorne zu bringen.

Moderator: Das war's, unsere Chat-Stunde ist vorbei. Vielen Dank für das große Interesse, vielen Dank, Herr Schlauch, dass Sie zum Chatten gekommen sind. Das tacheles.02-Team wünscht allen noch einen schönen Tag!

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