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Innenminister Thomas de Maizière

© Thilo Rückeis

Roma-Flüchtlinge: Innenminister de Maizière: Schlechte Behandlung ist keine politische Verfolgung

Innenminister Thomas de Maizière verteidigt den jüngsten Asylkompromiss, den einige Grüne kritisch sehen. "Eine schlechte Behandlung der Roma in manchen Balkanstaaten ist eben keine politische Verfolgung", sagt der CDU-Politiker im Interview mit dem Tagesspiegel.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Wovor haben Sie mehr Sorgen – vor immer mehr Flüchtlingen oder einer Jetzt-reicht’s- Stimmung in Deutschland?

Beides hängt ja zusammen. Die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung in Deutschland ist sehr hoch, viel höher als Anfang der 90er Jahre. Dafür bin ich dankbar. Sie ist aber nur dann aufrechtzuerhalten, wenn die Bürger den Eindruck haben, dass es gerecht zugeht.

Gerecht heißt was genau?

Das heißt: Die Menschen, die politisch verfolgt werden, bekommen Asyl. Aber diejenigen, die nicht verfolgt werden, können nicht lange hierbleiben.

Es gibt richtige Flüchtlinge und falsche?

Ein Teil der Grünen wirft mir vor, ich spielte Menschen, die zu uns kommen, gegeneinander aus. Aber das würde im Umkehrschluss heißen, dass Deutschland jeden bei sich aufnehmen müsste, der hierherkommt. Das macht kein Land der Welt, und das überfordert jedes Land der Welt. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen wirklich politisch Verfolgten und anderen, die ihre Heimat aus anderen Gründen verlassen, der vernünftige und der von unserer Verfassung vorgezeichnete Weg. Eine schlechte Behandlung der Roma in manchen Balkanstaaten ist eben keine politische Verfolgung. Das ist für die Betroffenen hart, aber diese Unterscheidung ist nötig. Teile der Grünen wollen das anders. Nur, damit gefährden sie die Aufnahmebereitschaft in unserem Land. Und wenn Sie sehen, was derzeit an ehrenamtlichem Engagement für die Flüchtlinge in unserem Land heranwächst, dann ist diese Bereitschaft ein ganz hohes Gut.

Immer mehr Menschen fliehen vor Krieg und Elend in Afrika und im Nahen Osten. Ist überhaupt ein Ende abzusehen?

Wir haben weltweit rund 50 Millionen Flüchtlinge, mehr als jemals seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Auch wir in Deutschland werden nicht nur einmal hohe Zahlen haben, die danach wieder rasch zurückgehen. Wir müssen uns auf Jahre hinaus auf hohe Asylbewerber- und Flüchtlingszahlen einstellen.

Die Krisen der Welt rücken, ganz wörtlich, näher an uns heran?

Ja, das ist so, und nicht nur beim Flüchtlingsthema. Ich hielte es auch für völlig falsch, das zu tabuisieren oder umgekehrt so zu tun, als wäre die hohe Flüchtlingszahl kein Problem. Natürlich ist es ein Problem, wenn von heute auf morgen vier Kinder in eine Klasse kommen, die die Sprache nicht beherrschen und nicht lesen und schreiben können. Oder nehmen Sie die Unterbringung. Es ist vermutlich besser, Asylbewerber in der Anfangszeit in Gemeinschaft mit Landsleuten unterzubringen, etwa in früheren Kasernen. Nur liegen die oft in ländlichen Regionen. Natürlich ist es ein Problem, wenn in einer Gemeinde mit ein paar tausend Einwohnern plötzlich tausend Asylbewerber leben. Wer da kritische Fragen stellt, ist nicht gleich ein Rechtsextremist.

Was sagen Sie denn den Menschen in solchen Gemeinden?

Ich sage den Bürgern: Diesen Verfolgten Zuflucht zu geben ist Teil unserer weltweiten Verantwortung und unserer Pflicht als Menschen. Wer aus dem Bürgerkrieg in Syrien oder dem Irak kommt, hat oft furchtbare Dinge erlebt. Das ist wirklich ein geschundenes Volk. Übrigens sind viele der Flüchtlinge gerade aus Syrien hoch qualifiziert in Berufen, für die wir sehr gute Verwendung haben.

Welchen Umgang mit der AfD der Innenminister empfiehlt

Die sächsische AfD-Landesvorsitzende Frauke Petry bei einem Landesparteitag im September.
Die sächsische AfD-Landesvorsitzende Frauke Petry bei einem Landesparteitag im September.

© dpa

In Ihrer Wahlheimat Sachsen hat die „Alternative für Deutschland“ mit dem Spruch „Einwanderung braucht klare Regeln“ gerade Wahlerfolge eingeheimst ...

Kein Land der Welt lässt ungeregelte Einwanderung zu, auch Deutschland nicht. Insofern ist der Satz abstrakt völlig richtig. Aber es steckte natürlich etwas anderes dahinter: Der Appell an die Sehnsucht, dass Deutschland zurück in eine angebliche heile Welt der westdeutschen Bundesrepublik vor 1990 könnte, ungestört von internationalen Entwicklungen, bloß irgendwie reich. Das Ausland soll unsere Produkte kaufen, uns aber sonst in Ruhe lassen – das ist weder möglich noch verantwortbar, aber für manche offenbar verführerisch.

Wie wollen Sie die Verführer bloßstellen?

Wir müssen die Auseinandersetzung führen und nicht verschämt weggucken und darauf warten, dass sich die AfD selbst zerlegt. Wir müssen darüber reden: Welches Land, welches Volk wollen wir sein? Vor 25 Jahren haben die Menschen in der DDR gerufen „Wir sind das Volk“. Wir müssen uns heute die Frage stellen: „Welches Volk sind wir jetzt – und welches wollen wir in 25 Jahren sein?“ Wollen wir uns ernsthaft von den Konflikten in der Welt abkoppeln?

Der Bundespräsident fordert sogar mehr Verantwortung …

… was fälschlicherweise nur als Ruf nach mehr militärischem Engagement verstanden wird. Die Flüchtlingsfrage gehört aber dazu. Wir können nicht alle Probleme der Welt lösen. Wir können nicht, weil wir ein reiches Land sind, alle Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen ihr Glück in Deutschland suchen, aufnehmen. Wir haben eigene Interessen, die wir aussprechen und vertreten dürfen. Wir haben aber auch eine humanitäre Verantwortung. Beides in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen ist Ziel meiner Politik.

Viele Kommunen wissen schon jetzt kaum noch, wie sie der gerecht werden sollen.

Wir müssen zu einer besseren Verteilung der Flüchtlinge in Europa kommen. Bisher haben die Staaten an den Außengrenzen der EU immer argumentiert, sie trügen die Last, und die Staaten ohne EU-Außengrenzen machten sich einen schlanken Fuß. Das Argument hört sich nicht ganz abwegig an, aber im Ergebnis haben die Binnenstaaten deutlich höhere Aufnahmezahlen als etwa Italien oder Griechenland. Wir haben im EU-Innenministerrat jetzt beschlossen, dass wenn sich alle an das geltende Recht halten und ankommende Flüchtlinge registrieren und auch Fingerabdrücke nehmen, sich bei Überlastung eines Landes die anderen freiwillig zur Verteilung bereit erklären. Bei der Verteilung müssen die schon erfolgten Aufnahmezahlen berücksichtigt werden. Es entspricht nicht meinem Verständnis von europäischer Solidarität, wenn sich hier eine Reihe von EU-Staaten kaum oder gar nicht beteiligen.

Wie soll das denn ablaufen?

Da muss die EU-Kommission jetzt Umsetzungsvorschläge erarbeiten. Beim Verteilungsschlüssel wird man Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft in Rechnung stellen. Jemand muss entscheiden, ob die Quote überschritten ist und wohin die Flüchtlinge verteilt werden. Das könnte eine EU-Agentur übernehmen. Es muss aber beispielsweise auch klar sein, wer die Transporte bezahlt. Und es geht nicht, dass ein Flüchtling dann sagt, ich würde aber lieber in Deutschland bleiben statt nach Portugal oder Tschechien zu gehen.

Das klingt bürokratisch und auch etwas unmenschlich.

Es sind nicht zuletzt Flüchtlingsorganisationen und Kirchen, die ein solches Verteilsystem fordern. Wir tun das innerhalb Deutschlands ja auch. Es ist nicht unmenschlich, sondern vernünftig. Eins muss aber klar sein: Wer jetzt Verteilung fordert, sollte dann, wenn Verteilung stattfindet, nicht von Abschiebung sprechen.

Und ansonsten fangen wir Flüchtlinge künftig weit vor den Grenzen der EU ab und stecken sie in Lager?

Nein, so sieht das bestimmt nicht aus. Der Vorschlag, auf den Sie anspielen, hat eine ganz andere Zielrichtung. Über das Mittelmeer sind in einem Jahr mehr als 100 000 Flüchtlinge gekommen. Damit haben Schlepper nach UN-Schätzungen fünf bis sechs Milliarden Euro verdient. Rund 3000 Menschen sind dabei gestorben. Diese Toten gehören zum Kalkül der Schlepper. So wie bisher kann es daher nicht weitergehen. Deshalb kann Flüchtlingspolitik nicht erst an unseren Grenzen beginnen. Dafür brauchen wir in Europa und in Deutschland einen ganzheitlichen Ansatz. Daran arbeiten wir gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungshilfeministerium und zunehmend auch in der EU.

Also doch Lager am Rand der Sahara, wie das Ihr Vorgänger Otto Schily erwogen hat?

Nein. Was wir im Rahmen der EU planen – und es ist ein Plan der EU-Innenminister und nicht meine Privatidee –, hat mit früheren Überlegungen nichts zu tun. Wir erwägen, in Transitländern und unter Mitwirkung zum Beispiel des UN-Flüchtlingshilfswerks Zentren einzurichten. Dort würde man einerseits versuchen, Menschen von dort legal nach Europa zu holen. Andererseits würde man den Menschen klarmachen, dass sie als reine Armutsflüchtlinge keine Chance auf Asyl in Europa haben. Außerdem würde ihnen konkrete Hilfe angeboten, ein neues Leben aufzubauen: Ansiedlungsprogramme, die Finanzierung von Schulen in den Herkunftsstaaten oder auch die Übernahme der Kosten für die Rückreise wären denkbar – das ist alles humaner und im Ergebnis auch billiger als das, was im Moment stattfindet. Und es würde den Schleppern das Wasser abgraben.

Werden nicht die Schlepper einfach die Menschen drum herum schleusen?

Das ist nicht auszuschließen. Aber wenn sich in den Herkunftsländern herumspricht, dass es Hilfe gibt, besteht zumindest eine Chance. Außerdem muss man klar sagen: Wenn wir ein solches System einrichten, werden wir gleichzeitig die illegalen Wege über die Grenzen Europas deutlich stärker beschränken müssen.

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