Seit acht Monaten ist das Oberlandesgericht München Schauplatz eines Verfahrens, wie es in der Justizgeschichte der Bundesrepublik selten eines gegeben hat. Im NSU-Prozess hat der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl an bislang 71 Verhandlungstagen versucht, Antworten auf die Frage zu finden, ob Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte an den monströsen Verbrechen der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ mitschuldig sind – oder nicht. Es geht um zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle und weitere Verbrechen. Am Mittwoch ist der erste Prozesstag im neuen Jahr. Im Januar geht es um eine Mordwaffe – und um die tödlichen Schüsse auf die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn.
Was ist den Angeklagten bislang nachgewiesen worden?
Im Mittelpunkt des Interesses der meisten Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit steht die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Mittäterschaft an allen Straftaten des NSU vor, „rechtlich zusammentreffend mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“. Und es kommt die Brandstiftung in Zwickau hinzu. Zschäpe hatte am 4. November 2011, nur Stunden nach dem Tod ihrer Kumpane Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im thüringischen Eisenach, die gemeinsame Wohnung in Zwickau angezündet – mutmaßlich um Spuren zu vernichten. Obwohl Zschäpe hartnäckig schweigt, hat im Prozess niemand bezweifelt, dass sie den Brand gelegt hat.

Allein für diese Tat drohen Zschäpe mehrere Jahre Haft – oder sogar lebenslänglich. Denn die Bundesanwaltschaft spricht auch von versuchtem Mord. Bei dem Feuer geriet eine alte, gebrechliche Nachbarin in Gefahr. Zschäpes Anwälte gehen aber davon aus, ihre Mandantin habe rechtzeitig vor dem Brand bei der Rentnerin geklingelt. Die damals 89-jährige Frau ist allerdings schwerhörig. Selbst die Explosion zu Beginn des Feuers bekam sie nicht mit.
Bei den anderen Anklagepunkten gegen Zschäpe ist die Beweislage schwieriger, weil ein Puzzle aus Indizien zu bewerten ist. Da sind beispielsweise die Asservate aus dem Brandschutt des Hauses in Zwickau. Die Polizei fand unter anderem mehrere Waffen. Eine ist die Pistole Ceska 83, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen hatten. Und eine Kriminalpolizistin sagte als Zeugin, an zwei im Schutt entdeckten Zeitungsausschnitten zu einem Mord und einem Sprengstoffanschlag des NSU befänden sich Fingerabdrücke Zschäpes.
Weitere Zeugen berichteten, Zschäpe habe gemeinsam mit Böhnhardt Fahrzeuge gemietet. Ehemalige Nachbarn und Urlaubsbekannte schilderten zudem die Märchen, die Zschäpe über sich und die beiden Uwes erzählte und wie die drei mit falschen Namen auftraten. Und der Mitangeklagte Holger G. hat angegeben, Zschäpe habe ihn in Zwickau am Bahnhof abgeholt, als er eine Waffe brachte. Aus Sicht ihrer Verteidiger reichen solche Indizien und weitere jedoch nicht aus, um zu beweisen, Zschäpe sei bei den Verbrechen des NSU die Mittäterin gewesen.
Die Anwälte verweisen zudem auf die Aussage des geständigen Mitangeklagten Carsten S. Er hatte im Jahr 2000 die Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt nach Chemnitz gebracht. Die beiden Männer hätten von einem Sprengstoffanschlag in Nürnberg erzählt, aber nicht gewollt, dass Zschäpe davon etwas mitbekomme.
Für den angeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben verlief der Prozess bislang ungünstig. Carsten S. hat in seiner Aussage betont, Wohlleben habe ihm Geld für den Kauf der Ceska 83 gegeben. Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben, der sich nicht äußert, und Carsten S. Beihilfe zu neunfachem Mord vor.
Holger G. hat in seinem, vom Blatt abgelesenen Geständnis zugegeben, die Terrorzelle unterstützt zu haben. Der fünfte Angeklagte, André E., sagt gar nichts. Zeugen berichteten, auf seinen Namen seien Wohnmobile gemietet worden. Mundlos und Böhnhardt waren mehrmals im Caravan zu Tatorten gefahren.
- Die wichtigsten Fragen zum NSU-Prozess
- Der Prozess wird wahrscheinlich auch 2014 nicht beendet
- Bisher ist Zschäpe nicht zum Idol für die rechte Szene geworden
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