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Politik: Rückkehr an den Ort des Martyriums

Rote Rosen stecken in dem schweren eisernen Lagertor mit der zynischen Inschrift "Jedem das Seine". Robert Büchler hat es mit seinem Enkel, einem schlaksigen Teenager, durchschritten.

Weimar (10.04.2005, 17:59 Uhr) - Büchler, geboren in der Slowakei, hat eine weite Reise von Israel nach Buchenwald bei Weimar hinter sich. Er gehört zu mehr als 500 Überlebenden des nationalsozialistischen Konzentrationslagers, die am Sonntag ihrer Befreiung vor 60 Jahren gedachten.

Mit 75 Jahren ist Büchler einer der jüngeren unter den Zeitzeugen, die Entrechtung, Deportation, den Geruch der Öfen, das Martyrium des Lageralltags mit Zwangsarbeit, Kälte, Hunger und Tod erlebt haben. «Ich war im Kinderblock 66», sagt er.

Bei der Kranzniederlegung am Sonntag mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf dem Appellplatz des Lagers, in das von Juli 1937 bis zur Befreiung am 11. April 1945 etwa eine viertel Million Menschen von den Nazis verschleppt wurden, schlagen die Emotionen hoch. Ein ehemaliger Häftling aus Russland drängt sich ans Mikrofon und ruft laut seine Häftlingsnummer. Die hatten ihm die Nazis statt seines Namens gegeben. An anderer Stelle des Lagergeländes, auf dem das Krematorium noch steht und die Umrisse der Baracken mit Kieselsteinen markiert sind, erklingt das Totengebet Kaddisch - für Millionen jüdischer Opfer in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern.

Viele, die an den Ort ihrer grausamen Leiden zurückkehrten, geben sich als ehemalige Häftlinge zu erkennen: Wie andere auch tragen die beiden Polen Józef Lasota und Lucyan Olezyk blau-weiß gestreifte Tücher, die an die Lageruniform erinnern. Andere haben sich Winkel mit Nummern angeheftet. Sie wollen, dass das Leiden der Opfer ein Gesicht bekommt, dass es nicht vergessen wird und damit umsonst war.

«Die junge Generation in Deutschland ist nicht schuld. Aber unsere Geschichte soll unser Erbe sein», sagt Büchler. Seine Eltern wurden in Auschwitz umgebracht - weil sie Juden waren. Als Kind wurde er im Januar 1945 von Auschwitz im offenen Güterwaggon nach Buchenwald gebracht. Dort hat der entkräftete jüdische Junge zusammen mit etwa 900 anderen Kindern überlebt. Auch weil sich andere Häftlinge um ihn kümmerten. «Ich habe Menschlichkeit erfahren.» Für Büchler ist Buchenwald in doppelter Hinsicht wichtig - als Mahnung, was Menschen anderen Menschen antun können, aber auch als «Rettungsort».

Die Angst, die Vergangenheit könnte verblassen, spielt eine zentrale Rolle bei dem Treffen in Buchenwald und Weimar. «Mich treibt an diesem 60. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager die Sorge um, dass der "Staffelstab der Erinnerung" mit dem endgültigen Verstummen der Zeitzeugen nicht mehr weitergereicht werden wird», sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, bei der Gedenkfeier im Deutschen Nationaltheater.

Die Appelle Spiegels und des spanischen Schriftstellers und Buchenwald-Häftlings Jorge Semprún richten sich vor allem an die junge Generation. «Die Nachgeborenen der Opfer und Täter», sagt Spiegel, müssten «stellvertretend die Zeugenschaft übernehmen». Auch deshalb kam Robert Büchler mit seinem Enkel nach Buchenwald. (Von Simone Rothe, dpa)

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