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Politik: Risiken mit Nebenwirkungen

Die jüngste Verschiebung der Gesundheitsreform ist bereits die dritte – ein Chronik der Rückschläge

Berlin - Die Gesundheitsreform ist auf dem besten Weg, für die große Koalition zum Modellfall für die Belastbarkeit politischer Entscheidungsfindung zu werden. Die erneute Änderung im Zeitplan ist schon die dritte: Im September vergangenen Jahres verabredeten Union und SPD, das Gesetzpaket nicht am 1. Januar 2007, sondern erst am 1. April in Kraft setzen zu lassen. Im Oktober entschieden die Koalitionäre, den umstrittenen Gesundheitsfonds nicht im Jahr 2008, sondern erst 2009 einzuführen.

Erinnern wir uns: Die Frage, ob die Gesundheitsreform dem von der Union favorisierten Modell einer sogenannten Kopfpauschale oder der SPD-Idee einer Bürgerversicherung folgen soll, war aus den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2005 wegen Unvereinbarkeit der Ansichten ausgeklammert worden. Als Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung am 30. November dann einen „neuen Ansatz“ zur Lösung dieses Problems versprach, waren die Erwartungen hoch gesteckt.

Im April 2006 machte sich eine 16-köpfige Arbeitsgruppe daran, Eckpunkte einer Reform zu formulieren, die den Ende März von Union und SPD vereinbarten Zielen entsprechen sollte. Schon wenige Tage später wurde aus dem Munde von Unionsfraktionschef Volker Kauder bekannt, in welche Richtung die Reise ging: Ein Gesundheitsfonds, in den die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern fließen und der gegebenenfalls mit Steuermitteln aufgestockt wird, soll der große Topf sein, aus dem die Krankenkassen einheitliche Beträge für jeden Versicherten erhalten. Die Krankheitskosten für mitversicherte Kinder sollen aus Steuermitteln finanziert werden. Reichlich zwei Monate später spricht sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel für dieses inzwischen von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen heftig kritisierte Modell aus.

Anfang Juli präsentiert die Koalition nach einer Nachtsitzung die Reformeckpunkte. Neben der Einführung des Gesundheitsfonds sind eine Steigerung der Kassenbeiträge um bis zu 0,5 Prozent enthalten und die Regelung, dass die Kassen Zuschläge von bis zu einem Prozent des Haushaltseinkommens erheben können. Die Privatkassen sollen einen Basistarif für jedermann anbieten.

Der Krach innerhalb der Koalition, aber auch mit den Krankenkassen und zwischen Bund und Ländern bricht nun erst richtig los. Streitpunkte sind vor allem der Umbau der privaten Krankenversicherung, den die Union kritisiert, die Ein-Prozent-Regelung, die die Union anheben möchte, der Kassen-Finanzausgleich, durch den sich besser gestellte Bundesländer benachteiligt fühlen. Den kleineren Teil ihres Zwists legen die Koalitionäre Ende September bei: Sie verkünden, dass der Beitragseinzug bei den Krankenkassen bleiben soll und die Kassen zudem einen einheitlichen Spitzenverband bilden sollen.

In der Nacht zum 5. Oktober verkünden Merkel, SPD-Chef Beck und CSU-Chef Stoiber die Einigung: Gesundheitsfonds, erweiterter Risikostrukturausgleich und neues Ärztevergütungssystem sollen erst 2009 starten. Der Zusatzbeitrag der Versicherten wird auf ein Prozent des Einkommens des Versicherten begrenzt. Bis zu acht Euro im Monat können die Kassen aber ohne Einkommensprüfung erheben.

Doch der mühsam errungene Kompromiss löst eine neue Protestwelle aus. Und im Dezember schlägt der Kanzlerin unerwarteter Gegenwind aus unionsregierten Bundesländern entgegen. Sie fürchteten, bestärkt von einem wissenschaftlichen Gutachten, Zusatzkosten in Milliardenhöhe – erneuter Beratungsbedarf, erneute Terminverschiebung. sc

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