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Ein Koffer mit einem Spenderorgan.

© picture alliance / dpa

Rückgang der Spenderzahl: Schwere Vorwürfe gegen die Stiftung Organtransplantation

Die Chefs der Stiftung sollen für die stark rückläufige Organspenderzahl verantwortlich sein. In einem anonymen Brief werfen ihnen offenbar Mitarbeiter Konzeptlosigkeit und Ressourcenverschwendung vor.

Berlin - Mitten in der Debatte um fehlende Organspender in Deutschland und eine Reform des Transplantationsgesetzes hagelt es Vorwürfe gegen die Chefs der Koordinationsstelle für Organspenden, die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). In einem anonymen Brief an den Gesundheitsminister und zahlreiche Gesundheitspolitiker bezichtigen offenbar Mitarbeiter den zweiköpfigen Vorstand, durch Konzeptlosigkeit, Ressourcenverschwendung und einen „Führungsstil nach Gutsherrenart“ für den Rückgang der Spenderzahl mitverantwortlich zu sein. Sie sank von Januar bis September im Vergleich zu 2010 um sechs Prozent – von 961 auf 902. Die Zahl der entnommenen Organe ging bis zum Juni sogar um 12 Prozent zurück – von 2092 auf 1861.

Die Halbjahreszahlen seien „die schlechtesten (...) seit vielen Jahren“, heißt es in dem dreiseitigen Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt. Aufgrund von Umstrukturierungen sei ein Großteil der Mitarbeiter „stark verunsichert und demotiviert“. Zudem würden „durch Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität Krankenkassengelder missbraucht“. Genannt sind eine Privatnutzung von Immobilien, häufige Dienstwagenwechsel, Aufträge an Dienstleister „aus dem Umfeld des Vorstandes“ sowie eine angeblich „illegale Querfinanzierung“ der Promi-Werbeinitiative Stiftung fürs Leben.

Die DSO-Spitze wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. „Eine Auseinandersetzung mit anonym vorgetragenen und einer sachlichen Grundlage entbehrenden Vorwürfen verbietet sich“, heißt es in einer Stellungnahme. Der Stiftungsrat kündigte als Aufsichtsgremium aber an, sich „im Rahmen einer Sondersitzung nochmals mit anstehenden Fragen auseinanderzusetzen“. Der Rückgang der Spenderzahlen sei „bedauerlich, aber ursächlich bisher nicht geklärt“. Die DSO sehe es „als ihre Aufgabe an, auch unter Hinzuziehung externer Experten, Wege für eine erneute Steigerung zu finden und ihre Arbeit im Rahmen gegebener Personal- und Finanzressourcen zu intensivieren“.

Kritik am Transplantationssystem in Deutschland kommt auch von der Deutschen Hospiz-Stiftung. Er wünsche sich „deutlich mehr Transparenz“ bei den Verfahrensabläufen und -entscheidungen, sagte Verbandsvorstand Eugen Brysch dem Tagesspiegel. Zudem sei es ethisch höchst fragwürdig, die Vergabe von Spenderorganen und damit die „Verteilung von Lebenschancen“ unbeaufsichtigt privatwirtschaftlichen Organisationen zu überlassen, die man nach Umsatz bezahle.

Die DSO stimmt die Zusammenarbeit zwischen 1400 Kliniken und 50 Transplantationszentren ab. Ausgenommen: die Organvermittlung der Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden. Die Finanzierung übernehmen die gesetzlichen Kassen, das Jahresbudget richtet sich nach der erwarteten Zahl transplantierter Organe. Parlamentarische oder rechtsstaatliche Kontrollen gibt es nicht – weder für die Kriterien des Hirntods, die von der Ärztekammer festgelegt werden, noch für Entnahme und Zuteilung der Organe. Nur die DSO selbst unterliegt der Stiftungsaufsicht des Landes Hessen.

Im vergangenen Jahr hatten noch 1296 Menschen ihre Organe gespendet – 79 mehr als im Vorjahr. 5000 wurden transplantiert. Rund 1000 Patienten starben während des Wartens, weitere 1000 mussten zurückziehen, weil ihre Krankheit zu fortgeschritten war. Zum Jahresbeginn standen 11 570 Patienten auf den Wartelisten. Mit 16 Spenden pro eine Million Einwohner liegt Deutschland weit unter dem europäischen Mittel.

Ursächlich für den Einbruch bei den Spenderzahlen könne vieles sein, heißt es bei der DSO: weniger  Hirntote, Personalmangel auf den Intensivstationen, womöglich auch Patientenverfügungen. Der gewünschte Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen vereitle auch Transplantationen, bestätigte Brysch. Wer selbstbestimmt sterben, gleichzeitig aber Organspender sein wolle, müsse dies in seiner Verfügung gesondert vermerken – was bisher so gut wie nie der Fall sei.

Aus Bryschs Sicht werden sich die Spendezahlen durch die geplanten politischen Aktivitäten nicht erhöhen. Ende Oktober soll im Bundestag der angekündigte Gruppenantrag zur Reform des Organspenderechts stehen. Ab Januar könnte es dann Gesetz sein, dass sich jeder mindestens einmal im Leben, etwa bei der Pass- oder Führerscheinausgabe, zur Organspende erklären muss.

Doch das Problem liege woanders, sagt der Patientenschützer. Aktuell erfolge die Zustimmung zur Organspende in 90 Prozent der Fälle durch Angehörige. Ob ein Spenderausweis vorliegt, spiele kaum eine Rolle. Und nicht einmal die Hälfte der rund 4000 Hirntoten pro Jahr würden den Transplantationszentren gemeldet. Die niedrigen Spenderzahlen, sagt Brysch, seien in „Organisationsversagen“ begründet. Daran werde sich durch die geplante Reform nichts ändern.

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