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Rückfallgefährdete Straftäter: Schlecht verwahrt

Jost Müller-Neuhof über Politiker und Staatsanwälte, die das Recht verlieren.

In Düsseldorf stand vergangene Woche ein 37 Jahre alter Mehrfachmörder vor Gericht. Der Schaustellergehilfe hat nach Überzeugung der Richter eine Frau in ihrer Wohnung erstochen. Sie verurteilten ihn zu 15 Jahren Haft. Der Mann hatte bereits als 17-Jähriger getötet und soll noch für weitere Morde verantwortlich sein. Alle Welt erwartete Sicherungsverwahrung. Doch sie wurde weder verhängt noch beantragt. Der Staatsanwalt entschuldigte sich. Er habe Verständnis, wenn die Bevölkerung das nicht nachvollziehen könne.

Ein erstaunliches Verständnis. Die Justiz ist nach der Verfassung an Gesetz und Recht gebunden. Das Gesetz schließt Sicherungsverwahrung aus, wenn die letzte bewiesene Tat viele Jahre her ist. Ein Antrag oder die Verhängung wäre klar rechtswidrig gewesen. Wieso soll die Bevölkerung eine Entscheidung nicht nachvollziehen können, die rechtskonform und nach juristischen Maßstäben „alternativlos“ ist? Und wieso sollte ein Staatsanwalt dafür auch noch Verständnis haben?

Bei keinem Thema sind die politisch-gesellschaftlichen Diskussionen so weit entfernt von der fachlichen und wissenschaftlichen Perspektive wie beim Umgang mit rückfallgefährdeten Straftätern. Und der Düsseldorfer Fall legt nahe, dass die Justiz selbst mitwirkt, unerfüllbare Erwartungen zu schüren. So hofft der Staatsanwalt, der Täter könne nach 15 Jahren Gefängnis mit dem neuen „Therapieunterbringungsgesetz“ weiter in Haft gehalten werden. Der Bundestag hatte es beschlossen, um die nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs nötig gewordene Entlassung von dutzenden Tätern zu verhindern.

Nach Auffassung von Experten jedoch läuft das neue Gesetz leer. In der aktuellen Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift schreibt einer der führenden Rechtsexperten für Sicherungsverwahrung, der Tübinger Strafrechtler Jörg Kinzig, das für psychisch gestörte Täter geschaffene Gesetz werde „entweder in der Praxis bedeutungslos sein oder einem verfassungsrechtlichen oder menschenrechtlichen Verdikt unterfallen“. In der neuen „Zeitschrift für Rechtspolitik“ spricht der Gießener Kriminologe Arthur Kreuzer von einem „Flurschaden für die rechtsstaatliche Strafrechtskultur“. Es sei „unverantwortlich“, im „Wunschglauben“ an das neue Gesetz die zu Entlassenden nicht mehr gründlich auf ihre Entlassung vorzubereiten. Einig sind sich die Experten, dass die Rückfallgefahr von Politikern und Öffentlichkeit vollkommen überschätzt werde. Die schwarz- gelbe Reform der Sicherungsverwahrung, die künftig auch für Ersttäter in Betracht kommt, könne jährlich mehr als 1000 Täter treffen. Bisher sitzen rund 500 Menschen in Verwahrung.

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