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Marsch für Bürgerbeteiligung. Im Anschluss können die Bürger ihre Anliegen vortragen, die auf üblichem Wege nicht lösbar waren.

© Dagmar Dehmer

Ruanda-Tagebuch (3): Pflichtdienst am Staat

Bürgerbeteiligung nimmt einen hohen Stellenwert in Ruanda ein: Ob monatelang vorbereitete Bewusstseinsmärsche, Bürgerversammlungen für Einzelschicksale oder der monatliche Pflichtdienst am Staat.

Ruanda gleicht einem Ameisenhaufen. Nicht nur, dass sich in diesem winzigen Land nach einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds Ende 2013 rund 11,6 Millionen Menschen drängeln. Wenn man durch das Land fährt, ist diese Tatsache nirgendwo zu übersehen. Bis auf ein paar Restbestände an Wäldern wird jeder noch so prekäre Flecken Land bewirtschaftet, selbst am Steilhang – und Ruanda, das Land der tausend Hügel, hat viele Steilhänge. Die Felder sind klein, und es ist kaum auszumachen, wo ein Dorf aufhört und das nächste anfängt.

Organisiert wie ein Ameisenstaat

Ruanda gleicht aber auch deshalb einem Ameisenhaufen, weil der Staatsaufbau und die Art und Weise wie die Bewohner ihrem Land dienen, es durchaus mit diesem wohlorganisierten Vorbild aus der Natur aufnehmen kann. Am Dienstag beispielsweise haben zwischen 500 und 600 Menschen an einem „Bewusstseinsmarsch“ auf dem Land mitten in hohen Bergen auf mehr als 2.000 Meter Höhe teilgenommen. Im Dorf Musebeya im Distrikt Nyamagabe haben sich viele der Marschierer schon morgens um 6.30 Uhr auf den Weg gemacht, um gegen 10.30 Uhr dabei sein zu können.

Seit 2012 finden solche Märsche statt, bisher waren es acht. Organisiert werden sie von der Initiative zur Bürgerbeteiligung (Initiative pour la Participation Citoyenne, IPC), einer Plattform in der sich Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) organisieren, und die als solche in die Planungsprozesse der Kommunalverwaltung einbezogen wird und die Kommunalverwaltung selbst. Das Organisationskomittee entscheidet über das Thema des Marsches, dieses Mal ging es um Bürgerbeteiligung, der vorhergehende drehte sich um Frauenrechte, und dann wird so ein Marsch monatelang vorbereitet. Er hat vor allem den Zweck, die Menschen auf dem Land über ihre Rechte und neue Gesetze zu informieren, wie beispielsweise das, dass ihnen bestimmte staatliche Dienstleistungen zustehen, und wo sie sie bekommen können. Er ist aber auch eine Möglichkeit für die Bürger im Anschluss an den Marsch in einer Versammlung Anliegen an die Verwaltungen vorzubringen, die sie auf dem üblichen Weg nicht haben lösen können. Übrigens veranstaltet auch Präsident Paul Kagame solche Versammlungen auf dem Land, bei denen Bürger, die sich ungerecht behandelt fühlen, ihr Anliegen vortragen dürfen – und sicher sein können, dass es schnell eine Lösung für ihr Problem geben wird.

Gegenseitiges Bestaunen beim Kuhtanz

Der Marsch am Dienstag ist ein ganz besonderer Marsch gewesen, weil die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die unter anderem die IPC mit einer Entwicklungshelferin, Fleur Siri, unterstützt, mit einer großen Delegation deutscher Journalisten angereist ist. Die beiden Welten bestaunten sich gegenseitig. Die Bürger hatten sich aber deshalb auch besonders viel Mühe gegeben. Eine Gruppe Tänzerinnen lief direkt hinter dem Banner, auf dem für mehr Beteiligung geworben wurde. Sie trugen goldene lange Röcke, kunstvoll frisierte Haare und Bänder mit Glöckchen an den Füßen. Sie tanzten den Bewegungen der Kühe nachempfunden, die hier auf dem Land in Ruanda das ultimative Schönheitsideal sind. Die Arme formen die Hörner nach, die wiegenden Bewegungen sollen an den Gang der Kühe erinnern. Und die Füße stampfen im Takt. Dahinter tanzt eine Gruppe Männer zum Takt der Trommeln.

Dazwischen drängen sich die Marschierer, die ansonsten schweigend zu einem Platz ziehen, wo ein Zelt aufgebaut ist, unter dem die Ehrengäste platziert werden, die Marschierer sitzen auf einem Hügel davor. Ein Theaterstück gibt es auch, in dem zwei Leute eine Kuh darstellen, was größte Heiterkeit beim Publikum auslöst. Dabei geht es um einen alltäglichen Streitfall. Kommunalbeamte nehmen einem alten Mann und seiner Frau ihre einzige Kuh gewaltsam weg, weil diese ihre Krankenversicherung nicht bezahlt haben. Das Wehklagen ist groß. Der alte Mann findet aber eine Möglichkeit, sein Anliegen vorzubringen. Denn der Umuganda, ein staatlich verordneter Hilfstag, steht bevor. Danach gibt es eine Versammlung, bei der er sich beschweren kann. Und tatsächlich, weil er zu arm ist, um seine Krankenversicherung selbst zu bezahlen, bekommt er auch noch seine Kuh zurück. Partytime.

Fehlender Strom, kein Geld, kein Zuhause

Ganz so ideal verläuft diese öffentliche Bürgersprechstunde dann allerdings doch nicht. Ein älterer Mann lobt die Dezentralisierung, so dass die Bürger nun nicht mehr so weit laufen müssten, um beispielsweise wichtige Dokumente zu beantragen. Aber Strom hätten sie immer noch keinen, obwohl der schon lange versprochen sei. Eine Frau, die nicht formal verheiratet ist, beklagt sich, dass ein Urteil, das ihr einen Teil des Landes ihres Mannes zugesprochen hat, nicht umgesetzt wird. Sie habe kein Geld, um ihren Kindern Schulsachen oder Kleidung zu kaufen, klagt sie. Ein alter Mann beklagt sich, dass er trotz seiner Armut die Schulgebühren für seine zwei Kinder tragen muss. Bitter berichtet er, dass ihn die lokalen Behörden mit den Worten weggeschickt haben: „Geh arbeiten, Deine Schulgebühren sind nicht unser Problem.“ Am Schluss steht eine gebeugte Frau am Mikrofon und sagt, sie haben den Genozid überlebt, aber ihr Haus sei eingestürzt und sie habe keinen Ort, wo sie hingehen könne.

Reaktionen Bürgerbelange

Der Distriktsekretär sagt: „Diese Menschen haben wichtige Anliegen vorgebracht.“ Dann verweist er sie allerdings an die Öffnungszeiten der zuständigen Verwaltungsstellen, sie hätten dienstags und freitags Sprechstunde, sagt er. Die Probleme könnte auch die Sektorverwaltung lösen, dafür müssten sie nicht zur Distriktverwaltung laufen, meint er. Dass die Menschen keine Angst hätten, ihre Fragen zu stellen, „zeigt, dass sie sich ihrer Rechte bewusst sind“, sagt er. 

Umuganda – Pflichtdienst der Bürger am Staat

Noch wichtiger als das Vorbringen ihrer Anliegen ist in Ruanda aber der Dienst der Bürger am Staat. Umuganda ist ein Beispiel dafür. An jedem letzten Samstag im Monat sind alle Ruander verpflichtet, gemeinnützige Arbeiten zu verrichten. Die lokalen Autoritäten entscheiden, was gearbeitet werden muss, und teilen die Leute ein. Sie führen auch die Listen aller arbeitsfähigen über 18-Jährigen und müssen diese Listen abzeichnen. Wer nicht kommt, muss Strafe zahlen. Am Umuganda wird dann beispielsweise aufgeräumt – auch auf dem Land liegt kein Müll herum, nicht nur in der Hauptstadt nicht.

Ganz neu ist die „Zielvereinbarung“, die jeder Haushalt mit den lokalen Behörden abschließt. In diesem sogenannten Performance Contract wird schriftlich festgehalten, was die Familie laufend für die Gemeinschaft tun will. Einen solchen Vertrag gibt es aber auch zwischen jedem Distriktbürgermeister und dem Präsidenten persönlich. Wer seine Ziele nicht erreicht, dürfte politisch erledigt sein, wer sie mehrfach übererfüllt empfiehlt sich für höhere Aufgaben. Für die Bürger haben diese Verträge aber den erfreulichen Effekt, dass sie staatliche Dienstleistungen nicht nur versprochen bekommen. Mit den Verträgen wird jedes Jahr überprüft, ob die Versprechen auch gehalten werden.

Und die Ergebnisse sind eindrucksvoll: 90 Prozent der Ruander sind krankenversichert und haben Zugang zu einer einfachen Gesundheitsversorgung, die Geburtenrate ging von sechs Frauen pro Kind auf vier zurück, die Bürger bekommen Ausweise, Geburtsurkunden oder andere wichtige Dokumente inzwischen in ihrer Nähe, das heißt, sie müssen vielleicht eine Stunde laufen, um eine zuständige staatliche Stelle zu finden und nicht mehr sieben. Demokratisch ist das zwar nicht, aber effektiv. Deshalb hält sich die Kritik an der Regierung von Paul Kagame im Land und im Ausland auch in Grenzen.

Dagmar Dehmer hält sich auf Einladung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Woche lang in dem zentralafrikanischen Land Ruanda auf. Hier berichtet sie von ihren Eindrücken 20 Jahre nach dem Völkermord.

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