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Überlebende und Täter des Genozids im Dorf Nyakagezi nicht weit von Huye. Die 40 Männer und Frauen versuchen, zu einem zivilisierten Zusammenleben zurück zu finden.

© Dagmar Dehmer

Ruanda-Tagebuch (2): Vom richtigen und falschen Gedenken

Die Kigali Genozid-Gedenkstätte erinnert an Tutsis, die Opfer des Genozids in Ruanda wurden. Am Ende der Ausstellung wird nun auch von Hutu-Rettern berichtet. Ob letztere auch zu den Opfern gehören, darüber herrscht Uneinigkeit.

Fünf Jahre nach dem Genozid in Ruanda, also 1999, hat eine Gruppe von Überlebenden gemeinsam mit der Stadtverwaltung der Hauptstadt Kigali begonnen darüber nachzudenken, wie der nationalen Katastrophe gedacht werden könnte. Dabei ging es am Anfang um ein ganz praktisches Problem: Die Toten des Genozids und des Bürgerkrieges, waren überall in der Stadt vergraben worden. Doch die wachsende Stadt brauchte Platz. Häuser wurden errichtet, Straßen wurden gebaut, Baugruben ausgehoben. Und immer wieder – übrigens bis heute – stoßen die Bauarbeiter auf Gebeine. Die Angehörigen von Opfern des Völkermords, die ihre Toten im Chaos nach dem Massenmord nicht würdig hatten begraben können, wollten einen Ort finden, an dem sie ihrer Angehörigen gedenken konnten. Die Stadt Kigali stellte ein Gelände auf einem der vielen Hügel der Stadt zur Verfügung. Die britische Aegis-Stiftung wiederum unterstützte die Überlebenden bei ihrer Arbeit. Sie ist heute Trägerin der Kigali Genozid-Gedenkstätte

„Wand der Namen” für die Opfer des Genozids in Ruanda

In den Jahren 2001 bis 2002 war das harte körperliche Arbeit. Auf dem Gelände sind 14 Massengräber ausgehoben worden. Sie sind sechs bis sieben Meter tief. In diese Gruben wurden Särge gestapelt, in jedem Sarg liegen die Gebeine einer Familie oder manchmal auch von noch mehr Menschen. Die Massengräber wurden mit schlichten Betonplatten verschlossen, bei einem der Gräber gibt eine Glasdecke Einblick, wie es in den Gräbern aussieht. 250 000 Opfer des Völkermords von Hutu an den Tutsi liegen hier begraben. Seit 2004 sind weitere 10 000 Gebeine dazu gekommen. Das Gräberfeld wird derzeit erweitert.

Die Namen der Toten sind an einer „Wand der Namen“ zu finden, zumindest 82 000 von ihnen. Nicht alle sind bekannt. Und es dauert seine Zeit, bis alle bekannten Namen auch ihren Platz an der Gedenkwand gefunden haben. Vorbild ist das Denkmal für die gefallenen US-Soldaten im Vietnamkrieg in Washington. Aber diese Form des Gedenkens ist auch auf neueren Kriegsgräberfeldern in Polen zu finden, wo auf diese Weise der dort gefallenen deutschen Soldaten gedacht wird.

Fotos aus glücklicheren Zeiten erinnern an die Opfer

Das Gräberfeld allein, das war den Machern klar, würde nicht reichen. Freddy Mutanguha, Leiter der Gedenkstätte in Kigali, hat deshalb gemeinsam mit der Aegis-Stiftung eine  Ausstellung entwickelt, die nun im Besucherzentrum zu sehen ist. Im Keller ist auf Schautafeln die Geschichte Ruandas auf dem Weg zum Völkermord zu sehen. Es gibt Fotos und Zeugenberichte von Opfern über die drei Monate organisierten Tötens von April bis Juli 1994, die über Videos eingespielt werden. Besonders eindrucksvoll ist ein Raum, in dem Tausende Fotos aus den Fotoalben von Angehörigen mit Wäscheklammern an Schnüre gehängt sind – sie sind alle Opfer des Völkermords, die da aufgenommen in einer glücklicheren Zeit von den Wänden blicken oder lächeln. Ausführlich wird das Versagen der Vereinten Nationen, der Franzosen, der ganzen Welt vor dem Schlachten in Ruanda dokumentiert. Ganz neu ist eine Schautafel fast am Ende der Ausstellung, die über drei von vielen Hutu-Rettern Auskunft gibt. Etwa eine traditionelle Heilerin, die Tutsis versteckte und ernährte, und vor den Hutu-Milizen schützte. Das ist eine neue Entwicklung im ruandischen Gedenken.

Streit über Formulierung in der UN-Resolution

Es ist der Regierung, und es ist den Opfern des Völkermords sehr wichtig, ihr Leid präzise beschrieben zu wissen. Auf die Frage, was denn mit den Tausenden getöteter Hutus sei, die sich dem Morden an den Tutsis verweigerten, oder die im Bürgerkrieg zur Beendigung des Genozids umgekommen sind, gibt Freddy Mutanguha eine klare Antwort: „Sie sind nicht Opfer des Völkermords, sie sind im Krieg gestorben.“ Was den Genozid an den Tutsis ausmacht, ist die lange Vorbereitung, und das organisierte Töten. Als am 7. April 1994 das Flugzeug mit den beiden Präsidenten Ruandas und Burundis abgeschossen worden war, war das der Startschuss für den Völkermord. Jeder Hutu bekam eine Waffe in die Hand und den Auftrag zu töten. Die Tutsis waren nicht Opfer eines Bürgerkrieges. Sie wurden getötet, „für das, was sie waren“.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum über die Formulierung in der UN-Resolution gestritten wurde.

Erst in der vergangenen Woche gab es im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Streit zwischen Ruanda und dem Rest der Welt, weil in einer UN-Resolution die Formulierung „Opfer des Völkermords“ stehen sollte. Ruanda aber bestand darauf, dass dort stehen müsse, „Opfer des Völkermords der Hutu an den Tutsis“. Und sie waren auch nicht zufrieden mit dem amerikanischen Vorschlag doch die „gemäßigten Hutus“, die ebenfalls getötet worden waren, als Opfer mit aufzunehmen.

Das sei, als würde man die Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Holocaust umdefinieren. Aber das sei Krieg gewesen. Und im Krieg sterben Menschen, so argumentieren viele in Ruanda. Und es ist ja auch nicht falsch. Bei der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der Tutsi-Miliz, der Patriotischen Befreiungsfront des heutigen Präsidenten Paul Kagame, könnte allerdings „noch mehr passieren“, sagt ein deutscher Beobachter, der sonst eigentlich fast alles richtig findet, was die aktuelle Regierung tut, um das Land dauerhaft zu befrieden.

Deutsche Völkermorde sind in der Kigali Gedenkstätte prominent

Übrigens haben die deutschen Völkermorde einen prominenten Platz in der Gedenkstätte in Kigali gefunden. Im Gegensatz zur Bundesregierung sind die Ausstellungsmacher in Ruanda davon überzeugt, dass der Krieg gegen die Herero und die Nama in Namibia in der deutschen Kolonialzeit ein Völkermord gewesen ist, einer der ersten. Die Schautafeln über die Verbrechen des deutschen Generalleutnants Lothar von Trotha stehen in einem Raum mit dem Völkermord der Türkei an den Armeniern. Es folgt ein ganzer Saal, in dem die Geschichte des Genozids an den Juden in Deutschland thematisiert wird. Da geht es dann auch um die Schuldgefühle der Überlebenden des Holocaust, in denen sich mancher Überlebende Ruanders durchaus wieder finden dürfte. Einen Raum weiter wird der Völkermord in Kambodscha erklärt, gefolgt vom Bosnienkrieg.

Zwischen 50 000 und 85 000 Menschen schauen sich die Ausstellung jedes Jahr an. Und eine Wanderausstellung mit einer etwas veränderten Konzeption ist inzwischen unterwegs in die Dörfer. Sie wird überall im Land gezeigt. In dieser Ausstellung geht es dann etwas ausführlicher auch um Hutus, die Tutsis gerettet haben. Bis zum Jahrestag am 7. April wird die Gedenkstätte noch etwas größer geworden sein. Derzeit verdeckt noch ein Bauzaun die Erweiterungsfläche, aber dort werde „Tag und Nacht gearbeitet“, sagte einer der Museumsführer. Sie werde fertig sein, bis das ganze Land im April eine Woche lang still stehen wird, um an den ruandischen Alptraum zu erinnern, der sich vor 20 Jahren hier abgespielt hat.

Dagmar Dehmer hält sich auf Einladung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Woche lang in dem zentralafrikanischen Land Ruanda auf. Hier berichtet sie von ihren Eindrücken 20 Jahre nach dem Völkermord.

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