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Richard Schröder: "Angela Merkel hat die Freiheitsmedaille verdient"

Ohne Menschen wie sie wäre die Revolution in der DDR nur eine Idee geblieben, sagt Theologe und Sozialdemokrat Richard Schröder über Kanzlerin Merkel. Nur die Deutschen verstehen das nicht.

Herr Schröder, Angela Merkel bekommt am Dienstagabend die Freiheitsmedaille von US-Präsident Barack Obama verliehen. Ist sie wirklich so eine erfolgreiche Freiheitskämpferin?

Vermutlich würde Angela Merkel diesen Begriff selbst nicht verwenden. Aber klar ist: Angela Merkel war keine Freundin der SED, sie hatte keine Liebe zur DDR entwickelt. Wie auch, wenn sie erleben musste, wie ihre Mutter permanent mit einem Berufsverbot belegt war. Ihr Verdienst liegt vor allem darin, dass sie Gestaltungswillen hatte. Man muss wissen, dass ein großer Teil der DDR-Bürgerrechtler nur kritisieren, aber nicht regieren wollten. Sie aber wollte den Umbruch gestalten und Regierungsverantwortung übernehmen, damals schon. Und so etwas spielt für Amerikaner eine wichtige Rolle. Menschen, die nur opponieren, aber nichts selbst in die Hand nehmen wollen, haben es in Amerika schwer.

Aber viele halten Merkel vor, sie hätte nichts für die Revolution getan und habe sich dann ins gemachte Nest gesetzt. Als die Mauer fiel, habe sie in der Sauna gesessen.

Angela Merkel war vor dem Herbst 1989 sicher keine Kämpferin für Bürgerrechte auf der Straße. Aber das hat Präsident Obama ihr auch nicht angedichtet. Man muss unterscheiden. Die Demonstranten, die in Leipzig auf den Montags-Demonstrationen auf die Straße gegangenen sind, haben zum Sturz von Erich Honecker beigetragen. Der Fall der Mauer war nicht ihr unmittelbares Ziel. Der kam dann durch den großen Willen zur Reisefreiheit und auch ein wenig durch Zufall. Danach mussten sich Menschen finden, die bei freien Wahlen kandidieren, also Demokratie auch praktizieren. Und drittens der Weg zur Wiedervereinigung, den auch nicht alle wollten. Hätte es Menschen wie Angela Merkel nicht gegeben, wäre die Revolution in der DDR nur eine Idee geblieben und die Alten hätten weiterregiert.

Was ist dann ihr Verdienst?

Sie ist dem „Demokratischen Aufbruch“ beigetreten und wurde stellvertretende Regierungssprecherin bei Lothar de Maizière. Sie hat daran mitgewirkt, der errungenen Freiheit nun die Form praktizierter Demokratie zu geben. Sie hat sich zum Grundgesetz bekannt und wollte keine ganz neuartige Form von Demokratie entwickeln, wie manche in den Bürgerbewegungen. Sie hat den Weg zur Wiedervereinigung bejaht. In den oppositionellen Gruppen wollten viele weiter opponieren, nun gegen Helmut Kohl. Angela Merkel war machtbewusst. Sie hat sich in einer Männerwelt durchgesetzt, auch noch als Ostdeutsche. Und da kommt vieles zusammen, was wir in Deutschland schwer akzeptieren können. Wir Deutsche hegen keine Bewunderung für Menschen wie Merkel, die Macht erlangen. Dabei kann das nicht jeder: Macht ausüben und Macht erlangen. Das ist in einer Demokratie nicht einfach. Dass sie eine ostdeutsche Kanzlerin ist, spielt bei uns auch keine große Rolle, vor allem, weil die Ostdeutschen selbst nicht stolz darauf sind und sie nicht als eine der ihren ansehen. In Amerika aber ist der Blickwinkel ein ganz anderer. Dort wird es als einmalige Leistung angesehen, dass die Regierungschefin aus jenem Fünftel der Bevölkerung kommt, dass erst zwanzig Jahre zuvor zu den anderen Vierfünfteln hinzugekommen ist. Für Amerikaner ist das gelungene Integration.

Aber warum sind die Ostdeutschen nicht stolz auf ihre Merkel?

Es gibt in Ostdeutschland immer noch viele Menschen, die sich jeden Tag einreden müssen, wie schlecht es ihnen geht, dass sie Bürger zweiter Klasse seien. Dieses Gefühl hat der Osten mit in die Einheit reingebracht, weil die Menschen dort über Jahrzehnte den Trabi mit dem Golf vergleichen konnten und den Zelturlaub an der Ostsee mit dem Neckermann-Hotel der Westdeutschen am Mittelmeer. Angela Merkel und ihre Geschichte entziehen diesen Menschen aber den Grund für ihr Selbstmitleid. Sie hält ihnen den Spiegel vor und zeigt, dass es auch anders geht, und darauf reagieren manche allergisch.

Das heißt: Angela Merkel bekommt den Preis völlig zurecht?

Ja. Es ist ja nicht der Friedens-Nobelpreis. Er wird etwa zehn Mal pro Jahr verliehen. Auch Margaret Thatcher und Frank Sinatra haben ihn bekommen - Angela Merkel, finde ich, hat ihn verdient. Da er auch posthum verliehen wird, finde ich: auch Bärbel Bohley hätte ihn verdient, aus anderen Gründen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es ein amerikanischer Orden ist, bei dessen Verleihung amerikanische Interessen im Vordergrund stehen. Angela Merkel hat größere Verdienste für ein gedeihliches Verhältnis zwischen Deutschland und den USA als ihr Vorgänger Gerhard Schröder.

Richard Schröder war SPD-Fraktionsvorsitzender in der letzten DDR-Volkskammer und lehrte an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin Das Gespräch führte Christian Tretbar.

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