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Politik: Rhein-Main-Flughafen: Schlips statt Zwille (Kommentar)

Er ist schon jetzt der größte Flughafen Kontinentaleuropas, und soll noch weiter wachsen. Wiederholen sich nun die Szenen von vor zwanzig Jahren?

Er ist schon jetzt der größte Flughafen Kontinentaleuropas, und soll noch weiter wachsen. Wiederholen sich nun die Szenen von vor zwanzig Jahren? Können sich am Ausbau des Flughafens Rhein-Main die hessischen Kommunalwahlen entscheiden oder das Schicksal der Landesregierung? Damals fielen für den umstrittenen Bau der "Startbahn 18 West" bei Mörfelden Zehntausende Bäume. Jetzt soll geschützter Bannwald einer neuen Landebahn weichen, haben CDU und FDP am Wochenende beschlossen. Die SPD signalisiert Zustimmung, wenn durch ein Nachtflugverbot eine gewisse Entlastung eintritt. Erneut diskutiert die Region leidenschaftlich "die Grenzen des Wachstums".

Und doch ist diesmal vieles anders: Damals führte der Widerstand im "Hüttendorf" tagsüber - charmant chaotisch, naiv idealistisch - ein friedfertiges Leben vor; nachts zielten Autonome mit Zwillen auf Polizisten. Zwei Beamte kamen ums Leben. Von der Startbahn "18 West" heben die Düsenjets heute in immer schnellerer Folge ab. Die neue Landebahn soll die Kapazität erweitern: von derzeit 440 000 auf künftig 600 000 Flugbewegungen pro Jahr. Noch mehr Düsenlärm für die mehr als eine Million Menschen im Großraum zwischen Offenbach und Mainz.

Als Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Entscheidung bekannt gab, läuteten in St. Gallus zu Flörsheim die Glocken - "nicht aus Trauer", wie man betont, sondern "zum Sturm". Der Widerstand formiert sich. Doch diesmal tragen die wichtigsten Akteure Schlips und Kragen, ihre Streitkassen sind prall gefüllt mit Steuergeldern. Sie kämpfen nicht mit Zwillen, sondern dem juristischen Florett vor Gericht. Parteiübergreifend: Gerhard Grandke, der SPD-Oberbürgermeister von Offenbach, Dieter Wolf, CDU-Bürgermeister von Flörsheim, Erhard Engisch, SPD-Bürgermeister von Kelsterbach, nicht zu vergessen CDU-Landrat Berthold Gall. Ihre Parolen sind gleichwohl markig: "Kampf um die Heimat" - "bis zum letzten Blutstropfen". Unterstützung kommt aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Auch Jens Beutel, SPD-Oberbürgermeister von Mainz, will klagen.

Sie werden vor den Verwaltungsgerichten argumentieren, die Landesregierung habe sich zu früh festgelegt. Warum weicht die Flughafen-AG nicht auf ihre Piste im nahen Hahn aus, keine hundert Kilometer Luftlinie von Rhein-Main entfernt, im fast menschenleeren Hunsrück? So fragen sie. Schon heute sei die Lärmbelastung rund um den Flughafen nicht mit EU-Recht vereinbar.

Vor allem aber bleiben Koch und die ihn unterstützenden Politiker die Antwort auf die Frage schuldig, wann die nächste Kapazitätsgrenze erreicht ist, die nächsten Belastungen der Region zugemutet werden. Kochs Amtsvorvorvorgänger, Holger Börner (SPD), hatte zur Befriedung der Gemüter in die Genehmigung für die "Startbahn 18 West" hineinschreiben lassen, die Ausbaumöglichkeiten seien mit dieser Erweiterung endgültig erschöpft. Er versprach, nie wieder werde ein Baum für den Flughafen fallen. Von diesem Schwur haben sich alle losgesagt, nicht nur die Regierenden CDU und FDP, sondern auch die SPD. Der Wortbruch wird vor allem dem amtierenden Ministerpräsidenten Koch angelastet. Der begründet die frühe Festlegung auf eine der möglichen Ausbauvarianten: Durch ein Offenhalten hätte er nicht nur die von der "Nordwestvariante" im Kelsterbacher Bannwald betroffenen Bürger gegen sich aufgebracht, sondern die gesamte Region.

Diese Strategie dürfte zum Teil aufgehen. Doch die Mission bleibt heikel. Kochs Regierungsbündnis muss im nächsten Jahr Kommunalwahlen bestehen. Gegen den Flughafenausbau haben sich in der Region rund fünfzig Bürgerinitiativen gebildet. Die Hüttenbewohner von damals sind die Reihenhausbesitzer von heute. Sie fürchten um Nachtschlaf und Immobilienwerte. Die Jungen protestieren diesmal nicht: Ein Job sei besser als keiner, auch wenn er mit Lärm und Abgasen verbunden ist, sagen viele. Das ist aber kein Zeichen der Zustimmung, sondern eines der Resignation.

Durch eigene Fehler bei der "brutalstmöglichen Aufklärung" des CDU-Finanzskandals hat Roland Koch Autorität eingebüßt. Sie fehlt ihm jetzt im Flughafen-Streit. Die letzte Entscheidung über die Piste wird vor Gericht fallen. Und dort, so weiß der Volksmund, verlässt man den festen Boden und begibt sich, wie auf hoher See, in Gottes Hand. Es gibt gute Argumente für ein Ende des Wachstums von "Rhein Main".

Christoph Schmidt-Lunau

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