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Politik: Rot-grünes Sicherheitsrisiko

Deutschlands ältester Reaktor Obrigheim entzweit die Partner – am Sonntag soll eine Entscheidung fallen

Von Hans Monath

Wenn ein Problem richtig heikel wird, müssen sich die Spitzenleute selbst darum kümmern. Der Streit um längere Laufzeiten für das baden-württembergische Atomkraftwerk Obrigheim ist ein solcher Fall: Was zunächst aussah wie ein begrenzbarer Konflikt zwischen dem Kanzler und seinem grünen Koalitionspartner, hat sich wegen der heftigen Reaktionen aus dem Grünen-Umfeld nun zu einem Knackpunkt der gesamten Koalitionsverhandlungen entwickelt. Deshalb werden am heutigen Sonntag voraussichtlich auch Kanzler Gerhard Schörder sowie Außenminister Joschka Fischer an der Runde zu Energiefragen teilnehmen, die auch über die Zukunft des ältesten deutschen Atomkraftwerks entscheidet.

Grünen-Landespolitiker drohen inzwischen offen mit der Ablehnung des Koalitionsvertrags für den Fall, dass die Bundesregierung dem Akw-Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) für Obrigheim eine längere Laufzeit einräumt. Dessen Chef Gerhard Goll behauptet nämlich, dass Kanzler Schröder ihm während der Atomkonsens-Gespräche eine Laufzeit-Verlängerung für die Anlage versprochen habe.

Umweltverbände und Grünen-Basis lassen sich auch von der Aussage des Umweltministeriums nicht beruhigen, wonach es Hinweise auf gravierende Mängel im Sicherheitsmanagement des Atomkraftwerks gebe. Damit signalisert das von Jürgen Trittin geführte Ministerium so deutlich wie nur möglich, dass es den inzwischen schriftlich vorliegenden Verlängerungswunsch der EnBW keinesfalls erfüllen will.

Trotzdem droht etwa der baden-württembergische Grünen-Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann, der Grünen-Parteitag am kommenden Wochenende werde den Koalitionsvertrag als Ganzes ablehnen, sofern nicht im Rahmen der Koalitionsverhandlungen schnell das Auslaufen Obrigheims bestätigt werde. Auch andere Landesverbände der Grünen drohen mit der Mobilisierung der Anti-Akw-Szene.

Das siebenköpfige Verhandlungsteam der Grünen spürt den Druck und drängt intern und öffentlich auf eine Abschaltung des Kraftwerks nach den offiziellen Regeln des Atomkonsenses. Gerade noch 79 Betriebstage gesteht das Umweltministerium (Stand vom Sonnabend) Deutschlands ältestem Akw zu. Sollte Schröder bei Goll tatsächlich im Wort stehen, weiß der Kanzler auf der anderen Seite, dass der grüne Partner den Koalitionsvertrag auch über seinen Parteitag bringen muss.

„Die Kuh ist auf dem Eis“, heißt es jedenfalls aus dem Verhandlungsteam der Grünen – und da soll sie schnellstmöglich herunter, bevor sie einbricht oder sonst nicht mehr kontrollierbare Folgeschäden eintreten. Berichte über eine nahe Einigung wurden bei den Grünen nicht bestätigt.

Auch ein Kompromiss, der Golls Begehren nach einer Verlängerung um fünf Jahre zumindest teilweise erfüllt, könnte der Grünen-Spitze auf dem Parteitag große Schwierigkeiten bereiten. Dort soll nämlich die alte Regel fallen, wonach Amt und Mandat nicht vereinbar sind. Für die Änderung der Satzung, die den neu gewählten Abgeordneten Fritz Kuhn und Claudia Roth ein Weiteramtieren als Parteichefs ermöglichen würde, ist indes eine Zweidrittelmehrheit nötig. Mehr als fraglich ist, ob sich die Delegierten vom Selbstbewusstsein ihrer Spitzenpolitiker anstecken lassen, die ihre bisherigen Verhandlungsergebnisse als Erfolge verbuchen.

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