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Politik: Rost und Löcher – von der Stasi verboten

Von Dagmar Dehmer „Sicherheit ist immer eine Frage des Geldes“, sagt Heinz-Peter Butz von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Geld hatte die DDR immer zu wenig.

Von Dagmar Dehmer

„Sicherheit ist immer eine Frage des Geldes“, sagt Heinz-Peter Butz von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Geld hatte die DDR immer zu wenig. Es fehlte zum Beispiel für die Instandhaltung der vier Reaktorblöcke des Atomkraftwerks Greifswald. Auch Strom war in der DDR Mangelware. Wenn ein Akw vom Netz gehen musste, stand gleich ein Großteil der Produktion still. „Die Wirtschaft ist zum Hauptfeld der internationalen Klassenauseinandersetzung geworden“, heißt es in einem Spitzelbericht an das Ministerium für Staatssicherheit, Teil eines Aktenberges zur Atomsicherheit in der DDR, in den der Tagesspiegel Einblick genommen hat. Jedenfalls ein gutes Argument, Korrosion oder Lochfraß an wichtigen Anlagenteilen klein zu reden.

Dafür gab es aber noch einen weiteren Grund. „Die sowjetische Technologie hatte keine Fehler – sie durfte keine haben“, sagt Rolf Janke von der GRS. Er arbeitete zu DDR-Zeiten in der staatlichen Atomsicherheitsbehörde. Traten trotzdem Probleme auf, machte sich die Staatssicherheit auf die Suche nach „Saboteuren“. „Dabei hieß der wahre Saboteur Chlor“, sagt Janke. Chlor, das aus der Meerwasserkühlung der Turbine bis zum Reaktordruckbehälter gelangen konnte und dort im schlechtesten Fall die Ummantelung angriff. In Diplomarbeiten der Stasi-Hochschule ging es jedoch selten um die technische Sicherheit, sondern darum zu verhindern, „dass feindliche negative Kräfte und gegnerische Stellen“ sowjetische Technik schlecht reden könnten.

Mitarbeiter, die auf Missstände hinwiesen, mussten damit rechnen, dass „Inoffizielle Mitarbeiter“ der Stasi auf sie angesetzt wurden. Meist wurden sie jedoch von ihren Vorgesetzten niedergemacht. Aber selbst der DDR-Atomaufsicht konnte nicht entgehen, dass nicht alles in Ordnung war in den Kraftwerken und vor allem auf den Baustellen. Aus Stasi-Akten geht etwa hervor, dass schon beim Bau des Akw Stendal erhebliche Qualitätsmängel zu Tage traten. Da lieferten die sowjetischen Partner Bleche, die den Reaktorkern umschließen sollten, die lackiert waren. Ihr Einbau hätte unkontrollierbare chemische Reaktionen im Reaktorkern auslösen können. Also kratzten die Arbeiter den Lack ab und verschweißten die Bleche trotzdem. Dass die Arbeit von Lehrlingen ausgeführt wurde, die für den Bau einer Erdgasleitung fit gemacht werden sollten, sei nur nebenbei bemerkt. Kein Wunder, dass die Schweißnähte lang vor der Fertigstellung bereits undicht waren und Risse aufwiesen.

Zwar beurteilen die GRS-Fachleute die Sicherheitseigenschaften der Meiler in Greifswald als hoch. Die Leistungsdichte im Reaktorkern war niedrig, und es gab viel Wasser, um eine Kernschmelze aufzuhalten. Doch trotz dieser „Gutmütigkeit“ der Anlagen wäre es 1975 einmal beinahe so weit gewesen: Ein Brand im Maschinenhaus löste den Störfall aus. Acht Stunden lang wurde der Reaktor weiterbetrieben, obwohl das Kühlwasser im Primärkreislauf langsam zur Neige ging. Gerade noch rechtzeitig wurde er dann doch noch vom Netz genommen.

Horst Zabka, der inzwischen ebenfalls für die GRS arbeitet, sagt im Rückblick, dass es drei Voraussetzungen für den sicheren Betrieb von Atomkraftwerken gibt: Es darf keine Mangelwirtschaft geben, technisches Knwo-how ist nötig – und Demokratie. Denn wenn sich das Personal nicht traut, Korrosion auch Korrosion zu nennen, kann aus einem kleinen technischen Problem schnell eine große Katastrophe werden.

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