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Politik: Rinderwahn: Es schmeckt wieder

Am 26. November 2000 war die Illusion zu Ende.

Am 26. November 2000 war die Illusion zu Ende. Zwei Tage nach dem ersten Verdachtsfall auf einem Hof in Schleswig-Holstein kam die Bestätigung vom nationalen Referenz-Labor in Tübingen: Auch in Deutschland gab es Rinderwahn. Inzwischen haben die Tübinger in 124 Fällen eine Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) nachgewiesen, 61 davon allein in Bayern. Rund zwei Millionen Rinderhirne sind inzwischen mit einem BSE-Schnelltest untersucht worden, bevor das Fleisch der Tiere verkauft werden durfte. Immerhin 39 Kühe wurden so aus dem Verkehr gezogen. Die meisten kranken Tiere waren verendet, bevor sie im Schlachthof landeten. Kein Vergleich jedoch mit Großbritannien, wo allein in diesem Jahr 569 neue Fälle der ansteckenden Hirnschwamm-Krankheit registriert wurden, obwohl die Epidemie längst ihren Höhepunkt überschritten hat. 106 Menschen sind auf der Insel an der menschlichen Form des Rinderwahns, der neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK) gestorben. In Deutschland noch keiner.

Zum Thema Rückblick: Der Beginn der BSE-Krise in Deutschland Deshalb ist vorläufig Ruhe eingekehrt. Zumal wegen der Krise zwei Minister gehen mussten und das Landwirtschafts-Ressort nun in den Händen einer des Klüngels ganz und gar unverdächtigen Städterin, Renate Künast (Grüne), liegt. Gerd Sonnleitner, der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), schreibt erleichtert: "Nun hat zwischenzeitlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit am Thema BSE, zum Glück für die gesamte Landwirtschaft, wieder sehr stark abgenommen. Viele Verbraucher sind wieder zu ihren alten Gewohnheiten zurückgekehrt." Der Rindfleischverbrauch in Deutschland liegt nach dem Boykott Anfang des Jahres, als er um rund 70 Prozent zurückging, wieder auf beinahe dem Stand von vor einem Jahr. Grafik: Über 100 BSE-Fälle in Deutschland Zumindest etwas Gutes kann DBV-Pressesprecher Michael Lohse der Krise abgewinnen. Das Qualitätssiegel, das die Überwachung nicht nur bei den Bauern, sondern tatsächlich bis zur Ladentheke möglich mache, das sei eine "Konsequenz, die ohne die Krise kaum gezogen worden wäre". Ansonsten hält er vom neuen Kurs in der Landwirtschaftspolitik nicht allzu viel. Obwohl wieder Rindfleisch gekauft wird und die Verbraucher auch höhere Preise dafür bezahlen, hätten die Bauern davon kaum etwas, klagt Lohse. In einigen Rinderhalter-Regionen hätten rund vier Prozent der Höfe seit Beginn der Krise aufgegeben. In normalen Jahren seien es die Hälfte. Und die Mehrkosten für die Sicherheit, vom BSE-Schnelltest bis zur Beseitigung von Tiermehl, müssten weitgehend die Landwirte allein tragen. Lohse ist mit den rund 900 Millionen Mark, die der Bund für die Bewältigung der BSE-Krise aufgebracht hat, nicht zufrieden. In Frankreich gebe es ein Hilfsprogramm für die betroffenen Landwirte, zumindest die Kosten für die Tests könne der Staat doch tragen, findet er.

Aus einem anderen Grund sind die Umweltverbände nur mäßig glücklich mit dem neuen Kurs in der Agrarpolitik. Vertreter von Euronatur und Bund beklagen, dass Ministerin Künast trotz erster Erfolge auf zu viele Widerstände stoße. Überhaupt wird die generelle Agrarwende erst 2007 greifen, befürchtet Lutz Ribbe von Euronatur. Und zwar unter anderem wegen der Blockadehaltung der Agrarlobby und dem mangelnden Druck durch die Verbraucher. Bundeskanzler Gerhard Schröder müsse Künast bei der Agrarwende mehr unterstützenund besonders SPD-regierte Länder mit großen industriellen Agrarbetrieben wie Mecklenburg-Vorpommern "auf Linie bringen".

Und noch einer hat Grund, enttäuscht zu sein. Im Februar hatte der Münchner Rechtsanwalt Michael Witti gemeinsam mit seinem amerikanischen Partner Ed Fagan angekündigt, eine Sammelklage von BSE-Opfern anzustrengen. Klienten hatte er schnell. Nur bei wem Ansprüche geltend zu machen wären, lag nicht unmittelbar auf der Hand. Zumal der Übertragungsweg der Tierkrankheit nach wie vor wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt ist. Ohne natur- und rechtswissenschaftliche Gutachten im Wert von mindestens einer Million Mark sah Witti aber keine Chance. Doch dieses finanzielle Risiko wollten nicht nur die betroffenen Bauern nicht tragen, auch ihr Verband winkte ab. "Profitieren wollen sie alle davon", stellt Witti fest. Nur zahlen wollen sie nicht. Weshalb es mit der BSE-Klage nun auch nichts wird.

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