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Angela Merkel mit der Ernennungsurkunde zu ihrer vierten Kanzlerschaft mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

© Stefanie Loos/AFP

Rituale zur Amtseinführung: Blumenstrauß statt Kanonendonner

Die Revolution hört dort auf, wo das Protokoll beginnt. Ein bisschen mehr Pomp könnte Angela Merkels Vereidigung vertragen. Eine Kolumne.

Nachdem Deutschland seine europäischen Nachbarn so lange hat warten lassen, könnte sich das Land jetzt ein wenig Mühe geben. Am Mittwoch wird Angela Merkel vom Bundestag gewählt und dann vom Bundespräsidenten zur Kanzlerin ernannt. Zum vierten Mal hintereinander. Vier Mal genau das gleiche Protokoll, der gleiche, bürokratisch-nüchterne Ablauf. Sähe man es der Protagonistin nicht an, dass sie älter geworden ist, wäre die Zeremonie austauschbar.

Monatelang hielt uns die Koalitionsbildung in Atem, nun kommt endlich Tagesordnungspunkt Nr. 3: Vereidigung der Bundeskanzlerin. Blazer, Hose, flache Schuhe, Bernsteinkette – Merkel wird die Hand heben und schwören, all ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen …. ihre Pflichten gewissenhaft zu erfüllen … So wahr mir Gott helfe. Und das war’s auch schon. Im Hintergrund: die deutsche und europäische Flagge, ineinander verschlungen wie ein altes Paar. Höfliches Klatschen im voll besetzten Plenarsaal. Merkel wird etwas verlegen nicken. Freut sie sich? Ist sie einfach nur erleichtert? Keine großen Reden, nicht einmal ein paar Takte stimmungsvolle Musik.

21 Kanonenschüsse wie in Paris? Wo denken Sie hin! Konfettiregen, ein auffliegender Taubenschwarm im Berliner Himmel? Kitsch dieser Art ist etwas für Drei-Groschen-Demokratien, aber doch nicht für die seriöse Bundesrepublik! Jemand drückt der Gewählten einen unpraktischen Blumenstrauß in die Hand. Die einzig unbekannte Größe an diesem Morgen: Wie wird sie ihn unauffällig wieder los? Und dann schüttelt die alte und neue Kanzlerin all jenen aus der Union die Hand, die eben noch nach Erneuerung und Verjüngung schrien. Sie grüßt auch ihre Mitstreiter der neuen Groko, diese Sozialdemokraten, mit denen sie ganze Nächte hindurch um jeden Paragrafen des Koalitionsvertrags gerungen hat. Kann sie die überhaupt noch ertragen?

Am nächsten Tag wird sie in ein Flugzeug nach Paris steigen und die Stufen zum Élysée-Palast erklimmen, wo Emmanuel Macron sie seit fünfeinhalb Monaten erwartet. Auch dieser junge Präsident denkt nicht daran, sich vom Ballast der Traditionen zu befreien. Die Revolution hört dort auf, wo das Protokoll der Amtseinführung beginnt. Am 14. Mai des vergangenen Jahres schritt ein 39 Jahre junger Mann in einem gut sitzenden dunkelblauen Anzug allein über den roten Teppich, der zur Freitreppe des Élysée-Palastes führt. Die republikanische Garde trat mit vollem Pomp auf: Helm mit rotem Federbusch, Habt-Acht-Stellung. Überall Trikoloren, und vor dem Zaun Pferde. Kein bescheidener Blumenstrauß, sondern die Kette des Großmeisters der Ehrenlegion wurde dem neuen Präsidenten überreicht. Aus massivem Gold und ein Kilo schwer. Frankreichs sämtliche Würdenträger waren in dem riesigen Festsaal versammelt. Später fuhr Emmanuel Macron in einem Militärfahrzeug die Champs-Élysées hoch.

Berlin hat nicht einmal einen geeigneten Palast für so eine Zeremonie. Die Bundespolizisten wirken wie Ikea-Lageristen. Angela Merkel, die Unter den Linden in einem Jeep der Bundeswehr zum Brandenburger Tor fährt? Unvorstellbar! Ja, die Zeremonie im Bundestag fällt schon ein wenig mickrig aus im Vergleich zum französischen Pomp. Die Deutschen haben einfach schlechte Erfahrungen mit Inszenierungen und Pathos gemacht. Und irgendwie gefällt sie mir auch, diese Amtseinführung voller Demut vor den Abgeordneten, den Vertretern jenes „Volkes“, dem die Kanzlerin bald „dient“.

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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